Wie mir Regisseur Howard Ziehm gestern mitgeteilt hat, ist sein ehemaliger Partner, der Exploitation-Produzent Bill Osco, an einem Herzanfall gestorben. Der Nachruf, den ich hier verfasse, ist sicherlich kein gewöhnlicher: Allem Anschein nach war Osco ein Schuft, der hauptsächlich verbrannte Erde zurückgelassen hat. Ich schreibe diesen Nachruf, weil es vielleicht sonst niemand tut.
Osco (wahrscheinlich Jahrgang 1948) gründete Ende der Sechziger zusammen mit Howard Ziehm die Produktionsfirma Graffiti, die den allerersten Porno-Spielfilm in reguläre Kinos brachte: MONA. Kennengelernt hatten sie sich, als sich der junge Osco als Manager für Ziehms Rockband anbot. Wenig später produzierten sie kurze Sexstreifen, mit denen sie höchst einträglich einschlägige Kinos bestückten. Die Arbeitsteilung war von vornherein klar: Ziehm inszenierte die Filme, Osco kümmerte sich um den Verkauf. Das machte er mit geschicktem Geklapper und unbekümmerter Hybris: Unter anderem behauptete er, aus der Familie zu stammen, der die amerikaweite Osco-Drogeriekette gehört – dabei hießen die Skaggs.
Mit MONA waren Ziehm und Osco an vorderster Front der aufkeimenden sexuellen Kinorevolution und nahmen den Sensationsfilm DEEP THROAT um ganze zwei Jahre vorweg. Weil Pornographie seinerzeit noch illegal war, hatten die Graffiti-Filme entweder gar keine Credits (wie bei MONA) oder waren unter Pseudonym gedreht (Ziehm nannte sich oft "Harry Hopper"). Tatsächlich ist HARLOT der einzige Graffiti-Film aus dieser Zeit, in dessen Vorspann die Beteiligten normal genannt werden.
Es hinderte Osco nicht, zum Star der Pornorevolution aufzusteigen. Weil er derjenige war, der durch die Lande reiste und die Filme verkaufte, wurde nur er bekannt: "Bill Osco, Boy King of L.A. Porno", titelte Addison Verrill am 30. Dezember 1970 im Variety. Wie Schauspieler Jason Williams berichtet, prangte Oscos Name teilweise über dem Filmtitel an den Kinovordächern. Noch heute wird in manchen Filmlexika und auf diversen Webseiten Osco fälschlicherweise als Regisseur oder zumindest Co-Regisseur mancher Streifen angeführt.
Dank des Erfolges von MONA und den anderen Streifen wollten Osco und Ziehm 1972 ein ambitionierteres Projekt angehen: Eine Porno-Parodie der alten FLASH-GORDON-Serials mit dem Titel
FLESH GORDON. Sie ahnten nicht, wie kühn das Vorhaben war: Was als Projekt mit $25.000 Budget anfing, kostete letztlich eine halbe Million. Die Arbeiten am Film zogen sich über zwei Jahre hin, Ziehms Co-Regisseur Michael Benveniste mußte wegen Inkompetenz gefeuert werden, die Polizei konfiszierte das gefilmte Material – es war ein langer Kampf.
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Bill Osco (links) zusammen mit "Flesh Gordon" Jason Williams in COP KILLERS. |
Eigentlich hatte Osco aber andere Träume: Er wollte Filme wie EASY RIDER drehen und ein Star werden. So stellte er das Outlaw-Roadmovie
COP KILLERS auf die Beine, dessen Geschichte er zusammen mit Ziehm und ihrem Assistenten Walter Cichy schrieb – und gab sich selbst eine der beiden Hauptrollen neben
FLESH-GORDON-Star Jason Williams. Ziehm kümmerte sich um die Kamera, Cichy führte Regie. Es war ein nihilistischer Streifen, der mit Bauchgefühl die Stimmung seiner Zeit einfängt, aber er ging sang- und klanglos unter – was auch Oscos Schauspielkarriere stoppte.
Osco selbst war es, der für das nächste Drama bei den endlosen Dreharbeiten zu
FLESH GORDON sorgte: Wie Ziehm in seiner Autobiographie
TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT schreibt, wirtschaftete Osco unbekümmert in die eigene Tasche und schaffte es, sich ein Haus und einen Rolls-Royce zu leisten, während er Ziehm gegenüber beteuerte, die Graffiti-Filme würden derzeit zu wenig Geld abwerfen. Ziehm trennte sich von Osco und stellte
FLESH GORDON alleine fertig. Der Film, der mittlerweile als Softsex-Parodie aufgezogen war, wurde zum Kulterfolg.
Osco blieb aber am Ball: Er tat sich stattdessen einfach mit Jason Williams zusammen und wiederholte mit ihm das Graffiti-Modell. Der Schauspieler inszenierte Pornostreifen für ihn, darunter den Hawaii-Sexfilm HONOLULU HUSTLE, die Osco dann verkaufte. Williams war es auch, der Osco auf die Idee zu einem neuen Spielfilm brachte: ALICE IN WONDERLAND, eine Sex-Musical-Version der Lewis-Carroll-Geschichte. Es war ein gigantischer Erfolg, der ebenso Kultstatus genießt – im Gegensatz zu A.G.R. – THE GREAT AMERICAN GIRL ROBBERY, einer Mischung aus Cheerleader-Phantasie und Entführungsthriller, die Williams und Osco ebenso zusammen auf die Beine stellten.
Aus dem geplanten ALICE-Nachfolger THE WIZARD OF OZ wurde dann aber nichts: Die Geschichte zwischen Osco und Ziehm wiederholte sich auch mit Jason Williams, die Geldgeber von OZ zogen sich beunruhigt zurück. Etwas später schnitt Osco noch eine Hardcore-Variante von ALICE IN WONDERLAND mit separat inszenierten Sexszenen zusammen. Eine Fellatio-Szene mit Hauptdarstellerin Kristine DeBell konnte er einfügen, weil er seinerzeit mit ihr zusammen war: Wie Williams in seinen bislang unveröffentlichten Memoiren I FOUGHT THE SEX RAY (die ich im Zuge eines Interviews lesen konnte) berichtet, überzeugte Osco seine Freundin, mit ihm privat etwas zu drehen, das er nie verwenden würde.
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Bill Osco als Detective Mortimer Lutz in Jackie Kongs THE BEING. |
Als echtes Stehaufmännchen war Osco aber auch in den Achtzigern im Filmgeschäft umtriebig. Er heiratete Jackie Kong, die Schwägerin des Regisseurs Donald Cammell, und stellte mit ihr eine Reihe von Projekten auf die Beine. Im ersten davon, einem 1980 gedrehten Monster-Horrorstreifen namens
THE BEING, der erst 1983 veröffentlicht wurde, versuchte er sich noch einmal als Hauptdarsteller – aber wurde offenbar von einem anderen Schauspieler nachsynchronisiert und blieb unter gleich zwei Pseudonymen gelistet: "Rexx Coltrane" im Vorspann, "Johnny Commander" im Abspann.
Der nächste Film war
POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER, eine Anarcho-Komödie mit "Papiertütenkomiker" Murray Langston, der auch die Story entwickelte (Osco hatte zuvor schon ein TV-Special für Langston inszeniert:
THE UNKNOWN COMEDY SPECIAL.) Der Film wurde zum Videothekenhit – aber wie Langston in seiner Autobiographie JOURNEY THRU THE UNKNOWN … schreibt, sah er nicht einen einzigen Cent, obwohl er auf Anraten Oscos noch zuvor seinen Drehbuchpartner mit eigenem Geld ausbezahlt hatte, um die Rechte am Skript selbst zu haben.
Kong und Osco drehten eine weitere Chaoskomödie namens
NACHTAKADEMIE, aber die erschien erst kurz nach ihrer vierten und letzten Zusammenarbeit: BLOOD DINER, eine von Herschell Gordon Lewis inspirierte wahnwitzige Splatterkomödie, die mit ihrer Bad-Taste-Kreativität zum nächsten Kulterfolg für Osco wurde. Er selber war hier allerdings nur als "Creative Consultant" genannt.
Der schlechte Geschmack schien Osco auf denselben gebracht zu haben: Zusammen mit Carl Crew, einem der BLOOD-DINER-Hauptdarsteller, drehte er eine Schnodderkomödie mit dem Titel GROSS OUT – eine Art John-Waters-Underground-Trash-Provokation, die mit billigster Machart und ausuferndem Fäkalhumor nur für ein wirklich einschlägiges Publikum gemacht war. Osco führte hier unter Namen "Janis Alacard Stelloff" sogar selber Regie. Im selben Stil legte er mit Crew auch noch die Trash-Anthologie
URBAN LEGENDS und einen Film mit dem Titel LUNCH WITH LARRY nach – letzterer blieb allerdings unveröffentlicht. Ein später eigenständig veröffentlichter Gonzo-Kurzfilm namens "The Art of Nude Bowling" war ursprünglich ein Segment von
URBAN LEGENDS.
In den Neunzigern wurde Osco endgültig von seinen Geschäftsmethoden eingeholt: Wie
The Spokesman-Review am 1.4.1992 berichtete, wurde er wegen massiver Steuerhinterziehung, Bankbetrug und Insolvenzbetrug zu über vier Jahren Haft verurteilt. Wie eine
Gerichtsakte von 1993 zeigt, schuldete er dem Staat über $240.000 an Steuern – und hatte unter anderem seine Mutter Betty Osco eingespannt, ihm bei der Verschleierung seiner Einkünfte zu helfen.
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Bill Osco 2016 in einem kurzen Interview zur BLOOD-DINER-BluRay-Veröffentlichung. |
Selbst hier endet die Osco-Geschichte noch nicht: In den 2000er Jahren zog Osco ein Projekt namens Pink TV auf, das Blicke hinter die Kulissen der Pornoindustrie erlauben sollte – eher als Marktgeklapper aufgezogen denn als journalistische Dokumentation, versteht sich. Über eine Website konnte man Clips beziehen, außerdem erschien eine DVD mit dem Zusammenschnitt PINK TELEVISION UNCENSORED. Nebenher gab es auch etwas Frauencatchen:
CAT FIGHT WRESTLING.
Er stellte sogar Bühnenproduktionen auf die Beine. 2003 produzierte er die Ray-Cooney-Farce RUN FOR YOUR WIFE mit Linda Blair, die schon in POLICE PATROL mit ihm gearbeitet hatte. 2004 schrieb und inszenierte er höchstselbst eine Bühnenfassung seiner sexuellen Erweckungsversion von ALICE IN WONDERLAND.
Tatsächliche Filme konnte er allerdings nicht mehr verwirklichen. Im April 2001 meldete Variety noch, daß er eine schwarze Komödie mit dem Titel CASH MONEY SEX produzieren würde, die von seiner Tochter Roxanne Osco geschrieben wurde, aber das Projekt verschwand. Zuletzt war noch ein Remake von ALICE IN WONDERLAND im Gespräch, das von Skandalregisseur Ken Russell (DER HÖLLENTRIP) inszeniert worden wäre, aber auch das blieb nach Russells Tod im Jahr 2011 ein zerronnenes Projekt.
Ich habe, nachdem ich letztes Jahr
Howard Ziehm interviewen konnte, auch versucht, Osco zu einem Gespräch einzuladen. Nachdem ich ihn ausfindig gemacht hatte, schrieb er ein paar sehr kurze Nachrichten zurück, aber ein Interview kam nie zustande. Vielleicht hatte er kein Interesse, vielleicht wußte er mit dem Podcast-Format nichts anzufangen oder war von der Tatsache abgeschreckt, daß ich Ziehm schon interviewt hatte. Vielleicht war es ja aber auch gesundheitlich nicht allzu gut um ihn bestellt. In einem kurzen Interview, das er für eine BLOOD-DINER-BluRay-Veröffentlichung gab, sah er ziemlich schwach aus.
Wenn man verschiedene Quellen liest oder die Personen befragt, die mit ihm gearbeitet haben, zeigt sich kaum Gutes. Er dürfte mehr als nur ein Schlitzohr gewesen sein. Es ist merkwürdig, das in einem Nachruf zu erwähnen, aber es scheint in diesem Fall auch unangebracht, es plötzlich unter den Teppich zu kehren. Immerhin bedankt sich Leon Isaac Kennedy in einem Interview zu A.G.R. – THE GREAT AMERICAN GIRL ROBBERY dafür, daß Osco an ihn geglaubt und ihm die Chance gegeben hat, Schauspieler zu werden.
Als Freund des alternativen Kinos bin ich dennoch traurig über die Nachricht von Oscos Tod. Seine Filme waren die Kehrseite des Hollywood-Glamours: Wie ein schurkischer P.T. Barnum zeigte er ein wahres Kuriositätenkabinett, dessen einziger gemeinsamer Nenner der Reiz des schlechten Geschmacks ist, der sich über alles hinwegsetzt, was als akzeptabel und anständig gilt. Und was immer er sonst gemacht hat: Er gehört mit Ziehm zu den XXX-Pionieren der ersten Stunde und trug mit seinem marktschreierischen Verkaufstalent dazu bei, den Sex in die amerikanische Öffentlichkeit zu holen. Selbst Ziehm gesteht ihm seinen Beitrag zu: "
FLESH GORDON wouldn't have happened without him."
Bill-Osco-Reviews auf Wilsons Dachboden:COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch AmerikaFLESH GORDON: Zoten und ZeitgeistTHE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte THE BEING: Ein radioaktives Monster bedroht die KartoffelerntePOLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER: Welcher Furzfilm könnte besser sein?NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer GesinnungURBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-FlickwerkCAT FIGHT WRESTLING: Furiose Frauenzimmer in leeren Lagerhallen