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Lichtspielplatz #13 - Die Mars-Utopie

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In der ersten Lichtspielplatz-Folge des Jahres 2017 geht es auf eine ambitionierte Reise: Wir sehen uns an, was sich die Menschen über den Roten Planeten erzählt haben und welche Wünsche, Phantasien und Hoffnungen er repräsentierte. Wir spannen den Bogen von alten Stummfilmtagen mit dem Thomas-Edison-Film A TRIP TO MARS und dem ersten russischen Science-Fiction-Film, AELITA - DER FLUG ZUM MARS, hin zu modernen Geschichte wie Brian De Palmas MISSION TO MARS oder Ridley Scotts DER MARSIANER. Wir ziehen literarische Auseinandersetzungen von Ray Bradbury und Carl Ignaz Geiger heran - letztere aus dem Jahr 1790! - und werfen über Stephan Petraneks Buch HOW WE'LL LIVE ON MARS auch einen Blick auf die tatsächlichen Besiedelungs- und Terraforming-Pläne. Sogar ein Computerspiel ist dabei: MARTIAN DREAMS, ein Ableger der ULTIMA-Reihe.

Viel Spaß!



Das mp3 kann HIER heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Der Screenshot stammt von der BluRay von John Carpenters GHOSTS OF MARS, (C) 2009 Sony Pictures Home Entertainment.

RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik

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Milla Jovovich kickt einen Zombiehund beiseite

In einer Szene von RESIDENT EVIL steht die Heldin einer Horde von Zombie-Hunden gegenüber. Sie kann fast alle dieser angreifenden Monster wegschießen, nur für den letzten fehlt die Munition. Auf der Flucht vor dem Untier federt sie sich im Laufen von einer Wand ab, dreht sich um 180 Grad und schaltet die Bestie in poetischer Zeitlupe mit einem fliegenden Fußtritt aus. Das Publikum im Münchner Cinema, wo ich den Film 2002 gesehen habe, brach in spontanen Beifall aus. Für eine Wertschätzung der Reize dieses B-Movie-Spektakels muß man gar nicht tiefer graben.

Ursprünglich war für die Verfilmung der Computerspielreihe RESIDENT EVIL, in denen sich der Spieler durch Horden von Untoten kämpfen muß, Zombie-Großvater George Romero vorgesehen. Dessen Skript fand aber wenig Gegenliebe, woraufhin der britische Regisseur Paul W.S. Anderson angeheuert wurde – immerhin hatte der es ja 1995 schon geschafft, aus dem Prügelspiel MORTAL KOMBAT eine ganze Spielfilmhandlung herauszuquetschen. Es ist wohl passend, daß Romeros Einfluß dennoch maßgeblich in RESIDENT EVIL zu spüren ist: Anderson zitiert dessen Zombie-Klassiker immer wieder und lässt die Monsterhorden hungrig an den Glaswänden kratzen wie seinerzeit in Romeros ZOMBIE.

Zombies stürzen sich auf ein Teammitglied: Wie bei George Romero
Die Romero-Zombies fressen sich durch RESIDENT EVIL.

An die Horror-Egoshooter, die dem Film als Vorbild dienten, lehnt sich Anderson nur lose an. Dennoch ist sein Film eine präzise Videospieladaption – nicht die eines bestimmten Spiels, sondern die des Spielgefühls. Statt einer Handlung gibt es eine Prämisse, eine perfekt dystopische Albtraummär von der weltumspannenden Organisation, die in alle Bereiche des Lebens eingreift: die Umbrella Corporation, deren Logo hier sogar auf Munitionshülsen und Eheringen zu sehen ist. Diese Firma züchtet heimlich einen Virus als Waffe, und als der entkommt und die Menschen in Untote verwandelt, muß eine Spezialeinheit in die Untergrundlaboratorien eindringen und nach dem Rechten sehen. Also kämpft die Truppe gegen Monster und noch mehr Monster, rückt Level um Level tiefer ins Herz der Umbrella-Zentrale vor und muß sich letztlich sogar einem Endboss stellen.

Auch die Heldin der Geschichte ist die perfekte Spielfigur: Es ist eine Frau namens Alice, die ohne Gedächtnis in einem mondänen Herrenhaus erwacht, wo sie wenig später vom Spezialteam aufgesammelt und in die Umbrella-Labore mitgenommen wird. Wie der Avatar eines Games funktioniert sie als Platzhalter: Wir lernen die Welt über sie kennen, weil wir ebenso wie sie in den jeweiligen Moment geworfen werden. Erst, wenn es für die Zusammenhänge erforderlich ist, erfahren wir in kurzen Flashbacks, die wie die Cut-Scenes in Spielen eingeworfen werden, etwas über ihre Vergangenheit – was Alice in ihrem Amnesiezustand freilich wie der Zuseher auch in diesem Moment als neue Information erfährt.

Heldin ohne Vergangenheit: Alice (Milla Jovovich) erwacht ohne Gedächtnis.

Kein Wunder, daß alles, was passiert, einer gewissen Spielelogik zu folgen scheint. In einem Korridor sehen sich die Kämpfer mit einem tödlichen Laser konfrontiert, der mehrfach durch den Gang geschickt wird – und sich beim dritten Durchgang zu einem Gitternetz verdichtet, das kein Entkommen ermöglicht. In Wirklichkeit wäre es absolut ineffizient, wenn ein Computerprogramm zur Abwehr von Feinden erst im dritten Anlauf seine Feinde ganz sicher erwischt – aber RESIDENT EVIL funktioniert eben nach Spielprinzip, wo stetige Steigerung des Schwierigkeitsgrades völlig plausibel erscheinen. Sogar ein Zeitlimit bedroht unsere Helden: 60 Minuten, nachdem der Umbrella-Hauptcomputer die Laboratorien nach dem Ausbruch des Virus abgeschottet hat, wird er sie nochmal abschotten – oder doppelt, oder konsequenter. Es macht keinen Sinn im richtigen Leben, aber fühlt sich für jeden Spieler wie eine vertraute Gegebenheit an – und wenn er bislang nur SUPER MARIO BROS. gespielt hat.

Daß das nicht nur funktioniert, sondern sogar mitreißen kann, liegt daran, daß sich Regisseur Paul W.S. Anderson als geschickter Actionstilist entpuppt. Der Tiefgang ist nicht seins: Die Figuren sind bestenfalls bloße Typen, Subtext ist nur Ballast, die Oberfläche ist der Inhalt. Dafür inszeniert er packende Action- und Spannungssequenzen, die er mit Kreativität zu perfekt getimten, absurden Miniaturen formt. Speed Ramps, Industrial-Soundtrack, gestylte Lässigkeit: Bei Anderson hebt sich jeder Moment über die schnöde Wirklichkeit hinweg. Alleine schon, wie er Milla Jovovich als Alice mit entrückt elegantem Kleid in Szene setzt, als würde sie sich als Modelprinzessin durch ein Horrormärchen kämpfen, ist berauschend – und diente dem Kollegen Len Wiseman als definitive Inspiration für den Fetisch-Look seiner UNDERWORLD-Filme.

Milla Jovovich als Prinzessin im Horrormärchen
Die Prinzessin im Horror-Wunderland: Alice (Milla Jovovich).

Gleichzeitig zitiert sich Anderson eifrig durch die Filmgeschichte – wie er selber auch freimütig im Audiokommentar zugibt: Für den Laser-Korridor war er von CUBE inspiriert, während anderswo ein Bild aus dem spanischen Arthouse-Film GOYA IN BORDEAUX als Vorlage diente. Auch der seinerzeit so populäre "Bullet Time"-Effekt aus der MATRIX wird verwendet. Als größtes Vorbild diente neben den Romero-Filmen wohl ein Actionklassiker, der ebenfalls ein bewaffnetes Spezialteam in die Monsterhöhle entsandte: James Camerons ALIENS, der hier nicht nur im generellen Aufbau, den Giger-haften Schläuchen im geheimen "Zombiezentrum" und der wehrhaften Heldin seine Entsprechung findet, sondern sogar mit Fingern aus einem Gitter am Boden à la DER DRITTE MANN zitiert wird. (Cameron nannte RESIDENT EVIL in einer Reddit-Sessionübrigens sein "favorite guilty pleasure".)

"Umherschwankende Zombies (u.a. Heike Makatsch!) mögen in den 70ern Angst verbreitet haben, heute höchstens Amüsement", schrieb Daniel Ramm über RESIDENT EVIL in der Cinema 3/02. Er konnte nicht ahnen, daß sich dieses kleine B-Movie (zusammen mit Danny Boyles 28 DAYS LATER) zu so einem Renner entwickeln sollte, daß nicht nur diverse Fortsetzungen entstanden, sondern auch eine neue Zombiewelle losgetreten wurde, die selbst 15 Jahre später noch jedes Jahr Dutzende an neuen Filmen heranschwappt. So gesehen kann Anderson im Stammbaum der Zombie-Pioniere also doch noch einen Platz in der Nähe von Romero einnehmen.



Resident Evil (England/Deutschland 2002)
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: David Johnson
Musik: Marco Beltrami & Marilyn Manson
Darsteller: Milla Jovovich, Michelle Rodriguez, Eric Mabius, James Purefoy, Colin Salmon, Heike Makatsch

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2003 Universum Film GmbH & Co. KG.

Nachruf: Bill Osco, Produzent von FLESH GORDON und ALICE IN WONDERLAND

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Wie mir Regisseur Howard Ziehm gestern mitgeteilt hat, ist sein ehemaliger Partner, der Exploitation-Produzent Bill Osco, an einem Herzanfall gestorben. Der Nachruf, den ich hier verfasse, ist sicherlich kein gewöhnlicher: Allem Anschein nach war Osco ein Schuft, der hauptsächlich verbrannte Erde zurückgelassen hat. Ich schreibe diesen Nachruf, weil es vielleicht sonst niemand tut.

Osco (wahrscheinlich Jahrgang 1948) gründete Ende der Sechziger zusammen mit Howard Ziehm die Produktionsfirma Graffiti, die den allerersten Porno-Spielfilm in reguläre Kinos brachte: MONA. Kennengelernt hatten sie sich, als sich der junge Osco als Manager für Ziehms Rockband anbot. Wenig später produzierten sie kurze Sexstreifen, mit denen sie höchst einträglich einschlägige Kinos bestückten. Die Arbeitsteilung war von vornherein klar: Ziehm inszenierte die Filme, Osco kümmerte sich um den Verkauf. Das machte er mit geschicktem Geklapper und unbekümmerter Hybris: Unter anderem behauptete er, aus der Familie zu stammen, der die amerikaweite Osco-Drogeriekette gehört – dabei hießen die Skaggs.

Mit MONA waren Ziehm und Osco an vorderster Front der aufkeimenden sexuellen Kinorevolution und nahmen den Sensationsfilm DEEP THROAT um ganze zwei Jahre vorweg. Weil Pornographie seinerzeit noch illegal war, hatten die Graffiti-Filme entweder gar keine Credits (wie bei MONA) oder waren unter Pseudonym gedreht (Ziehm nannte sich oft "Harry Hopper"). Tatsächlich ist HARLOT der einzige Graffiti-Film aus dieser Zeit, in dessen Vorspann die Beteiligten normal genannt werden.

Es hinderte Osco nicht, zum Star der Pornorevolution aufzusteigen. Weil er derjenige war, der durch die Lande reiste und die Filme verkaufte, wurde nur er bekannt: "Bill Osco, Boy King of L.A. Porno", titelte Addison Verrill am 30. Dezember 1970 im Variety. Wie Schauspieler Jason Williams berichtet, prangte Oscos Name teilweise über dem Filmtitel an den Kinovordächern. Noch heute wird in manchen Filmlexika und auf diversen Webseiten Osco fälschlicherweise als Regisseur oder zumindest Co-Regisseur mancher Streifen angeführt.

Dank des Erfolges von MONA und den anderen Streifen wollten Osco und Ziehm 1972 ein ambitionierteres Projekt angehen: Eine Porno-Parodie der alten FLASH-GORDON-Serials mit dem Titel FLESH GORDON. Sie ahnten nicht, wie kühn das Vorhaben war: Was als Projekt mit $25.000 Budget anfing, kostete letztlich eine halbe Million. Die Arbeiten am Film zogen sich über zwei Jahre hin, Ziehms Co-Regisseur Michael Benveniste mußte wegen Inkompetenz gefeuert werden, die Polizei konfiszierte das gefilmte Material – es war ein langer Kampf.

Bill Osco (links) zusammen mit "Flesh Gordon" Jason Williams in COP KILLERS.

Eigentlich hatte Osco aber andere Träume: Er wollte Filme wie EASY RIDER drehen und ein Star werden. So stellte er das Outlaw-Roadmovie COP KILLERS auf die Beine, dessen Geschichte er zusammen mit Ziehm und ihrem Assistenten Walter Cichy schrieb – und gab sich selbst eine der beiden Hauptrollen neben FLESH-GORDON-Star Jason Williams. Ziehm kümmerte sich um die Kamera, Cichy führte Regie. Es war ein nihilistischer Streifen, der mit Bauchgefühl die Stimmung seiner Zeit einfängt, aber er ging sang- und klanglos unter – was auch Oscos Schauspielkarriere stoppte.

Osco selbst war es, der für das nächste Drama bei den endlosen Dreharbeiten zu FLESH GORDON sorgte: Wie Ziehm in seiner Autobiographie TAKE YOUR SHAME AND SHOVE IT schreibt, wirtschaftete Osco unbekümmert in die eigene Tasche und schaffte es, sich ein Haus und einen Rolls-Royce zu leisten, während er Ziehm gegenüber beteuerte, die Graffiti-Filme würden derzeit zu wenig Geld abwerfen. Ziehm trennte sich von Osco und stellte FLESH GORDON alleine fertig. Der Film, der mittlerweile als Softsex-Parodie aufgezogen war, wurde zum Kulterfolg.

Osco blieb aber am Ball: Er tat sich stattdessen einfach mit Jason Williams zusammen und wiederholte mit ihm das Graffiti-Modell. Der Schauspieler inszenierte Pornostreifen für ihn, darunter den Hawaii-Sexfilm HONOLULU HUSTLE, die Osco dann verkaufte. Williams war es auch, der Osco auf die Idee zu einem neuen Spielfilm brachte: ALICE IN WONDERLAND, eine Sex-Musical-Version der Lewis-Carroll-Geschichte. Es war ein gigantischer Erfolg, der ebenso Kultstatus genießt – im Gegensatz zu A.G.R. – THE GREAT AMERICAN GIRL ROBBERY, einer Mischung aus Cheerleader-Phantasie und Entführungsthriller, die Williams und Osco ebenso zusammen auf die Beine stellten.

Aus dem geplanten ALICE-Nachfolger THE WIZARD OF OZ wurde dann aber nichts: Die Geschichte zwischen Osco und Ziehm wiederholte sich auch mit Jason Williams, die Geldgeber von OZ zogen sich beunruhigt zurück. Etwas später schnitt Osco noch eine Hardcore-Variante von ALICE IN WONDERLAND mit separat inszenierten Sexszenen zusammen. Eine Fellatio-Szene mit Hauptdarstellerin Kristine DeBell konnte er einfügen, weil er seinerzeit mit ihr zusammen war: Wie Williams in seinen bislang unveröffentlichten Memoiren I FOUGHT THE SEX RAY (die ich im Zuge eines Interviews lesen konnte) berichtet, überzeugte Osco seine Freundin, mit ihm privat etwas zu drehen, das er nie verwenden würde.

Bill Osco als Detective Mortimer Lutz in Jackie Kongs THE BEING.

Als echtes Stehaufmännchen war Osco aber auch in den Achtzigern im Filmgeschäft umtriebig. Er heiratete Jackie Kong, die Schwägerin des Regisseurs Donald Cammell, und stellte mit ihr eine Reihe von Projekten auf die Beine. Im ersten davon, einem 1980 gedrehten Monster-Horrorstreifen namens THE BEING, der erst 1983 veröffentlicht wurde, versuchte er sich noch einmal als Hauptdarsteller – aber wurde offenbar von einem anderen Schauspieler nachsynchronisiert und blieb unter gleich zwei Pseudonymen gelistet: "Rexx Coltrane" im Vorspann, "Johnny Commander" im Abspann.

Der nächste Film war POLICE PATROL – DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER, eine Anarcho-Komödie mit "Papiertütenkomiker" Murray Langston, der auch die Story entwickelte (Osco hatte zuvor schon ein TV-Special für Langston inszeniert: THE UNKNOWN COMEDY SPECIAL.) Der Film wurde zum Videothekenhit – aber wie Langston in seiner Autobiographie JOURNEY THRU THE UNKNOWN … schreibt, sah er nicht einen einzigen Cent, obwohl er auf Anraten Oscos noch zuvor seinen Drehbuchpartner mit eigenem Geld ausbezahlt hatte, um die Rechte am Skript selbst zu haben.

Kong und Osco drehten eine weitere Chaoskomödie namens NACHTAKADEMIE, aber die erschien erst kurz nach ihrer vierten und letzten Zusammenarbeit: BLOOD DINER, eine von Herschell Gordon Lewis inspirierte wahnwitzige Splatterkomödie, die mit ihrer Bad-Taste-Kreativität zum nächsten Kulterfolg für Osco wurde. Er selber war hier allerdings nur als "Creative Consultant" genannt.

Der schlechte Geschmack schien Osco auf denselben gebracht zu haben: Zusammen mit Carl Crew, einem der BLOOD-DINER-Hauptdarsteller, drehte er eine Schnodderkomödie mit dem Titel GROSS OUT – eine Art John-Waters-Underground-Trash-Provokation, die mit billigster Machart und ausuferndem Fäkalhumor nur für ein wirklich einschlägiges Publikum gemacht war. Osco führte hier unter Namen "Janis Alacard Stelloff" sogar selber Regie. Im selben Stil legte er mit Crew auch noch die Trash-Anthologie URBAN LEGENDS und einen Film mit dem Titel LUNCH WITH LARRY nach – letzterer blieb allerdings unveröffentlicht. Ein später eigenständig veröffentlichter Gonzo-Kurzfilm namens "The Art of Nude Bowling" war ursprünglich ein Segment von URBAN LEGENDS.

In den Neunzigern wurde Osco endgültig von seinen Geschäftsmethoden eingeholt: Wie The Spokesman-Review am 1.4.1992 berichtete, wurde er wegen massiver Steuerhinterziehung, Bankbetrug und Insolvenzbetrug zu über vier Jahren Haft verurteilt. Wie eine Gerichtsakte von 1993 zeigt, schuldete er dem Staat über $240.000 an Steuern – und hatte unter anderem seine Mutter Betty Osco eingespannt, ihm bei der Verschleierung seiner Einkünfte zu helfen.

Bill Osco 2016 in einem kurzen Interview zur BLOOD-DINER-BluRay-Veröffentlichung.

Selbst hier endet die Osco-Geschichte noch nicht: In den 2000er Jahren zog Osco ein Projekt namens Pink TV auf, das Blicke hinter die Kulissen der Pornoindustrie erlauben sollte – eher als Marktgeklapper aufgezogen denn als journalistische Dokumentation, versteht sich. Über eine Website konnte man Clips beziehen, außerdem erschien eine DVD mit dem Zusammenschnitt PINK TELEVISION UNCENSORED. Nebenher gab es auch etwas Frauencatchen: CAT FIGHT WRESTLING.

Er stellte sogar Bühnenproduktionen auf die Beine. 2003 produzierte er die Ray-Cooney-Farce RUN FOR YOUR WIFE mit Linda Blair, die schon in POLICE PATROL mit ihm gearbeitet hatte. 2004 schrieb und inszenierte er höchstselbst eine Bühnenfassung seiner sexuellen Erweckungsversion von ALICE IN WONDERLAND.

Tatsächliche Filme konnte er allerdings nicht mehr verwirklichen. Im April 2001 meldete Variety noch, daß er eine schwarze Komödie mit dem Titel CASH MONEY SEX produzieren würde, die von seiner Tochter Roxanne Osco geschrieben wurde, aber das Projekt verschwand. Zuletzt war noch ein Remake von ALICE IN WONDERLAND im Gespräch, das von Skandalregisseur Ken Russell (DER HÖLLENTRIP) inszeniert worden wäre, aber auch das blieb nach Russells Tod im Jahr 2011 ein zerronnenes Projekt.

Ich habe, nachdem ich letztes Jahr Howard Ziehm interviewen konnte, auch versucht, Osco zu einem Gespräch einzuladen. Nachdem ich ihn ausfindig gemacht hatte, schrieb er ein paar sehr kurze Nachrichten zurück, aber ein Interview kam nie zustande. Vielleicht hatte er kein Interesse, vielleicht wußte er mit dem Podcast-Format nichts anzufangen oder war von der Tatsache abgeschreckt, daß ich Ziehm schon interviewt hatte. Vielleicht war es ja aber auch gesundheitlich nicht allzu gut um ihn bestellt. In einem kurzen Interview, das er für eine BLOOD-DINER-BluRay-Veröffentlichung gab, sah er ziemlich schwach aus.

Wenn man verschiedene Quellen liest oder die Personen befragt, die mit ihm gearbeitet haben, zeigt sich kaum Gutes. Er dürfte mehr als nur ein Schlitzohr gewesen sein. Es ist merkwürdig, das in einem Nachruf zu erwähnen, aber es scheint in diesem Fall auch unangebracht, es plötzlich unter den Teppich zu kehren. Immerhin bedankt sich Leon Isaac Kennedy in einem Interview zu A.G.R. – THE GREAT AMERICAN GIRL ROBBERY dafür, daß Osco an ihn geglaubt und ihm die Chance gegeben hat, Schauspieler zu werden.

Als Freund des alternativen Kinos bin ich dennoch traurig über die Nachricht von Oscos Tod. Seine Filme waren die Kehrseite des Hollywood-Glamours: Wie ein schurkischer P.T. Barnum zeigte er ein wahres Kuriositätenkabinett, dessen einziger gemeinsamer Nenner der Reiz des schlechten Geschmacks ist, der sich über alles hinwegsetzt, was als akzeptabel und anständig gilt. Und was immer er sonst gemacht hat: Er gehört mit Ziehm zu den XXX-Pionieren der ersten Stunde und trug mit seinem marktschreierischen Verkaufstalent dazu bei, den Sex in die amerikanische Öffentlichkeit zu holen. Selbst Ziehm gesteht ihm seinen Beitrag zu: "FLESH GORDON wouldn't have happened without him."


Bill-Osco-Reviews auf Wilsons Dachboden:
COP KILLERS: Ein leerer Amoklauf durch Amerika
FLESH GORDON: Zoten und Zeitgeist
THE UNKNOWN COMEDY SHOW: Der Witz aus der Papiertüte
THE BEING: Ein radioaktives Monster bedroht die Kartoffelernte
POLICE PATROL - DIE CHAOTENSTREIFE VOM NACHTREVIER: Welcher Furzfilm könnte besser sein?
NACHTAKADEMIE: Schnodderkino mit humanistischer Gesinnung
URBAN LEGENDS: Antikino als Frankenstein-Flickwerk
CAT FIGHT WRESTLING: Furiose Frauenzimmer in leeren Lagerhallen 

MIAMI COPS: Cops, Dealer und Doppelgänger

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"San Francisco ist die Hölle!", steht auf dem Cover der deutschen VHS-Veröffentlichung – was nicht weiter bemerkenswert wäre, würde der Film nicht MIAMI COPS heißen und offenbar in Detroit spielen. Die heute so gern beklagte Homogenisierung des urbanen Lebens begann offenbar schon 1989.

Beim vorliegenden Film handelt es sich nicht um die beinahe gleichnamige Terence-Hill-und-Bud-Spencer-Komödie DIE MIAMI COPS, die unoriginellerweise in der richtigen Stadt spielte. Stattdessen betrachten wir ein italienisches Action-Sparschwein, das sich dezent an MIAMI VICE (aha!) ankuschelt: Ein weißer und ein schwarzer Polizist, ein Drogenschmuggler, ein rotes Sakko, ein cremiges Saxophon. Oder zwei.

Die Story dreht sich um den eifrigen jungen Polizisten Delaware, dessen Vater vor ein paar Jahren bei einem Einsatz ermordet wurde. Um ihn zu rächen, fängt er fünf Jahre später in derselben Abteilung an, wo ihm der erfahrene Cop Gamble zur Seite gestellt wird. In der großen Tradition sämtlicher Polizeifilme wettert Gamble, daß er lieber alleine arbeitet, und begrüßt seinen neuen Partner mit Verachtung.

Nur wenig später sind die beiden aber dem großen Drogen-Zampano auf den Fersen. Ihre Welt ist zum Glück eine, in der ständig finstere Schurken auf den Plan treten, die selbst im Falle des Ablebens einen Hinweis auf die nächste Station ihrer Heroinschnitzeljagd hinterlassen. Im Zweifelsfall darf der erfahrene Gamble sein detektivisches Können unter Beweis stellen: Nach einer Schießerei am Hafen prangt ein riesiges Loch im Metallfaß neben ihm. "Öl", vermutet Delaware und will sich schon gelangweilt abwenden. Aber Gamble kommen die vielen Jahre Polizeidienst sichtlich zu Gute: Aus dem Loch fließt nämlich gar kein Öl, grübelt er. Er greift hinein und findet ein Päckchen Heroin. Man kann die Anzahl der Orden, die er in seiner Schreibtischschublade horten dürfte, kaum erahnen.

Vor allem zwei Szenen verdienen besondere Erwähnung. In der ersten fahren Gamble und Delaware zu einem Nachtclub, wo sie sich Undercover einschleusen wollen, um zum Chef zu gelangen, der offenbar in den Drogenhandel verwickelt ist. Sie fahren also zu besagtem Etablissement, steigen aus und debattieren vor dem Club, wer denn nun Undercover hineingehen soll. Der eifrige Delaware will unbedingt aktiv werden, aber Gamble kann ihn zurückhalten. Dank des gelben Sakkos, das er sich flugs überzieht, und einer Zigarette im Halter dürfte ihn sicherlich niemand als Polizist erkennen.

Leider passiert innen genau das – was die Ganoven Gamble erst zu verstehen geben, nachdem sie ihn in die Chefetage gebracht haben. Der nervöse Chef im schicken Karo-Sakko kündet mit Waffe in der Hand an, dass Gamble jetzt verspielt habe. Dann beschimpft er Gamble: "Du kleiner mieser Wixer, fahr zur Hölle". Zur Veranschaulichung fügt er noch an: "Die Fahrkarte halte ich hier in der Hand". Zum Glück kommt in dem Moment Delaware reingeschneit und erschießt die bösen Buben, bevor die irgendwann dazu übergehen könnten, kurzen Prozeß zu machen. Es darf übrigens festgehalten werden, daß Delaware gar nicht Undercover herumläuft und trotzdem in den Club gekommen ist.

Der erfahrene Cop Gamble (Richard Roundtree) ...

Die andere Sequenz zeigt unsere Helden im privaten Alltag und könnte vielleicht dem einen oder anderen Single unter meinen Lesern wertvolle Hinweise geben. Delaware bemerkt im Park eine schöne blonde Frau, als er gerade mit Gamble zusammen dessen Hund ausführt. "Guck dir das an, ist die nicht süß? Was meinst du dazu?", flüstert Delaware seinem Partner zu. "Was soll ich tun? Sag mal!", will er wissen. Offenbar ist er weit jünger, als er aussieht.

"Mit der richtigen Anmache und dem richtigen Deo wird sie dir gehören", prophezeit Gamble. Sein Tipp, daß Delaware einfach hingehen und "Hallo" sagen sollte, stößt aber auf Ablehnung, weshalb er plötzlich laut von Aktienpapieren redet, damit die Lady zuhören und von Delaware beeindruckt sein kann. Gamble trollt sich, und Delaware kann nun mit gestärktem Selbstbewusstsein zu der Dame hingehen, die gerade einen großen Plan studiert, und sie ansprechen. Der Dialog sei hier zum Zwecke des Studiums vollständig festgehalten:

DELAWARE: Hallo! Sie müssen neu in der Stadt sein!
FRAU: Wie kommen Sie denn darauf?
DELAWARE: Ist das nicht ein Touristenführer?
FRAU: Nein. Dies hier ist eine Karte der alten etruskischen Thermalbäder.
DELAWARE: Wissen Sie, was ein Archäologe zum anderen sagt?
FRAU: Nein, was?
DELAWARE: "Na, du alter Knochen?"
FRAU: Oh Mann …
DELAWARE: Wieso sind Archäologen schlechte Geschäftsleute?
FRAU: Ich weiß es nicht. Wieso?
DELAWARE: Sie bringen dich in den Ruin.
FRAU: Haben alle Bullen so einen einfältigen Sinn für Humor?
DELAWARE: Woher weißt du, daß ich einer bin?
FRAU: Ich habe Augen.
DELAWARE: Und sehr schöne. (hält ihr die Hand hin) Hi, ich bin Robert.
FRAU: (schüttelt seine Hand) Nett, dich kennenzulernen, Robert. Ich bin Helen.
DELAWARE: Willst du was trinken?
FRAU: Gerne. Gute Idee.

Nachdem die beiden im Café ein wenig über etruskische Thermalbäder parliert haben, geht Delaware zum nächsten Schritt seines geschickten Flirts über:

DELAWARE: Kann ich dich für heute Abend einladen? Meine Absichten sind harmlos. Ich möchte nur sehen, ob du im Dunkeln leuchtest.
HELEN: Was ist, wenn ich "nein" sage?
DELAWARE: Dann werd' ich nach Hause gehen, mach den Fernseher an, mach 'ne Dose Bier auf, und dann bring ich mich um.
HELEN: Du gehst ganz schön ran.
DELAWARE: Man muß Heu machen, wenn die Sonne scheint.

Zu weiteren Säuseleien kommt es allerdings nicht, weil Delaware von Gamble auch prompt wieder zum Einsatz geholt wird. Dennoch wird er Helen im Laufe des Films noch ein paar Mal sehen: Ganz zufällig läuft sie ihm immer wieder über den Weg, unter anderem auf dem Weg nach Ischia, wo der Drogendealer sitzt, der einst Delawares Vater erschoß.

Obwohl auf Ischia einst Jack Lemmon das schöne Leben zu genießen lernte und sich mit Juliet Mills nackt ins Meer warf, ist Delaware und Helen kein ähnliches Glück beschieden: Wie sich völlig überraschenderweise herausstellt, arbeitet Helen für den Schurken und verrät Delaware im entscheidenden Moment. Welch ausgetüftelter Plan: Während die niederen Knallchargen vergebens versuchen, Gamble und Delaware schon in Miami/Detroit aus dem Weg zu räumen, stellt Helen sicher, daß die beiden unbescholten nach Ischia kommen, damit sie dort beseitigt werden können. Funktioniert hat der Plan wohl hauptsächlich, weil sie zur richtigen Zeit im richtigen Park saß und Delaware rechtzeitig zwei Archäologenwitze eingefallen sind.

... und sein junger, ungestümer Partner Delaware (Harrison Muller).

Ich gestehe: Filme wie MIAMI COPS üben eine eigentümliche Faszination auf mich aus. Sie sind wie Echos unserer Popkultur, anonyme Fragmente aus einem Pool filmischer Bausteine, so kunstlos und kühl aneinandergebaut, daß sie wie gesichtslose Doppelgänger durch unsere Erinnerungen geistern: Hier ist alles und nichts vertraut. Die Tatsache, daß ein bekannter Darsteller wie SHAFT-Star Richard Roundtree die Hauptrolle spielt, vergrößert nur das Gefühl, den Schatten so vieler besserer, ausgeformterer Filme zu sehen.

Letztlich ist auch die im Film gezeigte Welt wie ein merkwürdiges Spiegelbild: Sie sieht aus wie unsere, aber da vermischen sich Miami und Detroit zu einem grauen Un-Ort, da funktionieren Figuren nur über das, was wir aus anderen Filmen mitgebracht haben, jedes Verhalten ist unnatürlich. Und darüber schwebt der Synth-Score, tuckert und hämmert, so künstlich falsch wie diese ganze Filmwelt, in der die Polizeiarbeit nur daraus besteht, jeden Tag aufs Neue übles Gesocks zu stellen und aus dem Verkehr zu ziehen.


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STARTUP






Miami Cops (Italien 1989)
Regie: "Al Bradley" (= Alfonso Brescia)
Buch: Roberto Leoni
Kamera: Luigi Ciccarese
Musik: Carlo Maria Cordio
Darsteller: Richard Roundtree, Michael J. Aronin, Harrison Muller, Dawn Baker

RESIDENT EVIL: APOCALYPSE - Alles anders im nächsten Level

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Resident-Evil-Heldin Alice (Milla Jovovich)

Schon für seinen ersten RESIDENT EVIL warf Paul W.S. Anderson einen genauen Blick auf James Camerons ALIENS: Wie im Vorbild schickte er ein Spezialteam in den Untergrund, um sich in mittlerweile menschenleeren Räumen auf die Suche nach einer Bestie zu machen – nur daß sie dort statt dem Giger-Alien den untoten Gesellen der Romero-Klassiker bzw. der Videospielvorlage begegnen. Sogar die aus dem Dornröschenschlaf erweckte wehrhafte Heldin hat er übernommen. Es ist also nur passend, daß Anderson für die Fortsetzung von RESIDENT EVIL gleich nochmal den Cameron-Film studierte: Wie er im Audiokommentar erzählt, hielt er sich für RESIDENT EVIL: APOCALYPSE an das Prinzip von ALIENS, in einer Fortsetzung die Welt des Vorgängers auszubauen, anstatt dasselbe nochmal zu erzählen. (Wie wichtig ALIENS für Anderson ist, merkt man auch daran, daß er seinen ALIEN VS. PREDATOR ebenso an das Muster anlehnte – aber da ist er natürlich bei weitem nicht der einzige Filmemacher.)

Der Anknüpfungspunkt für RESIDENT EVIL: APOCALYPSE war schon im Ende des ersten Teils angelegt. Dort konnte in den Laboratorien der Umbrella Corporation zwar ein Serum gefunden werden, um den entkommenen T-Virus zu stoppen, der die Menschen in Zombies verwandelt – aber das Unglück nahm trotzdem seinen Lauf. Security-Frau Alice (Milla Jovovich) und ihr Begleiter Matt, einzige Überlebende des Kampfes gegen die untoten Monster, wurden von Männern in Schutzanzügen in ein Labor gebracht, und als Alice wenig später alleine in einem Operationssaal erwachte und anfing, ihre Umgebung zu erkunden, mußte sie feststellen, daß das Virus mittlerweile begonnen hatte, in der Stadt Raccoon City zu wüten. "The Dead Walk", titelte eine herumfliegende Zeitung dieser verlorenen Stadt, ganz wie in Romeros ZOMBIE 2.

Ein bewaffneter Gummimutant: Das Nemesis-Monster.
Als hätte der Toxic Avenger beim Militär angeheuert: Das Nemesis-Monster (Matthew G. Taylor).

Anstelle der labyrinthischen Gänge und Hallen des Vorgängers führt Alices Reise durchs Zombie-Wunderland diesmal also durch die urbane Verwüstung. Raccoon City ist längst dem Untergang geweiht, nur hier und da versuchen ein paar Überlebende, die Stadt noch verlassen zu können – was vor allem durch den Umbrella-Mitarbeiter Major Cain (Thomas Kretschmann) vereitelt wird, der die Stadt abgeriegelt hat und mit bewaffneten Posten dafür Sorge tragen will, daß das Virus auf jeden Fall eingedämmt werden kann (in Stufe 2 seines Planes wird er mit einer Atombombe auf Nummer Sicher gehen, was die Vernichtung des Virus angeht – und natürlich, wir dürfen es verraten, trotzdem scheitern). Während Cain die tote Stadt als perfekten Übungsplatz für sein herangezüchtetes Nemesis-Monster sieht (es war einst der unglückselige Matt), versucht der Wissenschaftler Dr. Ashford, Kontakt mit einigen Überlebenden aufzunehmen, damit die seine kleine Tochter in Raccoon City ausfindig machen können.

Weil er sich auf die Inszenierung von ALIEN VS. PREDATOR konzentrieren wollte, schrieb Paul Anderson für RESIDENT EVIL: APOCALYPSE zwar das Skript und produzierte den Film, gab aber die Regie an Alexander Witt ab. Dennoch ist auch der zweite Teil der Reihe ganz Andersons Kind: Witt ist ein Handwerker, der seine Hollywood-Karriere als einer der gefragtesten Second-Unit-Regisseure und -Kameramänner bestreitet und in dieser Funktion unter anderem an SPEED, TWISTER, GLADIATOR, BLACK HAWK DOWN, XXX und FLUCH DER KARIBIK arbeitete – weshalb es nur logisch ist, daß er auch hier Bilder im Dienste eines anderen umsetzt.

Die Heldinnen des Films: Milla Jovovich, Sienna Guillory und Sandrine Holt
Unser Heldentrio: Alice (Milla Jovovich, links), Übercop Jill Valentine (Sienna Guillory, rechts) und
Reporterin Terri Morales (Sandrine Holt, Mitte).

Der muntere Mix aus Filmzitaten und Spielanleihen wird in RESIDENT EVIL: APOCALYPSE jedenfalls fortgesetzt. Romero und Cameron sind wieder allgegenwärtig, aus ALIENS wird diesmal ein kleines Mädchen entlehnt (Ashfords Tochter), das von unserer Heldin beschützt werden muß. Gleichzeitig klingen aber auch andere Phantastik-Klassiker früherer Generationen an, allen voran John Carpenters DIE KLAPPERSCHLANGE, dessen Bilder einer gesetzlosen, postapokalyptischen Stadt hier immer wieder als Vorlage dienen – besonders deutlich in der Szene, in der Cain und seine Mannen auf einer Mauer über den Menschenmassen stehen, die aus der Stadt flüchten wollen (eine Sequenz hätte in deutlicher Hommage sogar in einem Chock-full-o'-Nuts-Shop stattfinden sollen, was aber aus Budgetgründen geändert wurde). Ebenso haben die leeren Straßen von Boris Sagals Matheson-Verfilmung DER OMEGA-MANN ihre Spuren hinterlassen. Die Spielevorlage wird hier sogar stärker als zuvor einbezogen: Nicht nur verschiedene Szenen der Games werden zitiert, auch Charaktere werden diesmal gezielt aufgegriffen.

Trotz höherem Budget als der Originalfilm hat die Fortsetzung allerdings gleichzeitig bei weitem mehr Videothekenflair. So schick die Zombiejagd durch die nächtlich-blauen Straßen und die verlassenen Gebäude auch aussieht – letztlich wird hier das absolute B-Movie-Programm aufgefahren. Das Nemesis-Monster wirkt wie ein Gummimutant aus der Troma-Schmiede, inklusive zugetackerter Fratze; rundherum werden enorme Ausmaße an Munition und Militärgerät aufgefahren, die dezibelstark Verwüstung anrichten, ohne je zu involvieren. Alices Mitstreiterin Jill Valentine (Sienna Guillory) ist wie ein Lara-Croft-Klon so cool und unbeeindruckt von ihren Gegnern, daß sie – nicht zuletzt dank ihres mordsknappen Outfits – manchmal wie aus einer Parodie hereinzuschneien scheint. In einer Szene in einer Kirche darf Alice als "dea ex machina" mit dem Motorrad von außen durch das Fenster krachen und zur Rettung schreiten – weil sie im Vorbeifahren wohl intuitiv gespürt hat, das es lohnenswert wäre, jetzt durch dieses Fenster zu rasen. Und der wahnsinnige Machtmensch Cain darf Alice gegen Nemesis in den Ring schicken, weil er an beiden genetische Experimente vollziehen hat lassen und nun sehen will, wer der stärkere ist – obwohl es ja vielleicht noch klüger wäre, einfach beide für seine Zwecke einzusetzen.

Alice (Milla Jovovich) kriegt die nächste Identität verpaßt.
Eine Heldin ohne Vergangenheit kriegt schon wieder die nächste Identität verpaßt: Alice (Milla Jovovich).

So richtig Gas gibt der allem zum Trotz durchaus unterhaltsame Film aber erst ganz zum Schluß: Da wird plötzlich eine absurde Überraschung nach der nächsten aus dem Hut gezogen, während die arme Alice gleich wieder in die Fänge der sinistren Umbrella Corporation gerät. Auch wenn das eher als Ausblick auf weitere RESIDENT-EVIL-Abenteuer und weniger als schlüssige dramaturgische Entwicklung designt ist, entwickelt sich hier die Umbrella-Geschichte zu einem durchgeplanten Verschwörungsplot, der unserer Heldin auch gleich wieder eine neue Identität mitsamt Spezialfähigkeiten verpaßt.

Und da sind wir wieder beim Spielprinzip: Im nächsten Level ist alles anders und doch wieder dasselbe – aber dafür gibt's ein Power-up.


Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik




Resident Evil: Apocalypse (Deutschland/Frankreich/England/Kanada/USA 2004)
Regie: Alexander Witt
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: Derek Rogers, Christian Sebaldt
Musik: Jeff Danna
Darsteller: Milla Jovovich, Sienna Guillory, Oded Fehr, Thomas Kretschmann, Sophie Vavasseur, Jared Harris, Mike Epps, Sandrine Holt, Matthew G. Taylor, Iain Glen

Die Screenshots stammen von der Blu-Ray (C) Constantin Film Verleih GmbH.

RESIDENT EVIL: EXTINCTION - MAD-MAX-Zombies und Genderklischees

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Milla Jovovich in RESIDENT EVIL: EXTINCTION

Nachdem ich mich um die ersten beiden Filme in unserer RESIDENT-EVIL-Retrospektive gekümmert habe, übergebe ich für den dritten Teil der Reihe das Wort an meinen geschätzten Gastautor Dr. Wily.



Zu Beginn erwacht Alice (Milla Jovovich) nackt in der Dusche. Möchten Sie mehr wissen?

Gut. Beim Fluchtversuch durch die Villa, den Gang mit Gitterlaser und das Krankenhaus von Raccoon City tappt sie in eine der zahlreichen Fallen und stirbt. Ihre Leiche wird von zwei Mitarbeitern der Umbrella Corporation im Strahlenschutzanzug zu vielen anderen toten Alices in eine Grube geworfen, die eingezäunt irgendwo in einer weiten Wüstenlandschaft liegt. Rund um den Zaun scharen sich die Zombiehorden und wollen herein zum guten Fleisch. Dies alles passiert vor dem Vorspann – und wir wissen nun also: Es war nicht unsere echte Alice, die Ende des zweiten Teils aus Raccoon City entkommen ist, sondern einer ihrer unzähligen Klone.

In RESIDENT EVIL: EXTINCTION sind fünf Jahre vergangen, seit der T-Virus sich aus dem Hive ausgebreitet hat, und er hat mittlerweile nicht nur große Teile der Menschheit zu Untoten gemacht, sondern auch Seen und Flüsse ausgetrocknet und kaum Vegetation übriggelassen. Die Erde wurde in einen Wüstenplaneten verwandelt, eine gelb-braune Ödnis, in der die Überlebenden in aufgerüsteten und panzerartig verbunkerten Autokolonnen dauernd unterwegs sein müssen, um nicht zuviele Zombies anzulocken. Sie sind ständig auf der Suche nach Benzin, um in Bewegung bleiben zu können. Daß sich die Reihe sehr locker am Buffet der Filmgeschichte bedient, hat ja Kollege Genzel schon in seinem Text zu Teil 1 erwähnt.

Oded Fehr & Ali Larter als alte und neue Weggefährten
Alte und neue Weggefährten: Carlos Olivera (Oded Fehr) und Claire Redfield (Ali Larter).

Alice, die in Teil 2 auch zur Superheldin mutiert ist und mittlerweile auch unbewußt Steine schweben und bewußt mentale Schutzschilde aufbauen kann, ist zu Beginn ganz der einsame Cowboy des Westerns und allein auf dem Motorrad unterwegs, schließt sich aber bald der umherreisenden Gruppe um Claire Redfield (Ali Larter) an, auch weil sie ihren alten Freund Carlos Olivera (Oded Fehr) aus Teil 2 dort wieder trifft. Dem darf sie dann erklären, warum sie sich zwischen Apokalypse und Auslöschung von ihnen getrennt hat. Ich darf es hier verraten: zum Schutz der anderen, denn die Umbrella Coperation überwacht und verfolgt sie ja.

Eben jene in den Untergrund gezwungene Umbrella Coperation ist tatsächlich nicht untätig und experimentiert in Person des Mad Scientist Dr. Isaacs (Iain Glen) an Zombies und deren Domestizierung herum (wir ahnen schon: eine schlechte Idee), weshalb sie auf der Suche nach der originalen Alice ist (wir wissen schon: eine noch viel schlechtere Idee). Es wird nämlich weiterhin vermutet, in Alices Blut die Lösung für ein Serum gegen den T-Virus zu finden. In diesen Szenen orientiert sich der Film einmal mehr an einem seiner großen Vorbilder, nämlich George Romeros ZOMBIE 2, aus dem er die Laborszene, in der sich ein Zombie an die Bedienung von Geräten erinnert, fast eins zu eins übernimmt.

Das Tyrant-Monster
Ein unangehemer Zeitgenosse: Der zum Monster Tyrant mutierte Dr. Isaacs.

In weiterer Folge der Geschichte entwickeln unsere Überlebenden die Hoffnung, in Alaska einen sicheren Lebensraum zu finden (das Setup für Teil 4). Es stellt sich heraus, daß die Umbrella Coperation Alice ein- und ausknipsen, Alice diese Funktion aber innerlich bekämpfen und überwinden kann, und daß sie mental mit ihren ganzen Klonen irgendwie verbunden ist. Als sie dann in der Wüste die Grube mit den anderen Alices findet, entscheidet sie sich, der Sache auf den Grund und so auf ihre eigene Reise zu gehen, während ihre überlebenden Freunde gen Alaska aufbrechen. Die passen zu diesem Zeitpunkt schon alle in einen Helikopter, denn mehrere von ihnen wurden auf dem Weg dorthin in diversen Zombieattacken, in denen sich die Untoten je nach Bedarf des Drehbuchs entweder langsam schlurfend fortbewegen oder behende Stahlkonstruktionen erklimmen, verspeist.

Die Handlung bleibt also wie bei allen RESIDENT-EVIL-Filmen dünn, die Charaktere und deren Entwicklung noch dünner. Dialog dient der Exposition, weswegen Milla Jovovich in den ersten dreißig Minuten keine zehn Worte spricht. Der Fokus liegt bei RESIDENT EVIL auf etwas anderem: Es ist Action- und Bilderkino, das fetzen und Spaß machen soll. Die Actionsequenzen sind nicht zufällig mit cooler Rockmusik unterlegt. Wie schon angedeutet holt sich die Reihe sehr offensichtlich bei anderen Filmen, was sie brauchen kann. Hier ist es eine MAD-MAX-Welt, durch die sich die Protagonisten bewegen. Im Gegensatz zum klaustrophobischen ersten Teil und der schwarz-blauen urbanen Warzone der Fortsetzung öffnet der dritte Teil hier unter der Regie von Russell Mulcahy den Blick und läßt ihn in die unendlichen Wüstenweiten schweifen. Erst mit diesem Film beginnt es so richtig, ein Konzept der Reihe zu werden, jedem Teil einen ganz eigenen Look, ein ganz eigenes Setting und ganz eigene Farben zu verpassen.

Wehrhafter Frauen: Ali Larter & Spencer Locke
Wehrhafte Frauen: Claire Redfield (Ali Larter, links) und K-Mart (Spencer Locke).

Eines der reizvolleren Elemente, die sich RESIDENT EVIL: EXTINCTION aneignet, ist die Sequenz, in der eine Schar Raben den Autokonvoi angreift. Unverkennbar bedient sich Autor und Produzent Paul W.S. Anderson bei DIE VÖGEL, aber er bleibt nicht beim bloßen Zitat, sondern spinnt die Idee mit einer Frage in seiner Welt weiter: "Was wäre, wenn die Vögel, die am Ende von Hitchcocks Film jeden Zentimeter der Stadt besetzen, alle vom Fleisch der Infizierten gegessen hätten?" Zugegeben, wahrscheinlich hat sich vor ihm niemand diese brennende Frage gestellt, aber es wird eine coole und nicht alltägliche Actionsequenz daraus.

RESIDENT EVIL: EXTINCTION ist auch der Film der Reihe, der am meisten Bezug zu unserer tatsächlichen Welt herstellt. Wir sehen das von der Wüste fast verschluckte Las Vegas, BMW-Logos, Nevada-Poster an Tankstellen und Salt-Lake-City-Straßenschilder. Die Protagonisten machen sich zumindest kurz Sorgen um Nahrung und Benzin. Und trotzdem ist es die knallbunte Phantasie eines gefühlt 12-Jährigen. Sämtliche RESIDENT-EVIL-Filme wirken, als wären sie für Kinder gemacht, die eigentlich zu jung sind, um sich solche Filme anzusehen. Deshalb sehen hier auch alle Menschen immer ansehnlich und cool aus, haben nach fünf Jahren Zombieapokalypse saubere Fingernägel, reine Haut, gewaschene und gestylte Haare und nach ebenso langer Zeit Konservennahrung immer noch perfekt weiße Zähne. Und deshalb kann der gute Carlos als Opfer sterben, ohne daß es emotional groß ins Gewicht fällt, sondern er darf als letzten Wunsch noch einmal, ganz der Cowboy, lässig an einer Zigarette ziehen.

Ein weiblicher Westernheld: Milla Jovovich
Milla Jovovich als weiblicher Westernheld.

Apropos Cowboy: Es ist nach so langer Zeit auch spannend, welche Themen, Ideen und Interpretationen sich im Gesamtbild der Reihe herauskristallisieren. Nie haben es die Filme thematisiert, daß hier eine Frau die Hauptfigur und das unbesiegbare Action-Badass ist. Ganz im Gegenteil – es war immer selbstverständlich. Und in RESIDENT EVIL: EXTINCTION, der sich aufgrund seines Settings ja auch am Westerngenre hübsch bedient, verwandelt sich Milla Jovovich ganz automatisch in den wortkargen Cowboy, der schneller schießt als jeder andere im Westen – eigentlich der Prototyp des männlichen Helden schlechthin.

Ohne je ein großes Statement geplant zu haben, unterläuft RESIDENT EVIL hier Geschlechterstereotype. Das einzige Ausrufezeichen diesbezüglich setzt der Film gegen Ende: Alice liegt fast besiegt am Boden, der körperlich verunstaltete – er hat sich zuviel Aufputsch-Testosteron-Zombie-Anti-Irgendwas-Serum gespritzt – Mann Dr. Isaacs steht über ihr und erklärt, er habe immer gedacht, sie sei die Zukunft, doch jetzt habe er erkannt, er selbst sei die Zukunft. Alice beginnt zu lachen und antwortet: "You are not the future. You're just another asshole." Kurz darauf wird Isaacs vom Gitterlaser, den ein weiterer Alice-Klon bedient, in kleine Häppchen zerlegt, und die Armee von geklonten Alices macht sich auf, um der Umbrella Coperation zu zeigen, wo der Bartl den Most holt.


Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE - Alles anders im nächsten Level



Resident Evil: Extinction
Regie: Russell Mulcahy
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: David Johnson
Musik: Charlie Clouser
Darsteller: Milla Jovovich, Oded Fehr, Ali Larter, Iain Glen, Ashanti, Spencer Locke, Mike Epps, Jason O'Mara

Die Screenshots stammen von der BluRay (C) Constantin Film Verleih GmbH.

RESIDENT EVIL: AFTERLIFE - Neue Levels, neue Identitäten

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Milla Jovovich und Ali Larter treten in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE wieder gemeinsam zum Kampf an

Es scheint, als würde Alice nie aus ihrem Horror-Wunderland herausfinden: Zusammen mit ihren zahlreichen Klonen, die sie am Ende von RESIDENT EVIL: EXTINCTION in den Laboratorien von Umbrella fand, zieht sie in Tokyo in den Kampf gegen Umbrella-Chef Wesker. Leider vergebens: Sein Hauptquartier kann zwar (unter Opfer sämtlicher Klone) vernichtet werden, Wesker selber entkommt aber – und kann Alice mithilfe eines Serums ihre übermenschlichen Fähigkeiten entziehen. Sie ist wieder ein normaler Mensch, nicht mehr das hochgezüchtete Forschungsprojekt von Umbrella.

So streift sie einmal mehr durch das postapokalyptische Land, das schon lang von den Zombies überlaufen wurde, und sucht nach der rettenden Kolonie Arcadia, zu der ihre Gefährten in EXTINCTION aufgebrochen waren. In den Ruinen von Los Angeles findet sie in einem Hochsicherheitsgefängnis einige Überlebende, die sich dort verschanzt haben. Von ihnen erfährt Alice die Wahrheit über Arcadia: Es ist ein Schiff, das die Küste entlangfährt, um Menschen zu retten. Aber wie kommt die Gruppe bis dorthin, wenn das Gefängnis von Tausenden von Zombies belagert wird?

Neue Herausforderungen für Milla Jovovich, Ali Larter, Spencer Locke und Wentworth Miller
Neue Herausforderungen am Horizont für Claire Redfield (Ali Larter), Alice (Milla Jovovich),
K-Mart (Spencer Locke) und Chris Redfield (Wentworth Miller, v.l.).

Auch RESIDENT EVIL: AFTERLIFE, der vierte Teil der Zombie-Saga, folgt dem Prinzip der Vorgänger: Romero-Zombies treffen auf einen munteren Mix aus verschiedensten Filmzitaten und einigen Videospielzutaten. Hauptinspiration ist diesmal – neben George Romeros Klassiker ZOMBIE – wie schon beim zweiten Teil APOCALYPSE ein John-Carpenter-Film: Dort war es das urbane Setting von DIE KLAPPERSCHLANGE, das als Vorlage diente, hier ist es der (seinerseits teils von Romeros DIE NACHT DER LEBENDEN TOTEN inspirierte) Thriller ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT, dessen Geschichte vom verlassenen Polizeirevier, das von einer brutalen Gang belagert wird, hier deutlich zu spüren ist. Neben einem Gefangenen, dem die anderen Überlebenden in der Notsituation vertrauen müssen, wird unter anderem das Bild der zugeworfenen Waffe gleich zweimal zitiert (Carpenter wiederum verwies damit auf den Hawks-Western PANIK AM ROTEN FLUSS: Die Filmgeschichte ist ein Labyrinth aus sich widerspiegelnden und weitergereichten Bildern und Motiven). Außerdem klingt Carpenters DAS DING AUS EINER ANDEREN WELT an, wenn sich manche Zombies und die wiederkehrenden Zombiehunde aus dem alten Körper heraus in neue Kreaturen verwandeln.

Interessant ist bei all den Querverweisen – manche konstant in der Reihe, andere erstmals hinzugezogen oder anders konfiguriert – nicht nur, wie sich die Identität der einzelnen Filme immer wieder neu zusammenfügt, sondern auch, wie die Identität der Hauptfigur dabei als ebensolche Variable behandelt wird. Schon im ersten Teil war Alice durch eine Amnesie von ihrer Vergangenheit gelöst: Sie war ein weißes Blatt, das nur mit den Geschehnissen befüllt wird, die wir ab sofort mit ihr erleben. Selbst die Flashbacks wiederkehrender Erinnerungen haben ihr keine Geschichte gegeben, sondern funktionierten rein zur Bestimmung einer Identität, die auch im Jetzt relevant ist: Die Umbrella-Security-Angestellte wird zur Rebellin gegen den omnipotenten "Big Brother".

Albert Wesker (Shawn Roberts) kämpft gegen Alice
Umbrella-Chef Albert Wesker (Shawn Roberts) tritt diesmal persönlich zum Kampf an.

In den Fortsetzungen wurde an Alice dann experimentiert, sie bekam übernatürliche Fähigkeiten wie die Telekinese, sie wurde von Umbrella ferngesteuert, zur Waffe herangezüchtet und geklont – und hier in AFTERLIFE wieder zum Mensch gemacht. Es ist ein stetiger Angriff auf ihre Selbstbestimmtheit, ein dauernder Wandel dessen, was diese vergangenheitslose Frau nun eigentlich ausmacht – und es ist wohl passend, daß Paul W.S. Anderson, das Mastermind der Filmreihe, die Zombieapokalypse selber im Kontext einer Identitätsfrage sieht: "In the modern world, there’s a real genuine fear of loss of individuality and I think the undead speak to that", erklärte er die Popularität des Genres im Interview mit Collider.

Nachdem er bei APOCALYPSE und EXTINCTION zwar als Autor und Produzent die Reihe weiterbetreute, aber die Regie an Alexander Witt bzw. Russell Mulcahy abgab, übernahm Anderson für diesen vierten Teil auch wieder selber die Inszenierung – und konnte die Filmserie damit zu neuen Höhenflügen pushen. Freilich ist die Handlung so schlicht und gleichzeitig konstruiert wie eh und je, und freilich werden zahlreiche Figuren erneut nicht mal als Typen registriert, sondern bleiben reine Bilder, die sich nur über den Schauspieler definieren, der sie verkörpert. Und ja, Bösewicht Wesker wirkt mit seiner angeschraubten Sonnenbrille als Mischung aus MATRIX-Agent Smith und Videospielheld Duke Nukem so künstlich und steif, daß es einen nicht wundern würde, wenn er sich als reine Computeranimation entpuppen würde.

Claire Redfield (Ali Larter) kämpft gegen den Henkerszombie
Claire Redfield (Ali Larter) im Kampf gegen den Henkerszombie.


Dennoch: Was Anderson, seit jeher schon ein Actionstilist ohne Interesse an schnödem Realismus, in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE an Bildern und Sequenzen designt, ist bemerkenswert. Ein ums andere Mal entreißt er die Action den Fesseln der Physik, orchestriert sie unter massivem Einsatz von Zeitlupen und stylisch komponierten Bildern – alleine schon die brillante Sequenz, in der Alice und ihre Gefährtin Claire Redfield in einem Waschraum in Slow Motion gegen ein gigantisches Henkersmonster kämpfen, während aus kaputten Rohren Wasserfontänen herausschießen und auf sie niederprasseln, zeigt, wie Anderson seine Welt zur fast surreal artifiziellen Choreographie formt.

Ursprünglich wollte Anderson in RESIDENT EVIL: AFTERLIFE zum ersten Mal ein optimistisches Ende setzen, ließ sich aber umstimmen. So kann Alice auch hier nur wenige Sekunden lang die Stimme der Hoffnung sein, bevor der nächste Angriff der Umbrella Corporation sie wieder beansprucht. Mal sehen, welche Identität die im nächsten Level für sie angedacht haben …


Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE - Alles anders im nächsten Level
RESIDENT EVIL: EXTINCTION - MAD-MAX-Zombies und Genderklischees





Resident Evil: Afterlife (Deutschland/Frankreich/USA/Kanada 2010)
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: Glen MacPherson
Musik: tomandandy
Darsteller: Milla Jovovich, Ali Larter, Kim Coates, Shawn Roberts, Boris Kodjoe, Wentworth Miller, Spencer Locke, Sienna Guillory, Kacey Barnfield, Sergio Peris-Mencheta

RESIDENT EVIL: RETRIBUTION - Der Kampf durch die Erlebniswelt

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Milla Jovovich in RESIDENT EVIL: RETRIBUTION

Als Videospielverfilmung hatte die RESIDENT-EVIL-Reihe von Anfang an, auch wenn sie eigene Stories und Figuren entwickelte, das Spielprinzip fest im narrativen Aufbau verankert: Ein Areal nach dem nächsten wird abgeschritten, im nächsten Level warten brutalere Gegner und ein neuer Endboss, und hinter jeder Kurve wartet die nächste Überraschung. Auch wenn Hauptfigur Alice nie Teil der Spieleserie war, ist es doch nur recht und billig, daß sie sich in RESIDENT EVIL: RETRIBUTION, dem fünften Teil der Filmreihe, tatsächlich durch eine Art Computerspiel kämpfen muß.

Für sie ist es freilich kein Spiel: Alice (Milla Jovovich) erwacht, einmal mehr in die Fänge der omnipotenten Umbrella Corporation geraten, in einer gigantischen Unterwasser-Einrichtung. Hier läßt Umbrella hochrealistische Computersimulationen laufen, die in verschiedenen Szenarien die Verbreitung des T-Virus simulieren: Zombieapokalypse in der beschaulichen Vorstadt, auf dem Times Square in New York, auf dem Roten Platz in Moskau. Bei der Flucht aus diesen tödlichen Katastrophenspielen hilft ihr nicht nur eine Kämpferin namens Ada Wong (Li Bingbing), sondern ausgerechnet der ehemalige Umbrella-Chef Albert Wesker, noch im Vorgängerfilm ihr Erzfeind – er wurde nämlich von seinem Supercomputer, der Roten Königin, übertrumpft und braucht Alice nun im Kampf gegen die mörderische künstliche Intelligenz.

Milla Jovovich und Li Bingbing kämpfen sich durch Computersimulationen
Alice (Milla Jovovich, links) und Ada Wong (Li Bingbing) kämpfen sich durch Computersimulationen.

Ebenso einmal mehr erwacht auch eine andere Alice: eine Hausfrau und Mutter in eben jener beschaulichen Vorstadt – über die besagter Zombieangriff einbricht. Diese Alice ist ein Klon unter vielen, die die Umbrella Corporation herstellt, um ihre Simulationen zu bevölkern. In den Hallen dieser Computerwelten werden wir also immer wieder auf bekannte Figuren in neuen Konstellationen treffen – darunter Versionen der Soldatin Rain aus dem ersten RESIDENT EVIL (Michelle Rodriguez) und Versionen des Kämpfers Carlos aus APOCALYPSE und EXTINCTION (Oded Fehr).

Regisseur Paul W.S. Anderson verwendet die künstlichen Umgebungen, um die schon in den Vorfilmen angelegten Identitätsspiele der Hauptfigur auf die Spitze zu treiben – und bezieht diesmal auch die anderen Figuren ein. Der erwähnte Alice-Klon ist als Mutter weit entfernt von der Alice, die wir bislang begleitet haben, unsere Original-Alice wird dagegen erneut zum Umbrella-Projekt, das schlußendlich auch wieder mit besonderen Fähigkeiten ausgerüstet wird. Rain tritt als Soldatin für die Schurkenfirma auf, als friedliche Normalsterbliche und als mutierte Überkämpferin. Carlos darf braver Ehemann und kalter Soldat sein. Selbst die Figuren, die nicht Teil der Simulation sind, zeigen sich als ständige Identitätswandler: Wesker wird vom Gegner zum Helfer, die aus APOCALYPSE bekannte Polizistin Jill Valentine dagegen tritt plötzlich, wie schon im Ende von AFTERLIFE angedeutet, als Umbrella-Söldnerin auf.

Milla Jovovich kämpft gegen Zombies
Wieder im Kampf gegen Zombies: Alice (Milla Jovovich).

So wandelbar wie die Figuren zeigte sich stets auch die Filmreihe selber: Vom ALIENS-inspirierten Kampf durch die von den Zombies befallenen Umbrella-Labore des ersten Teils über die KLAPPERSCHLANGE-hafte Flucht aus der abgeschotteten Stadt, dem MAD-MAX-artigen Trip durch die postapokalyptische Wüste und das ASSAULT-angelehnte Belagerungsszenario der Fortsetzungen zitierte sich Anderson eifrig durch seine Lieblingsfilme, verband seine Inspirationen aber jedes Mal zu einer eigenständigen Melange mit jeweils eigenem Look.

So auch diesmal: ALIENS ist einmal mehr allgegenwärtig, vom bewaffneten Kampf durch das feindliche Territorium hin zu einem Newt-angelehnten Mädchen, das sogar von einem Monster geschnappt und in einen Konkon gesponnen wird. Erstmals ist Zombie-Urvater George Romero mit seinen Filmen kein Anknüpfungspunkt – dafür sind es die künstlich geschaffenen Umgebungen von WESTWORLD und die entfesselten, fast ballettartigen Kampfchoreographien des Asienkinos.

Fetisch-Amazonen vor dem Kampf: Sienna Guillory, Li Bingbing, Michelle Rodriguez
Fetischamazonen vor dem Kampf: Jill Valentine (Sienna Guillory),
Ada Wong (Li Bingbing) und Rain (Michelle Rodriguez).

Überhaupt ist "entfesselt" das richtige Wort, um RETRIBUTION zu beschreiben: Dank der Künstlichkeit der Umgebung und der Entkopplung von räumlichen Zusammenhängen kann Anderson seinem filmischen Spieltrieb freien Lauf lassen. Mehr noch als in AFTERLIFE ist hier jedes Bild hochstilisiert und durchkomponiert, zu wummerndem Elektro-Industrial-Score mit wunderschönem Streichermotiv inszeniert er jede Actionsequenz als perfekt arrangierte Tänze aus Bewegungen und Farben, kostet die bizarre Schönheit jedes Moments unter massivem Einsatz von Zeitlupe aus.

Da werden die niedergemähten Zombies in einem strahlend weißen Gang mit strengem Gittermuster drapiert, als wären es Einrichtungsgegenstände einer exzentrischen Modeschau, anderswo flitzen die Helden im Rolls-Royce über den simulierten Roten Platz vor einem Monster fort. Die eröffnende Actionsequenz läuft rückwärts in Slow Motion ab, als wäre neben der Physik auch die Chronologie überwindbar. Wenn zum Schluß die Kampfamazonen in ihren hautengen Fetischkostümen ihren letzten Kampf im sanft rieselnden Schnee austragen, ist das Szenario makellos in den Farben Weiß, Schwarz und Blau durchdesignt. Auf dem Audiokommentar gibt Anderson sogar an, für ein Bild, in dem Unterwasserzombies ein Opfer nach unten ziehen wie die gequälten Seelen einen Verdammten in die Hölle, Gemälde von Brueghel, Bosch und William Blake aufgegriffen zu haben.

Es ist egal, wieviel Sinn das alles macht, wie konstruiert der doch so simple Plot funktioniert oder wie wenig die Figuren tatsächlich als solche hergeben: RETRIBUTION ist ein ästhetisches Erlebnis – und Paul Anderson hat mit der RESIDENT-EVIL-Reihe die perfekte Spielwiese für seine Fähigkeiten.


Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE - Alles anders im nächsten Level
RESIDENT EVIL: EXTINCTION - MAD-MAX-Zombies und Genderklischees
RESIDENT EVIL: AFTERLIFE - Neue Levels, neue Identitäten




Resident Evil: Retribution (Deutschland/Kanada/USA/Frankreich/England 2012)
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: Glen MacPherson
Musik: tomandandy
Darsteller: Milla Jovovich, Sienna Guillory, Michelle Rodriguez, Li Bingbing, Aryana Engineer, Boris Kodjoe, Johann Urb, Kevin Durand, Oded Fehr, Colin Salmon, Shawn Roberts

Die Screenshots stammen von der BluRay (C) Constantin Film Verleih GmbH.

RESIDENT EVIL: THE FINAL CHAPTER - Die letzte Reise ins Labyrinth der Identitäten

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Milla Jovovich in RESIDENT EVIL: THE FINAL CHAPTER

Die Geschichte der RESIDENT-EVIL-Filme ist eine Geschichte der ständigen Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. In fünf Filmen schickte Mastermind Paul W.S. Anderson seine Hauptfigur Alice durch die Zombieapokalypse, während ihre eigene Identität gesucht und stets neu bestimmt wird: keine Vergangenheit dank Gedächtnisverlust, Mensch und Übermensch, Original und Kopie, Genexperiment und selbstbestimmte Kämpferin.

Im sechsten und vorgeblich letzten (wollen wir wetten?) Teil der Reihe, RESIDENT EVIL: THE FINAL CHAPTER, soll das Vexierspiel um ihre Identität nun endgültig ein Ende finden. Am Ende des Vorgängers RETRIBUTION wurde sie von Wesker, dem Chef der sinistren Umbrella Corporation, nach Washington geholt, um dort beim letzten Gefecht gegen die Zombiehorden zu helfen, die den Erdball überrennen. Stattdessen hat er sie aber betrogen und alleine zurückgelassen – aber dafür erhält sie Informationen der Red Queen, der künstlichen Intelligenz von Umbrella, daß es ein Antivirus gibt, das sich durch die Luft verbreiten würde. Um das finden und einsetzen zu können, muß Alice zurück in den "Hive", die Untergrundlabore von Raccoon City, in der die Geschichte einst ihren Lauf nahm – aber leider hat die Umbrella Corporation andere Pläne …

Alice streift durch die Ruinen von Washington
Alice (Milla Jovovich) streift durch die Ruinen von Washington.

Mit der Identitätssuche von Alice ging in der Zombie-Reihe auch stets eine spannende Identitätswandlung von Film zu Film einher: Ausgehend von einer herzhaften Mischung aus den Zombiefilmen von George Romero, James Camerons SF-Actiontrip ALIENS und natürlich der zugrundeliegenden Videospielreihe selber bekam jeder RESIDENT-EVIL-Teil einen eigenen Look und bestimmte filmische Referenzpunkte verpasst – ob es John Carpenter war (DIE KLAPPERSCHLANGE in APOCALYPSE, ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT in AFTERLIFE), die postapokalyptische MAD-MAX-Reihe (EXTINCTION) oder andere Phantastik-Klassiker wie WESTWORLD und DER OMEGA-MANN.

Auch THE FINAL CHAPTER setzt sich wieder neu zusammen – auch wenn die Einflüsse diesmal hauptsächlich solche sind, die schon einmal in der Serie aufgetaucht sind, von der MAD-MAX-artig verwüsteten Erde ist hin zur aus der KLAPPERSCHLANGE entliehenen Armbanduhr mit Countdown, bis wann die Mission erfüllt sein muß. Trotzdem wirft Anderson wieder neue Aspekte in den Topf, die THE FINAL CHAPTER frisch halten: Da kämpft Alice in der Ruinenstadt Washington gegen ein Drachenmonster wie in DIE HERRSCHAFT DES FEUERS, während sich anderswo die leitende Kraft hinter Umbrella als fanatischer Weltuntergangsprophet entpuppt, der mit sanftem Tippen auf die Bibel an eine vorige, "höchst erfolgreiche" Säuberung des Planeten von der aus der Kontrolle geratenen Menschheit erinnert.

Umbrella-Chef Dr. Isaacs
Dr. Isaacs (Iain Glen) führt Umbrella durch die Apocalypse.

Abermals paßt Anderson auch die Ästhetik wieder an das neue Endzeitgebräu an. Die fast surreal arrangierten, durchdesignten Actionsequenzen von AFTERLIFE und RETRIBUTION gehören der Vergangenheit an, stattdessen setzt er auf dreckigen Realismus: Statt Zeitlupe und tanzartigen Kämpfen gibt es rasante Konfrontationen, die mit losgelöster Kamera und schnellem Schnitt eingefangen werden. Wo selbst tödliche Auseinandersetzungen vor allem in RETRIBUTION noch mit entrückter Ästhetik präsentiert wurden, setzt THE FINAL CHAPTER auf ungeschliffene Direktheit: Die Körper werden viel stärker in Mitleidenschaft gezogen, Blut und Wunden drastischer eingesetzt.

Es ist faszinierend, wie es Anderson damit erneut schafft, einer Fortsetzung einen eigenständigen Charakter zu geben. Zumal er seine Alice-Geschichte tatsächlich zu einem befriedigenden Ende bringt: Einmal mehr taucht die Hauptfigur in das Spiegellabyrinth mit seinen wiederkehrenden Motiven und Szenen ein, die immer wieder in der Reihe aufgetaucht und abgewandelt wurden – aber diesmal zieht Anderson alle Fäden zusammen, als wäre es eine große Oper aus Vertrauen und Verrat, in der ein Mensch über seinen Schöpfer triumphieren kann.

"My name is Alice", sagt die Protagonistin zum Schluss: Identität geklärt.


Die RESIDENT-EVIL-Retrospektive auf Wilsons Dachboden:
RESIDENT EVIL: Zombie-Zitate mit Spielelogik
RESIDENT EVIL: APOCALYPSE - Alles anders im nächsten Level
RESIDENT EVIL: EXTINCTION - MAD-MAX-Zombies und Genderklischees
RESIDENT EVIL: AFTERLIFE - Neue Levels, neue Identitäten
RESIDENT EVIL: RETRIBUTION - Der Kampf durch die Erlebniswelt



Resident Evil: The Final Chapter
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Paul W.S. Anderson
Kamera: Glen MacPherson
Musik: Paul Haslinger
Darsteller: Milla Jovovich, Iain Glen, Ali Larter, Shawn Roberts, Ruby Rose, Eoin Macken, Fraser James, Ruby Rose, Rola, Ever Anderson, Lee Joon Gi

Die Screenshots stammen aus dem offiziellen Trailer, (C) Sony Pictures Entertainment.

THE BEAR ESSENTIALS: Ein Kuschelbär auf Last-Minute-Nahrungssuche

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Der Wald in THE BEAR ESSENTIALS

Nicht jeder Bär denkt daran, sich rechtzeitig Vorräte für den harten Winter zuzulegen: Der Protagonist aus dem C64-Game THE BEAR ESSENTIALS hat den Sommer mit anderen Tätigkeiten vertrödelt (womöglich mit Computerspielen!) und wird nun kurz vor Wintereinbruch von Frau Bär ermahnt, endlich loszuziehen und Nahrung zu beschaffen, damit die Bärenfamilie überleben kann. Exakt 326 Äpfel soll unser Herr Bär zusammensammeln – aber die sind im Wald, im Dschungel, in luftigen Höhen, felsig zerklüfteten Höhlen und einer mysteriösen Mine versteckt und nur unter Lebensgefahr zu erreichen.

Es sieht nach einem klassischen Commodore-Game aus den Achtzigern aus, was der Engländer Graham Axten hier im Alleingang designt hat. Tatsächlich ist THE BEAR ESSENTIALS aber ein brandneues Spiel, das er auf dem alten Rechner programmiert hat und Ende 2016 veröffentlichte – spielbar entweder am Emulator oder am tatsächlichen C64, sofern man noch einen in Betrieb hat.

Das Spiel ist im traditionellen Jump'n'Run-Stil gehalten: Man steuert Herrn Bär durch verschiedene seitlich arrangierte Bildschirme, sammelt dort die begehrten Äpfel ein und versucht mit Sprüngen, die nächsten Plattformen zu erreichen oder den zahlreichen Gegnern aus dem Weg zu gehen. Eigentlich sollte man ja meinen, daß so ein Bär sich in der Natur den nötigen Respekt schaffen könnte – aber unser wuschliger Held ist offenbar noch jung und innerlich eher ein Teddy, weshalb ihm selbst dahergelaufene Schnecken, Würmer und Frösche gefährlich werden können.

Hier lernt man erst, welche Strapazen so ein Bär bei der Nahrungssuche auf sich nehmen muß.

Die ersten Schirme sind nicht allzu schwer, den Wald hat man recht schnell abgegrast. Im Wolkenreich, wo man an langen Ranken bis in schwindlige Höhen klettern muß, und im Dschungel, wo man schneller die Orientierung verliert, wird die Apfelsuche schon eher zur Herausforderung. Die Felslandschaften sind dann schon richtig trickreich – da bröselt der Boden manchmal gleich unter einem weg, wenn man einen Bildschirm betritt, und unten drunter warten tödliche Spitzen. Die abschließende Mine geht stilistisch ganz andere Wege und ist mit ihren Fallen teils schon sadistisch designt. Allerdings besitzt man ab diesem Level unendlich viele Continues, weshalb hauptsächlich Hartnäckigkeit gefragt ist – zuvor ist das Bärendasein auf fünf Leben beschränkt, zu denen aber einige Extraleben und Continues gefunden werden können.

Mitunter können die Bildschirme nicht linear durchschritten werden: Auf manche Plattformen kommt man beispielsweise nur, wenn man sich aus einem anderen Level dorthin herabstürzen kann. Außerdem schwirrt in jedem Bereich eine Art Endgegner herum, bei dem sich das Einsammeln der Äpfel mühsamer gestaltet – wehren kann sich unser Kuschelbär leider nicht gegen die Riesenvögel und sonstigen imposanten Gestalten, nur Ausweichmanöver helfen hier. Wer übrigens auf eine verständnisvolle Ehefrau setzt, hat Pech: Selbst, wenn nur ein Apfel der 326 nicht eingesammelt wurde, wird Herr Bär von seiner gestrengen besseren Hälfte unerbittlich zurück in den Wald geschickt.

Anfangs sieht die Felslandschaft noch harmlos aus ...

THE BEAR ESSENTIALS punktet nicht nur durch intuitive und flüssige Spielbarkeit und eine geschickte Balance aus Herausforderungen und Fairness, sondern nebenbei auch durch seine immens niedliche Aufmachung: Schon unser Bär sieht einfach zu herzig aus, wenn er durch die Szenarien stapft, aber auch seine comichaft gezeichneten Gegner sind süß anzusehen. Man spürt die Liebe, die Axten in sein Spiel investiert hat.

Das Disketten-Image zum Spiel kann auf der Seite von Pond Software heruntergeladen werden. Im Februar soll auch eine physische Version mit Jewel Case, Anleitung und blauer Diskette veröffentlicht werden, die man bei Pond für £10 (plus Porto) vorbestellen kann.

Lichtspielplatz #14 - Leinwandmagier Georges Méliès und die Anfänge des Kinos

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Der französische Magier Georges Méliès ist eine der einflußreichsten Figuren in der Geschichte des Kinos: Er erfand zahlreiche Special Effects, gilt als Vater der Leinwandphantastik und war einer der ersten, die die bewegten Bilder zum Erzählen von Geschichten verwendeten. Zwischen 1896 und 1913 drehte er über 500 Filme. Wir reden nicht nur über seinen berühmtesten, LA VOYAGE DANS LA LUNE (DIE REISE ZUM MOND) von 1902, sondern auch über andere bemerkenswerte Werke von ihm - darunter auch der welterste Film mit Horrorthematik. Außerdem werfen wir einen Blick auf die Anfangstage des Kinos rund um die Erfindung der Gebrüder Lumière und sprechen über ein paar moderne Méliès-Huldigungen, unter anderem von Martin Scorsese und den Smashing Pumpkins.

Viel Spaß!


Das mp3 kann HIER heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Der Screenshot stammt von der BluRay von DIE REISE ZUM MOND, (C) 2012 StudioCanal GmbH.

LAURA: Eine erotische Expedition von und mit der "echten" Emmanuelle

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Annie Belle in LAURA

Als 1974 Just Jaeckins Verfilmung von Emmanuelle Arsans Skandalroman EMMANUELLE ODER DIE SCHULE DER LUST zum Millionenerfolg wurde, war die Nachfrage nach weiteren Emmanuelle-Filmen und Erotikgeschichten im selben Fahrwasser enorm: schwelgerische Bilder, geschmackvoll abgelichtete Körper, frei ausgelebte Sexualität, etwas Exotik und ein Schuß Philosophie. Einer der Epigonen war ein weiteres Arsan-Projekt: Die Verfilmung ihres Buchs LAURE, auf Deutsch LAURA, geschrieben und inszeniert von Emmanuelle Arsan höchstselbst.

Aber halt: Ganz so einfach ist die Frage nach der Autorenschaft von LAURA nicht geklärt – immerhin heißt es im Vorspann "Regia di Anonimo". Auch die Erstauflage von EMMANUELLE war noch anonym publiziert, später wurde "Emmanuelle Arsan" als Pseudonym verwendet. Dahinter verbarg sich, wie sich später herausstellte, die Diplomatenehefrau Marayat Rollet-Andriane. Eigentlich, behauptet LAURA-Produzent Ovidio G. Assonitis allerdings, soll tatsächlich ihr Mann Louis-Jacques Rollet-Andriane Autor der Bücher gewesen sein und auch LAURA zusammen mit Kameramann Roberto D'Ettorre Piazzoli inszeniert haben – das Arsan-Pseudonym diente dazu, seine Diplomatenkarriere nicht zu gefährden. Allerdings scheint Assonitis die Hauptquelle dieser Information zu sein – und nachdem er sich allem Anschein nach beim LAURA-Dreh mit Rollet-Andriane verkracht hat und auch sonst Konfrontationskurs mit seinen Mitarbeitern fährt (siehe James Camerons Arbeit an PIRANHA II), darf man zumindest hinterfragen, ob die Wahrheit nicht vielleicht doch komplexer ist als hier behauptet.

Annie Belle und Orso Maria Guerrini in LAURA
Laura (Annie Belle) betört nicht nur Prof. Morgan (Orso Maria Guerrini).

So oder so kann man sehen, daß LAURA (der später auch als EMMANUELLE FÜR IMMER bzw. im Englischen als FOREVER EMMANUELLE vermarktet wurde) aus derselben Feder stammt wie EMMANUELLE: Auch hier erforschen die Protagonisten vor fernöstlicher Kulisse das Konzept offener Beziehungen und freier Liebe, auch hier wird im philosophischen Tonfall über die Bedeutung von Sexualität gesprochen, und die Titelfigur ist jene moderne, ihren Sinnesfreuden aktiv nachgehende Frau, zu der auch Emmanuelle in ihrem ersten Film wurde.

Schauplatz ist diesmal die philippinische Hauptstadt Manila, in der die junge Predigertochter Laura (Annie Belle) den Dokumentarfilmer Nicolas (Al Cliver) kennenlernt und eine Liaison mit ihm eingeht. Nicolas sammelt Filmmaterial über die Liebe und hat dazu eine sehr offene Haltung: Weil er sich in Laura verliebt, ist es ihm auch recht, wenn sie sich mit anderen Männern und Frauen vergnügt – weil sie dadurch glücklich wird und er das damit auch spüren kann. Über Laura lernt Nicolas auch den Anthropologen Prof. Gaultier Jones Morgan (Orso Maria Guerrini), dessen Frau Natalie (Michele Starck) und deren Freundin Myrte (Emmanuelle Arsan selber) kennen. Morgan will die Mara erforschen, einen fast ausgestorbenen Stamm, der abgeschieden auf einer nahegelegenen Insel lebt und ein interessantes Ritual pflegt: Zu jeder Sommersonnenwende vergessen sie ihre alten Identitäten und beginnen somit ein neues Leben mit neuen Partnern und Interessen.

Emmanuelle Arsan und Michele Starck in LAURA
Die echte Emmanuelle verhält sich wie ihre Romanfigur: Myrte (Emmanuelle Arsan, links) und Natalie (Michele Starck).

Wie EMMANUELLE spielt auch LAURA in der Welt der Reichen und Schönen – was stets als Teil der verführerischen Phantasie funktioniert: Nicht nur, daß ihre Umgebung wie ein ästhetischer Einrichtungskatalog stetes Wohlbefinden suggeriert – die Protagonisten haben auch keinerlei Sorgen oder alltägliche Verpflichtungen, weshalb sie sich ganz den angenehmen Seiten des Lebens widmen können. Auch die exotische Kulisse dient als sinnlich-entrückte Erfahrung – wobei LAURA mit seiner Expedition in die Wildnis wie ein Brückenschlag beinahe verständlich macht, wieso das Fremde und Wilde im europäischen Film einerseits so oft mit der Sexualität gekoppelt, andererseits gern in Tabubrüche anderer Art geführt wurde. Auch wenn Lauras Erkundung des Dschungels keinerlei Gefahren außer dem möglichen Identitätsverlust zu Tage bringt: Von hier aus ist der Blick frei in Richtung der MONDO-CANE-Ableger oder einer Erotik-Horror-Kombination wie Aristide Massaccesis NACKT UNTER KANNIBALEN (der ja ohnehin im EMMANUELLE-Fahrwasser entstand).

Mehr noch als EMMANUELLE unterhalten sich Laura und ihre Bekannten gerne in philosophischen Aphorismen: "Ein Jahr ohne Angst kann wie ein ewiges Leben sein", heißt es an einer Stelle, "Meine Liebe für die Schönheit und meine Liebe für dich sind ein und dasselbe" an einer anderen. Die Dialoge zielen nicht auf Realismus ab, sondern lassen die Figuren eher wie Ideenträger funktionieren. "Pseudophilosophisches Gerede" nennt das das Lexikon des Internationalen Films, weil es tatsächlich schwer fällt, aus den Sentenzen aussagekräftige Konzepte abzuleiten – aber wenn man LAURA wie EMMANUELLE als Phantasie versteht, in der sich wie im Traum lose Gedanken zu Themen zusammenfügen, passen die Ansätze perfekt: Es geht hier mehr um die Suche nach Identitäten, sexuellen und anderen, als um konkrete Antworten.

Perfekt arrangierte Bildkompositionen: Annie Belle, Al Cliver in LAURA
Perfekt arrangierte Bildkompositionen: Laura (Annie Belle) und Nicolas (Al Cliver).

Unabhängig vom Gehalt seiner Gespräche bietet LAURA jedenfalls einen betörenden erotischen Reigen. Wie im Vorbild wird jeder Moment wie eine verträumte Photostrecke eingefangen, jedes Bilddetail ist perfekt arrangiert, jede zweite Komposition ein Gedicht. Vor allem der Körper der bezaubernden Annie Belle wird mitunter wie ein Kunstwerk inszeniert – zum Beispiel, wenn sie sich im Wasser aus ihrem unschuldig weißen Kleid schält. Dafür mäandert die Erzählung aber auch noch gemächlicher als beim Vorbildfilm.

Zum Schluß nimmt Laura an dem Mara-Ritual teil, das sie der Legende nach von den Fesseln ihrer jetzigen Identität befreien wird. Vielleicht nennt sie sich danach "Emmanuelle Arsan".




Laura (Italien/Frankreich 1976)
Originaltitel: Laure
Alternativtitel: Emmanuelle für immer / Forever Emmanuelle
Regie: "Anonimo" (= Emmanuelle Arsan?)
Buch: Emmanuelle Arsan, Sonia Molteni
Kamera: Roberto D'Ettorre Piazzoli
Musik: Franco Micalizzi
Darsteller: Annie Belle, Emmanuelle Arsan, Al Cliver, Orso Maria Guerrini, Michele Starck

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2013 Neue Donau Film e.k.

TOTAL RECALL - DIE TOTALE ERINNERUNG: Schwarzeneggers schönste Urlaubserinnerungen

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Im folgenden Gastbeitrag erinnert sich unser hochgeschätzter Don Arrigone an Paul Verhoevens Ultra-Violence-Trip TOTAL RECALL. Der Don kann seinen Erinnerungen wenigstens trauen ...



Manche Filmideen wirken auf dem Papier derart absurd, daß man sich fragt, wie sie jemals realisiert werden konnten. Eine Romeo-und-Julia-Adaption von Lloyd Kaufman mit Ian Fraser Kilmister, besser bekannt als Lemmy? Schiffe Versenken als Film, mit Rihanna und Liam Neeson? Oder eine Interpretation einer Kurzgeschichte von Phillip Kindred "Mindfuck" Dick, mit Arnold Schwarzenegger in der Hauptrolle, unter Regie von Paul Verhoeven in der Phase seiner amerikanischen filmischen Gewaltexzesse? Zumindest letzteres hat erstaunlich gut funktioniert, wie TOTAL RECALL belegt - und zwar nicht trotz, sondern gerade wegen der auf den ersten Blick so unterschiedlichen Zutaten.

Douglas Quaid (Arnold Schwarzenegger) ist ein einfacher Arbeiter - so einfach, wie man mit dem Körper eines Mr. Universum und Sharon Stone als Frau nur sein kann. Das einzig Ungewöhnliche an ihm sind seine wiederkehrenden Träume, in denen er sich mit einer schönen Unbekannten auf dem Mars befindet. Diese beeinflussen ihn derart, daß er den Mars schließlich sehen will, aber leider sind solche Reisen recht kostspielig, und seine Gattin ist auch alles andere als begeistert. Daher wählt Quaid die nächstbeste Option: Die Firma Rekall Inc. soll ihm künstliche Erinnerungen an einen Trip zum roten Planeten einpflanzen, um ihn wieder mit seinem einfachen Leben zu versöhnen und von den Träumen zu befreien. Als kleine Zugabe will Quaid noch Spion gewesen sein - einfacher Tourist wäre ja langweilig.

Quaid (Arnold Schwarzenegger) hat wohl nicht nur Erinnerungen eingepflanzt bekommen.

Für den Zuschauer wenig überraschend ist das Ganze dann doch nicht so einfach: Während der Operation wacht Quaid plötzlich auf und besteht darauf, tatsächlich Geheimagent auf dem Mars gewesen zu sein - seine Erinnerungen waren vermeintlich gelöscht worden, kamen durch den Eingriff aber wieder zur Oberfläche. Und damit kommen wir zum wirklich spannenden Element von TOTAL RECALL: Nach nur 15 Minuten kann auch der Zuschauer selbst nicht mehr sagen, was nun Realität und was Einbildung des Hauptcharakters ist, wie in der ungewöhnlich humoristischen Dick-Vorlage wird man mit Fragen zurückgelassen, die mit dem Nachdenken nur noch komplizierter werden. Und dies sei vorweggenommen: TOTAL RECALL hält diese Spannung bis zum Schluß, ganz im Gegensatz zu BLADE RUNNER, dessen Handlung sich in der ewigen und immer wieder neuen Vermarktung schließlich selbst überführte.

Was folgt, ist technisch einwandfreie Science-Fiction-Action: Quaid kämpft sich durch mehrere mitunter sehr blutige Sequenzen und schafft es schließlich tatsächlich auf den Mars, dessen Kolonisation durch detaillierte Modelle und Miniaturen suggeriert wird, auch wenn kein Gefühl für Größe aufkommen will. Kaum dort angekommen, wird er auf den Rebellenführer Kuato aufmerksam, der ihm eventuell weiterhelfen kann. Die Hinweise führen ausgerechnet ins Vergnügungsviertel (wer hätte das bei Verhoeven je vermutet?), das unter anderem auch von diversen Mutanten bewohnt wird. Hier konnten sich die Maskenbildner noch einmal voll ausleben und die offensichtlich investierte Mühe hat sich gelohnt: Ein Großteil der Besonderheiten kann auch über 25 Jahre später noch überzeugen, und auch jene Stellen, an denen der Zahn der Zeit doch ein wenig genagt hat, wirken noch charmant. Kreativ war man ohnehin: verwachsene Gesichter, ein kleinwüchsiger Symbiont, eine Prostituierte mit drei Brüsten - langweilig wird es auf dem Mars nicht.

Böse Buben auf dem Mars: Vilos Cohaagen (Ronny Cox, links) und Richter (Michael Ironside).

Die ganze Zeit über wird die Frage, ob es sich um eine komplizierte Agentengeschichte voller Intrigen und Wendungen handelt oder doch um eingepflanzte Erinnerungen, immer wieder aufgegriffen, allerdings ohne daß dies konstruiert oder übertrieben aufdringlich wirken würde. An sich ist die Geschichte derart überzogen, daß ein vernünftiger Zuschauer wohl eher an die künstlichen Erinnerungen glauben würde, aber da ist ja noch der Faktor Schwarzenegger. Sei es CONAN, TERMINATOR oder PHANTOM-KOMMANDO: Der fachkundige Zuseher hat bereits einen ganzen Kanon vollkommen überzogener Geschichten mit Schwarzenegger konsumiert und kann den Film daher als weiteren Actionstreifen mit dem Exil-Österreicher interpretieren, in dem es keineswegs verwunderlich ist, daß er dutzende Feinde abschlachtet, ohne selbst dabei ernsthaft verletzt zu werden. Daß Verhoeven zuvor ROBOCOP gedreht hat, der ja auch keinen Preis für Bodenständigkeit gewinnen wollte, trägt sein Übriges dazu bei.

Comichaft überzogen, wie für Verhoevens Action typisch satirisch überzeichnet geht es weiter ins große Finale, das in seiner Inszenierung noch einmal geschickt das Hauptelement des Films visualisiert: Quaid hat zuvor im Film einen Hologramm-Projektoren entdeckt, den er nun geschickt nutzt, um die feindliche Überzahl zu dezimieren. Und wieder einmal wissen weder seine Opponenten noch wir als Zuschauer, ob es sich nun um den echten Quaid handelt oder nicht - obwohl die Spannung in dieser kurzen Sequenz stets aufgelöst wird, Hologramm über Hologramm wäre ja auch irgendwann langweilig geworden.

Kann Quaid (Arnold Schwarzenegger) seiner eigenen Ehefrau (Sharon Stone) trauen?

TOTAL RECALL reiht sich perfekt in das Triumvirat Verhoevenscher Action - ROBOCOP, TOTAL RECALL und STARSHIP TROOPERS - ein: Wenn man den Film als gut gemachten, aber dezent trashigen Actionstreifen sehen will, dann steht diesem Vergnügen nichts im Wege. Die äußerste Schicht ist großartiges Popcornkino. Darunter verbergen sich jedoch weitere Bedeutungsebenen, die durchaus zum Nachdenken anregen: Ob der amerikanische Erlöser nicht eher ein Racheengel ist (ROBOCOP), ob wir uns nicht alle nach ein wenig Hochglanz-Faschismus sehnen (STARSHIP TROOPERS), oder ob wir unseren Sinnen und Erinnerungen wirklich trauen dürfen (TOTAL RECALL). Konsequent hat Verhoeven ein schlichtes Äußeres mit einem künstlerischen Kern verbunden - besser so als andersrum. Hoch anzurechnen ist ihm auch, daß er die grundlegende Frage - Traum oder Wirklichkeit - eben nicht auflöst. Ein abschließender Twist wäre clever gewesen. Die Spannung aufrecht zu erhalten hingegen war mutig und brillant.

Und so bleiben wir schließlich mit einem Schwarzenegger auf dem Mars zurück, der sich fragt, ob dies nicht alles ein Traum war. Und wir können ihm glücklicherweise keine Antwort darauf geben.


Mehr zu TOTAL RECALL und der Mars-Besiedelung ist auch in unserem Lichtspielplatz-Podcast #13 zu hören.




Total Recall - Die totale Erinnerung (USA 1990)
Regie: Paul Verhoeven
Buch: Ronald Shusett, Dan O'Bannon, Gary Goldman
Kamera: Jost Vacano
Musik: Jerry Goldsmith
Darsteller: Arnold Schwarzenegger, Rachel Ticotin, Sharon Stone, Ronny Cox, Michael Ironside, Marshall Bell

DAKOTA HARRIS: Ein australischer Indiana Jones

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Dakota Harris und die Statuen der Osterinseln

Flight Lieutenant "Dakota" Harris erhält im August 1945 einen wichtigen Auftrag: Er soll eine Kiste mit geheimem Inhalt von Australien über Bora Bora nach Washington fliegen. Unterwegs gerät die Mannschaft aber in ein Zeitloch, die Maschine stürzt in den Ozean. Harris und seine Mitreisenden werden gerettet – aber dann wird Harris von Major Savage, dem Anführer der Mission, vor das Kriegsgericht gebracht, weil er angeblich während des Fluges wahnsinnig wurde. Harris kann entkommen, bevor er eingesperrt wird, und tut sich mit der Tochter eines weiteren Missionsteilnehmers, Reverend Mitchell, zusammen, der seit der Rückkehr verschwunden ist.

Es stellt sich heraus, daß Savage hinter drei Teilen einer Steintafel her ist, die einst von Außerirdischen auf die Erde gebracht wurde und immense Macht verleiht. Mitchell studierte diese Kultur und wurde nun von Savage entführt, der auch Harris aus dem Verkehr ziehen will. Die Jagd nach den Teilen der Steintafel führt über Ayers Rock bis auf die Osterinsel, wo die Tafel einst aufbewahrt wurde.

Dakota Harris auf einem mysteriösen Schiffsfriedhof
Major Savage (Max Phipps), Lt. Harris (John Hargreaves) und Rev. Mitchell (Simon Chilvers, v.l.)
geraten auf einen mysteriösen Schiffsfriedhof.

Ein Abenteurer auf der Jagd nach einem mystischen Artefakt: Es braucht den orange-gelb-weißen Schriftzug und den deutschen Titel DAKOTA HARRIS nicht, um den australischen Film SKY PIRATES richtig einordnen zu können. Viele Filme lehnten sich in den Achtzigern an den Erfolg von JÄGER DES VERLORENEN SCHATZES an – das Bemerkenswerte an diesem hier ist, wie sehr er sich den Spielberg-Hit zum Vorbild nimmt und gleichzeitig zig andere Streifen und Geschichten in den Mixer wirft.

Da wird die Däniken-Mär von den frühzeitlichen außerirdischen Besuchern ebenso aufgefahren wie die Legende vom Philadelphia-Experiment, bei dem ein Schiff beim Austesten einer neuen Tarnvorrichtung angeblich kurzzeitig teleportiert wurde, während die Besatzung sich teils auflöste, teils geistigen Schaden nahm. Das Bermuda-Dreieck klingt an, Stonehenge wird gezeigt, die geheimnisvollen Moai der Osterinsel und die dort gefundenen Holztafeln dienen als Aufhänger. Ein Wunder eigentlich, daß die okkultinteressierten Nazis nicht auch noch anmarschieren dürfen.

Major Savage entführt die Tochter von Rev. Mitchell
Major Savage (Max Phipps) schanppt sich zur Not auch die Tochter von Rev. Mitchell (Meredith Phillips),
um an die Steintafeln zu kommen.

Aber DAKOTA HARRIS bedient sich auch ohne Schergen des zwölfjährigen Reiches an den Bildern und Ideen des ersten Indiana-Jones-Films: Major Savage hat bei seinem Auftritt Ähnlichkeit mit dem dortigen Major Toht, die Handlung dreht sich wieder um eine Kiste mit übernatürlichem Inhalt. Die Actionszene auf dem Laster wird zitiert (immerhin mit Jeep statt Pferd und mit neuem Ende!), und wo sich Indy am U-Boot-Periskop festhielt, um seinen Gegnern zu folgen, krallt sich Dakota Harris an einen Flugzeugflügel. Manchmal hat man das Gefühl, daß es für die Beteiligten ein heiterer Sport war, den Vorbildfilm zu plündern: Nachdem hier keine Grabkammern durchschritten werden, darf eben im Museum eine Mumie aus dem Sarkophag fallen und Harris' Begleiterin erschrecken.

Aber auch an anderem Populärkino bedient sich der Film ganz hemmungslos, und es wirkt auch hier nach augenzwinkerndem Vergnügen. Immerhin schafft es DAKOTA HARRIS, in einer wundervollen Szene sowohl DIE DURCH DIE HÖLLE GEHEN als auch gleichzeitig DIRTY HARRY zu verarbeiten: Da bringt unser Held in einer Spelunke am Ende der Welt mit einer Partie Russischem Roulette wichtige Informationen in Erfahrung und erklärt seinem Gegner, daß er in der Aufregung das Mitzählen ganz vergessen habe.

Unter anderem zitiert Dakota Harris auch The Deer Hunter
"You talkin' to me? Moment, das war ja ein anderer Film."

Regisseur Colin Eggleston, bekannt durch den Horror-Geheimtip LONG WEEKEND, und sein Kameramann Garry Wapshott zeigen ein gewisses Geschick darin, den Film in stimmungsvollen Bildern zu erzählen, und packen die Szenen gern in eine unwirkliche Mischung aus Nebel und schräg einfallendem Licht. Auch Hauptdarsteller John Hargreaves, der schon bei LONG WEEKEND mit Eggleston arbeitete, knarzt sich mit Charme durch die Handlung. Es gibt schöne Unterwasseraufnahmen von Ron und Valerie Taylor (dafür darf der Bond-Film FEUERBALL Pate stehen) und einen beeindruckenden Stunt, bei dem Kevin Donnelly, später auch für NAVY SEALS im Einsatz, auf einem fliegenden Flugzeug herumkraxelt. Ansonsten mag man sich darüber amüsieren, daß die Tricktechnik dieses mit 4,2 Mio. AUD vergleichsweise üppig budgetierten Abenteuers (zum Vergleich: Peters Weirs Kriegsdrama GALLIPOLI hatte nur 2,8) eher durchschaubar ausfällt – aber eigentlich muß so ein INDIANA-JONES-Rip-Off billig aussehen, nachdem dort ja schon preiswerte Groschenhefte als Vorlage dienten.

Der Pferdefuß des Films liegt ohnehin nicht in seinen sichtbaren Modell-Effekten oder seinem fröhlichen Anhängen an populäre Vorbilder. Es ist das Skript, das es nie schafft, Zusammenhänge klar zu machen oder die Stationen plausibel zu verknüpfen, anstatt sie nur aneinanderzureihen. Warum muß Savage Harris aus dem Verkehr ziehen, wo er sich doch auch ohne diese Hürde um das Zusammenklauben der Steintafel kümmern könnte? Was hat die verschwundene Schiffsmannschaft mit der Höhle auf der Osterinsel zu tun? Wieso kümmert es nach kurzer Zeit niemanden mehr, daß Dakota Harris eigentlich auf der Flucht vor einer Gefängnisstrafe ist?

Stuntman Kevin Donnelly klettert auf einer fliegenden Maschine herum
Im Cockpit fliegen kann ja jeder.

Vielleicht wurden manche Handlungsstränge gestrichen oder herausgekürzt, die aus dem Spektakel mehr Sinn herausgekitzelt hätten – aber vielleicht war das Skript von Autor John D. Lamond, sonst selber Regisseur bei Filmen wie dem Erotikdrama FELICITY – SÜNDIGE VERSUCHUNG oder dem Horrorstreifen NIGHTMARE ON THE STREET, auch einfach nie runder. An den Kinokassen hob Flight Lieutenant Harris jedenfalls nie ab, der Film bleibt ein sympathisches Artefakt für Kinoarchäologen.




Dakota Harris (Australien 1985)
Regie: Colin Eggleston
Buch: John D. Lamond
Kamera: Garry Wapshott
Musik: Brian May
Darsteller: John Hargreaves, Max Phipps, Alex Scott, Simon Chilvers, Meredith Phillips

EMMANUELLE 6: Eine Verführerin in Bedrängnis

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Natalie Uher als Emmanuelle

Seit den Achtzigern war die Figur Emmanuelle einem ständigen Wandel unterzogen: Unter der Obhut von Produzent Alain Siritzky ließ sie sich 1984 in EMMANUELLE 4 zunächst operativ ein neues Aussehen verpassen, um einen Liebhaber loszuwerden – und schon änderte sich von Film zu Film ihre Identität. Aus Sylvia Kristel wurde Mia Nygren, 1986 folgte Penthouse-Pet Monique Gabrielle in EMMANUELLE 5, wo die Titelfigur ein Filmstar mit Skandalstreifen in Cannes war. Auch das hielt nicht lange: In EMMANUELLE 6 spielt das österreichische Playmate Natalie Uher die freigeistige Göttin der Verführung – die, es mußte angesichts solcher Wechsel ja fast so kommen, ihr Gedächtnis verloren hat und sich nicht mehr daran erinnert, wer sie ist.

In der Klinik von Dr. Simon soll ihrer Erinnerung auf die Sprünge geholfen werden. Nach und nach fügen sich die Ereignisse der letzten Zeit wieder zusammen: Sie war zusammen mit einigen anderen Models auf einem Kreuzfahrtschiff Richtung Amazonas unterwegs. Dann wurden die Mädchen aber vom Kapitän des Schiffes entführt und sollten auf einem örtlichen Sklavenmarkt verkauft werden. Zum Glück kann Emmanuelle mit der Hilfe des Indianermädchens Uma rechnen, das den Sklavenhändlern entkommen war und sich in ihrer Schiffskabine versteckt hatte …

Emmanuelle (Natalie Uher) unter einem Wasserfall
Gibt ja doch ein paar schöne Erinnerungen!

Schon mit Walerian Borowczyks Vorgängerfilm EMMANUELLE 5 war die Softsex-Reihe um die schöne Frau, die nach ihrer sexuellen Befreiung im ersten Teil gewissermaßen als Aufklärungsinstrument durch die Welt zieht, in die Gefilde ihrer vielen Imitate gekommen: Vor allem in der von Roger Corman umkonstruierten US-Action-Fassung klangen plötzlich die Schmuddelabenteuer der italienischen Varianten an, wo die Protagonistin von Schurken und anderen Gefahren bedroht wurde – mal Mädchenhändler, mal Kannibalen, mal Knastinsassen. EMMANUELLE 6 könnte mit seiner Verschleppungs- und Zwangsprostitutionsgeschichte nun tatsächlich von Joe D'Amato oder Bruno Mattei inszeniert worden sein.

Tatsächlich führte Bruno Zincone Regie, der zuvor für Alain Siritzky die Comicverfilmung GROS DÉGUEULASSE gedreht hatte und sonst als Cutter für Bahnhofskino wie DER GNADENLOSE VOLLSTRECKER oder SABINE S. – DURCH LIEBE WEG VOM STOFF arbeitete. Das Skript stammte tatsächlich von einem versierten Schmuddelprofi: Jean Rollin, der in seinen eigenen Filmen wie DIE NACKTEN VAMPIRE gern Erotik und Horror vermischte. Offenbar sprang er zur Fertigstellung auch als ungenannter Regisseur ein – wobei das Ausmaß seiner Tätigkeit unbekannt ist.

Tamira in EMMANUELLE 6
Das Indianermädchen Uma (Tamira) paßt sich den Gepflogenheiten von Emmanuelles Welt an.

So schlagen zwei Filme im Herzen dieser Fortsetzung, die mit Emmanuelle Arsan kaum mehr etwas zu tun hat: Da ist das Abenteuer der sexuellen Freiheit, für das schöne Körper in ausführlichen Montagen abgelichtet werden – mal im Maschinenraum des Schiffes, wo sich Emmanuelle einen der Arbeiter als Liebhaber sucht (während der Kapitän als Voyeur zusieht), mal an einem Wasserfall im Dschungel, unter dem die Models baden. Auf der anderen Seite steht die reißerische Story, die mit ihren leicht bis gar nicht bekleideten Damen in Bedrängnis an alte Groschenheftprinzipien anknüpft – wobei der Exploitation-Reigen hier freilich, im Gegensatz zu den Italienern, nie wirklich drastisch oder explizit inszeniert wird. (Allerdings existiert wie bei EMMANUELLE 5 eine französische VHS-Version, in die extra gedrehte Hardcore-Sexszenen in den Film hineingeschnitten wurden.)

Gerade diese Plot-Elemente sorgen aber auch für unfreiwillige Komik. Ob da nun ein völlig unglaubwürdiger Psychiater unter herrischem Befehlston eigens eine sexuelle Begegnung im Pferdestall organisiert, damit Emmanuelles Gedächtnis zurückkehrt, oder die Sklavenhändler bei ihrer Auktion aufgebracht agieren, während sie von den Giftpfeilen von Umas Indianerstamm niedergestreckt werden: Was hier aufregend sein soll, ist doch eher zum Schmunzeln geeignet.

Zum Schluß erinnert sich Emmanuelle durch das Drängen des Doktors wieder an alles und findet damit auch die Freude an der Sexualität wieder. Viel passender erscheint freilich die Tatsache, daß die wiedergefundene Identität auch einen sich schließenden Kreis einleiten wird: Im siebten und letzten Film der Reihe sollte Sylvia Kristel die Rolle noch ein letztes Mal übernehmen.





Emmanuelle 6 (Frankreich 1988)
Alternativtitel: Emmanuelle - Amazone des Dschungels
Regie: Bruno Zincone
Buch: Jean Rollin
Kamera: Serge Godet, Max Monteillet
Musik: Olivier Day
Darsteller: Natalie Uher, Jean-René Gossart, Thomass Obermuller, Gustavo Rodriguez, Hassan Guerrar, Morales, Luis Carlos Mendes, Tamira

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2016 Castle View Film/Alive.

POMPEII: Die Faszination der Katastrophe

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Kit Harington und Emily Browning vor der Katastrophe

Beinahe von Beginn des Kinos an gab es viele Anläufe, den Untergang der Stadt Pompeji zu erzählen. Schon 1900 entstand eine erste Produktion namens THE LAST DAYS OF POMPEII, 1935 legte das KING-KONG-Team Schoedsack und Cooper die inzwischen fünfte Version vor. Oft basierten die Filme auf dem Roman DIE LETZTEN TAGE VON POMPEJI von Edward Bulwer-Lytton aus dem Jahr 1834, der 150 Jahre später auch als Miniserie fürs Fernsehen adaptiert wurde. Nicht jeder Film mußte gar so sparsam vorgehen wie der Videothekenfüller WARRIOR QUEEN, wo die Zerstörung der Stadt flugs aus einem früheren italienischen Film übernommen wurde – aber dennoch bot es sich bei den Fortschritten der Tricktechnik in den letzten Jahren an, sich dem Ausbruch des Vesuvs im Jahr 79 n.Chr. wieder einmal mit modernsten Mitteln zu widmen.

RESIDENT-EVIL-Regisseur Paul W.S. Anderson erzählt die Geschichte des Sklaven Milo, der als Kind mitansehen mußte, wie der römische Tribun Corvus (schönes Zähneknirschen: Kiefer Sutherland) die Bewohner seines Dorfes abschlachten ließ. Seitdem lebt Milo (schöner Waschbrettbauch: Kit Harington) in Gefangenschaft und macht sich bei brutalen Gladiatorenkämpfen einen Namen als unerbittlicher Gegner. In Pompeji lernt er die junge Cassia (schöne Wangenknochen: Emily Browning) kennen, die von ihren Eltern als Braut an Corvus verkauft werden soll. Bei den eigens für Corvus arrangierten Spielen versucht er, im Kampf lang genug zu überleben, um sich für den Tod seiner Eltern zu rächen – aber dann grummelt der Berg, zu dessen Füßen Pompeji liegt …

Milo und sein Gladiatorenfreund Atticus

Anderson war noch nie jemand, der mit seinen filmischen Vorbildern hinter dem Berg gehalten hätte, und so zeigt sich auch POMPEII als fröhliche Popcorn-Mixtur: Die Herkunftsgeschichte des Helden stammt aus CONAN DER BARBAR, zwischendurch wird flugs THE DARK KNIGHT zitiert, und der Rest des Films ist eine aufwendig inszenierte Mischung aus GLADIATOR und den Katastrophenfilmen der Siebziger, allen voran ERDBEBEN. Da bebt in ominöser Vorahnung die Erde, identitätslose Nebenfiguren segnen das Zeitliche, und Warnungen hinsichtlich der Tragfähigkeit des Amphitheaters werden zugunsten des einträglichen Spektakels in den Wind geschlagen. "No warning. No escape", verkündet das Filmposter gar schauderhaft, aber natürlich gibt es wie in jedem anständigen Katastrophenstreifen zahlreiche Gefahrensignale – es hört nur niemand darauf.

Ob FLAMMENDES INFERNO oder 2012: Jeder Film dieses Genres strahlt eine großäugige Faszination für die Naturgewalten und sonstigen Desaster aus, die seine Figuren einholen werden. Auch als Zuseher ist man ja gerade wegen des Schauwerts dabei: Es ist die Sensation, die uns hier lockt, ein Pompeji-Film ohne Vulkanausbruch wäre ebenso undenkbar wie ein Epos über einen Hochhausbrand, der schon im Keim erstickt werden kann. Man mag um einzelne Figuren bangen, denen man ein Entkommen wünschen würde, aber der eigentliche Protagonist ist die Katastrophe selber – und wir wollen sehen, wie sie zuschlägt und dabei ganz alttestamentarisch die Ungläubigen und Schuldigen bestraft. Es ist ein Schicksalsspiel.

Senator Corvus kämpft gegen Milo
Senator Bauer, äh, Corvus (Kiefer Sutherland, rechts).

So zeigt sich auch bei Anderson im Desaster, aus welchem Holz seine Helden geschnitzt sind: Die Tapferen agieren heldenhaft und sind angesichts des drohenden Untergangs nicht nur um ihre eigene Haut besorgt, während die Schurken zu armseligen Verlierern werden. Bei allem Spektakel wird beinahe auch die Tragik der Katastrophe unter der Vulkanasche begraben: Anderson stürzt sich so begeistert auf die Zerstörungskraft des Vulkans, als wäre er der kleine Bruder von Emmerich. Von oben blickt er in den ausbrechenden Vulkan, bis die grauen Wolken seine Kamera umnebeln, dann gleitet er mit der Kamera über einem Schiff entlang, das von einem Tsunami in die Straßen von Pompeii gedonnert wird. Überall tanzt die Asche durch die Luft, als wären die Figuren in einem berauschenden Ballett des Verderbens choreographiert. Das Schicksal jener Figuren, die uns etwas bedeuten, ist fast vom Vulkanausbruch entkoppelt und wird vielfach von den anderen Menschen herbeigeführt.

Emily Browning als Cassia
Schöne Wangenknochen: Cassia (Emily Browning).

Man muß Anderson lassen, daß er das Verhängnis sozusagen nach antikem Vorbild konsequent bis zum umfassenden Ende führt – und gleichzeitig das Ridley Scottsche Historienpathos außen vor läßt. Seine Welt ist eine des Erlebens, der unmittelbaren Action, der apokalyptischen Ästhetik. Die Geschichte zwischen Freundschaft, unmöglicher Liebe und Freiheitskampf hält alles in der fast stenogrammhaften Knappheit zusammen, die so typisch ist für Anderson: gerade genug, um mitgehen zu können.

Kurzum: Ein schöner Vulkanausbruch.




Pompeii (Kanada/Deutschland/USA 2014)
Regie: Paul W.S. Anderson
Buch: Janet Scott Batchler, Lee Batchler, Michael Robert Johnson
Kamera: Glen MacPherson
Musik: Clinton Shorter
Darsteller: Kit Harington, Kiefer Sutherland, Emily Browning, Adewale Akinnuoye-Agbaje, Jessica Lucas, Jared Harris, Carrie-Anne Moss

Die Screenshots stammen von der BluRay (C) Constantin Film Verleih GmbH.

LOGAN – THE WOLVERINE: Mein großer Freund Wolvie

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Hugh Jackman und Dafne Keen: Zwei X-Men-Generationen

Der LOGAN-Trailer verspricht eine Geschichte, die mehr auf Charakterdrama als auf Superhelden-Action setzt. Unser geschätzter Gastautor Bastian G. hat sich dieses neueste X-MEN-Spin-off angesehen und kann berichten, ob der Film das auch erfüllen kann.



In LOGAN, dem inzwischen dritten Spin-off des populären X-MEN-Mutanten, machen die Verantwortlichen nachdrücklich ernst: Hauptdarsteller Hugh Jackman hat bekanntlich auf einen Teil seiner üppigen Gage verzichtet, um seinem angeblich letzten Wolverine-Abenteuer das unter Marvel-Adaptionen eher ungewöhnliche R-Rating zu garantieren. Das bedeutet, dass in den USA Jugendliche unter 17 Jahren den Film nur mit erwachsener Begleitung schauen dürfen. In Deutschland hat die FSK die "ab 16 Jahren"-Plakette gezückt – und die ist in Anbetracht des wirklich grimmigen und teils ultrabrutalen Resultates noch recht gnädig ausgefallen.

Gleich zu Beginn zerlegt unser inzwischen merklich gealterter Held eine Gruppe Gangster buchstäblich in seine Einzelteile. Die F-Wort-Quote liegt im hohen Bereich und Regisseur James Mangold (WALK THE LINE), der bereits den Vorgänger WOLVERINE – WEG DES KRIEGERS inszenieren durfte, macht es sichtlich Freude, die Freiheiten der höheren Freigabe auszuloten. Doch LOGAN ist nicht bloß ein actionreiches Schlachtfest, sondern das bislang emotional involvierendste Werk aus der Welt des Comic-Riesen.

Dafne Keen: Die neue X-Men-Generation.
Eine neue Generation wetzt die Krallen.

Die Geschichte ist in einer nahen Zukunft angesiedelt, in der die X-Men bis auf den nun physisch verwundbaren Logan und den schwerkranken Charles Xavier (Patrick Stewart) ausgelöscht sind. Ihre Abenteuer kann die Nachwelt noch in bunten Heftchen nachlesen. So etwa die junge Laura (Dafne Keen), die von dem sinistren Pierce (Boyd Holbrook) und seiner grausamen Truppe gejagt wird. Das Mädchen gehört zu einer neuen Generation von Mutanten, die als fehlerhaftes Laborexperiment zur Erschaffung einer ultimativen Waffe eleminiert werden soll. Xavier drängt Logan dazu, den angedachten Ruhestand noch etwas hintanzustellen und das Kind zu einem sicheren Zufluchtort zu geleiten. Auf dem nicht wirklich ruhigen Road Trip begreift der zuerst widerwillige Mann mit den Metallklauen, dass er mit Laura mehr als nur einen genetischen Defekt gemein hat …

Okay, gleich vorweg: Auch LOGAN fährt im Kern keine bahnbrechend neue Story auf. Den Plot mit dem miesepetrigen Beschützer auf einer halsbrecherischen Mission kennt man zum Beispiel aus den MAD-MAX-Sequels oder Alfonso Cuaróns intelligentem Sci-Fi-Drama CHILDREN OF MEN. Und wer es gern noch älter hätte, bekommt im Film ganz klare MEIN-GROSSER-FREUND-SHANE-Referenzen direkt unter die Nase gerieben. Warum diese außergewöhnliche Comic-Adaption (als Vorlage diente Mark Millars Graphic Novel OLD MAN LOGAN) dennoch interessant und mitreißend geraten ist, liegt schon allein an der Tatsache, dass man als Zuschauer über die Jahre einfach mit der Figur gewachsen ist, sie aber nie von einem solch verletzlichen Standpunkt aus betrachten durfte.

Hugh Jackman und Patrick Stewart als altes X-Men-Gespann.
Eigentlich zu alt für den Scheiß: Professor Charles Xavier (Patrick Stewart, links) und Wolverine (Hugh Jackman).

Der verstorbene Filmkritiker Roger Ebert fragte in seiner Rezension zum ersten Wolvie-Solo-Auftritt X-MEN ORIGINS: WOLVERINE: "Why should I care about this guy? He feels no pain and nothing can kill him, so therefore he's essentially a story device for action sequences." Ich vermute, LOGAN wäre ziemlich genau der Film gewesen, auf den Ebert gehofft hätte. Auch wenn Mangold dem Charakter keine derartige Frischzellenkur verpassen mag wie Christopher Nolan seinerzeit Batman in seiner DARK-KNIGHT-Trilogie, kann sein absolut kompromissloser Beitrag eine Ausnahmestellung im wohl derzeit angesagtesten Genre verbuchen.

Mit 135 Minuten Spieldauer nimmt LOGAN auch mal angenehm den Fuß vom Pedal und macht einen Abstecher in den Mittleren Westen der USA. Dort finden die Flüchtenden Unterschlupf bei einer ganz normalen Familie. Das sei das wahre Leben, das er so lange vermisst hat, gibt der frühere Professor X in einem stillen und intimen Moment von sich, bevor wieder die Hölle losbricht. Wer so will, kann in dem Film eine Reflektion über das Altwerden und die damit verbundene Frage des individuellen Vermächtnisses lesen.

Reichlich schwarz, nihilistisch und rau ist dieser apokalyptische Neo-Western ausgefallen, der sich auch vor der expliziten Darstellung von Gewalt an Kindern nicht scheut. Zum Ende ist da Licht – wenn auch nicht im Jetzt, sondern in der Zukunft. Im Abspann singt Johnny Cash "The Man Comes Around". Sein aus dem Trailer bekanntes Nine-Inch-Nails-Cover "Hurt" wäre die passendere Abschlußuntermalung gewesen. Warum, das wäre ein Spoiler ...




Logan - The Wolverine (USA 2017)
Originaltitel: Logan
Regie: James Mangold
Drehbuch: James Mangold, Michael Green, Scott Frank
Kamera: John Mathieson
Musik: Marco Beltrami
Darsteller: Hugh Jackman, Dafne Keen, Patrick Stewart, Boyd Holbrook, Richard E. Grant, Stephen Merchant

Alle Screenshots wurden von der offiziellen Website des Films genommen, (C) Twentieth Century Fox Film Corporation.

WINDRIDER: Ein Goldjunge erobert die junge Nicole Kidman

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Tom Burlinson in WINDRIDER

Glückspilz P.C. Simpson genießt das sonnige Leben: In der Firma seines Vaters schiebt er eine ruhige Kugel ohne große Verantwortung, ansonsten widmet er sich ganz seiner Leidenschaft, dem Windsurfen. Als er eines Morgens eine schwierige 360°-Drehung schafft, sieht das leider nur eine unbekannte Schönheit am Strand: Rocksängerin Jade, die prompt von P.C. ausfindig gemacht und becirct wird. Ihrem langfristigen Glück steht aber die Tatsache im Weg, daß sich P.C. wenig um das Leben anderer Leute schert – und dann sorgt eine Haiattacke auch noch dafür, daß er seine Selbstsicherheit auf dem Surfbrett verliert …

Wir wissen leider nicht, wer die beiden schönen Strandmenschen sind, die das Cover der deutschen DVD von WINDRIDER (auf Deutsch auch WIND DER LIEBE) zieren – sie tauchen im Film nicht auf. Die Hauptrollen dieses australischen Streifens spielen Tom Burlinson, bekannt aus dem Down-Under-Western SNOWY RIVER und Paul Verhoevens Historiendrama FLESH + BLOOD, sowie eine junge Nicole Kidman. Sie war beim Dreh stramme 18 Jahre alt, WINDRIDER war ihr vierter Film. (Burlinson und Kidman wurden dank des Films übrigens ein Paar und blieben beinahe zwei Jahre zusammen.)

P.C. Simpson in der Krise
P.C. Simpson (Tom Burlinson) hat sein Mojo verloren.


Man merkt, daß WINDRIDER das Regiedebüt eines Kameramanns ist: Vincent Monton, der Ende der Siebziger mit australischen Produktionen wie dem Newsreel-Drama NEWSFRONT oder dem Horror-Überraschungshit LONG WEEKEND bekannt wurde, und sein Kameramann Joseph Pickering lassen den Film von der ersten Einstellung an hübsch stylisch aussehen. Die Bilder strahlen in poppigen Achtziger-Farben, der Strand bei Perth lockt in sonnigem Glanz, die Innenräume sind in schnuckeliger Werbeästhetik designt. Auch dank der hübsch eingefangenen Windsurfing-Szenen ist WINDRIDER von vorne bis hinten angenehm für das Auge.

Aber einen Inhalt gibt es ja auch noch. Wenn der Film nicht schon 1985 gedreht worden wäre, könnte man glatt eine Linie zu TOP GUN ziehen: Großspuriger Goldjunge verliert den Glauben in die eigenen, selbstverfreilich herausragenden Fähigkeiten und muß sich erst wieder mit der Welt arrangieren, um sich als Sieger feiern lassen zu können. Immerhin kriegt P.C. Simpson tatsächlich mehrfach vorgeworfen, er sei zu egozentrisch, und so darf er im Gegensatz zu Maverick zum Schluß sanfte Wiedergutmachung betreiben.

Nicole Kidman als Rocksängerin in WINDRIDER
Sängerin Jade (Nicole Kidman) darf sich bald über P.C.s erhöhte Aufmerksamkeit freuen.


Dafür ist die Liebesgeschichte eine angehobene Augenbraue wert. Simpson drangsaliert Jade vom ersten Moment an mit brustkorbklopfenden Sprüchen und fragt sie, als sie seinem Werben entkommen will, mit hochcharmanter Ironie, ob denn nicht zumindest ein Quickie auf dem Rücksitz drin wäre. Später umgarnt er sie im Musikstudio, aber als sie seine Einladung zum Essen ausschlägt und darauf hinweist, daß sie jetzt an ihrer Musik arbeiten will, wirft er sich die widerspenstige Schöne kurzerhand über die Schulter und trägt sie zu seinem Auto. Er kassiert ein blaues Auge dafür.

Spätestens jetzt würden sich andere Männer vielleicht aus Angst vor einer einstweiligen Verfügung neue Zielobjekte suchen (oder gar auf den Trichter kommen, daß die junge Dame womöglich gar kein Interesse hat) – aber Simpson bleibt hochmotiviert am Ball: Am nächsten Tag läßt er Jade mitsamt ihrem Wagen von einem Abschleppdienst zum Strand bringen, damit sie ihm beim Windsurfen zusehen kann. Sie bleibt auch gar nicht lange böse, nachdem er dabei nur knapp dem Hai entkommt. Nach kurzer abendlicher Unterredung auf der Couch schneidet der Film zum nächsten Morgen, wo Simpson Jade strahlend in der Dusche begrüßt und sich beide innig küssen. Sagen wir es so: Es würden einem durchaus ein oder zwei Filme einfallen, in denen die Romanze glaubwürdiger aufgebaut wird.

P.C. Simpson (Tom Burlinson) schiebt eine ruhige Kugel
Ein angenehmer Tagesjob - vor allem, wenn man den "Dringend"-Stapel nicht allzu ernst nimmt.

Aber eigentlich setzt WINDRIDER ohnehin nicht auf große Ernsthaftigkeit, sondern mehr auf lockeren Humor, einen gutmütigen Tonfall und schöne Surfszenen. Wenn P.C. anfangs als unbekümmerter Gustav Gans seinen Tag mit perfekt choreographierter Routine beginnt, bei der er gleichzeitig den Goldfisch füttert und den Pfannkuchen würzt, ist das ebenso amüsant wie eine spätere Szene, wo er bei einer Vollbremsung seinem Vordermann das Surfbrett in die Heckscheibe fliegen läßt – und der dann seelenruhig aussteigt, ein Blaulicht auf das Dach packt und seine Polizistenmütze aufsetzt.

Als heiteres Filmchen mit schönem Look und sonnigem Gemüt kann man WINDRIDER also gerade noch durchwinken. Ohne Nicole Kidman (die übrigens, wir müssen es für die Vollblutcineasten noch erwähnen, kurz nackt zu sehen ist) wäre diese leichte Kost für junge Leute sicherlich schon in der Vergessenheit verschwunden – wobei das einem Rückblick auf Wilsons Dachboden ja kaum im Wege gestanden wäre …




Windrider (Australien 1986)
Alternativtitel: Wind der Liebe
Regie: Vincent Monton
Buch: Everett De Roche, Bonnie Harris
Kamera: Joseph Pickering
Musik: Kevin Peek
Darsteller: Tom Burlinson, Nicole Kidman, Jill Perryman, Charles Tingwell, Simon Chilvers, Kim Bullad

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2015 White Pearl/Daredo.

EMMANUELLE 4: Neuer Körper, altes Glück

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Mia Nygren als Emmanuelle

Sylvia (Sylvia Kristel) fühlt sich durch die Beziehung zu Marc (Patrick Bauchau) eingeengt: Es erschreckt sie, wie stark ihre die Gefühle füreinander sind. Um ihre Freiheit wiederzugewinnen, reist sie nach Brasilien zu dem Chirurgen Dr. Santano, der ihr einen komplett neuen Körper verpaßt: Aus Sylvia wird Emmanuelle (Mia Nygren). Die begibt sich mit ihrem jungfräulichen neuen Ich auf eine ausgiebige sexuelle Entdeckungsreise durch das Land – und kann doch den Gedanken an Marc nie wirklich verdrängen …

Nach dem dritten EMMANUELLE-Film, GOOD-BYE EMMANUELLE von François Leterrier aus dem Jahr 1977, hielt Produzent Yves Rousset-Rouard die Reihe für ausgereizt. Er verkaufte die Rechte an Alain Siritzky, der schon zuvor mit seiner Vertriebsfirma Parafrance mit der Serie zu tun hatte und den zweiten Teil, EMANUELA – GARTEN DER LIEBE, mitproduziert hatte. Siritzky fand, daß noch allerlei Möglichkeiten mit dem Namen "Emmanuelle" bestanden, und produzierte ab den Achtzigern diverse Kinofortsetzungen und unzählige TV-Ableger. Sein erster Streich war EMMANUELLE 4 aus dem Jahr 1984 – im dem die Ur-Emmanuelle kurzerhand gegen ein jüngeres Model ausgetauscht wird.

Die "alte" Emmanuelle Sylvia Kristel in einer Traumsequenz
Die "alte" Emmanuelle (Sylvia Kristel, links) taucht in ein paar surrealen Traumsequenzen auf -
hier mit der späteren Kult-Scream-Queen Brinke Stevens.


Keine Frage, der Plot ist mehr als nur absurd: Da verschafft der Künstlerdoktor (der Sylvia Kristel anfangs noch warnt: "Schöner als Sie sind, kann ich Sie nicht machen") der Frau ein komplett neues Aussehen, das nicht nur mit eigener Stimme und Verjüngungseffekt daherkommt, sondern Emmanuelle tatsächlich auch ein neues Jungfernhäutchen verpaßt. Zur Sicherheit bekommt sie die Psychotherapeutin Dona an ihre Seite gestellt, damit sie mit der Veränderung besser klarkommt – aber niemand käme hier auf die Idee, eine Frau, die aus Flucht vor einer innigen Liebe eine komplett neue Identität sucht, vielleicht vor der Verwandlung zu dem einen oder anderen hilfreichen Gespräch einzuladen.

Daß der neue Körper Emmanuelle innerlich nicht von ihrer Liebe zu Marc löst, dürfte die bisherigen Erkenntnisse der Psychologie wohl auch nicht auf den Kopf stellen. Ein zarter Hinweis, daß die Dame gefühlsmäßig noch an ihm hängt, dürfte eine Sequenz sein, wo sie ihn auf einer Party erspäht, ihn anspricht – und sich prompt von ihm entkleiden läßt. Er erkennt sie freilich nicht, was sie zu der verblüfften Beobachtung führt, "dass der Mann, den ich liebe, mich eines Tages betrügt – mit mir". Bitte, Fräulein Emmanuelle, machen Sie es sich bequem auf der Couch.

Emmanuelle und ihre Therapeutin Dona
Die neue Emmanuelle (Mia Nygren, links) und ihre Therapeutin Dona (Deborah Power).

Gerade in der Absurdität der Geschichte liegt zugegebenermaßen aber auch ein gewisser Reiz. Natürlich ist das, was hier erzählt wird, völliger Unfug – aber es wird ohnehin nie als realistisch verkauft: Nach der Operation wird die neue Emmanuelle aus einem milchig-weißen Ganzkörperkokon geschält, als würde da ein Schmetterling zur Welt kommen. Interessant wird die Transformation auch durch die Tatsache, daß Sylvia erst durch die Verwandlung zu Emmanuelle wird – Kristel spielt sich laut Vorspann und Rollenname gewissermaßen selbst, was freilich die Vorgängerfilme ignoriert, aber zur Initiationsgeschichte der ersten Romanvorlage ebenso paßt wie zu der Erkenntnis ihrer viel später publizierten Autobiographie, daß sie mit der Figur keinesfalls identisch war.

Wenn man sich also auf das irrwitzige Konstrukt einläßt, kann EMMANUELLE 4 zu einem unterhaltsamen Spiel der Identitäten werden. Es ist quasi die Geschichte einer Frau, die durch neue körperliche Erfahrungen etwas über die Sexualität und über die Liebe lernt – was durchaus im Sinne von Arsan gelesen werden kann.

Therapeutin Dona (Deborah Power) entwickelt ein reges Interesse am Leben ihrer Patientin.

Inszeniert wurde EMMANUELLE 4 offenbar vom französischen Hardcore-Pionier Francis Leroi – obwohl offenbar auch andere Personen ihre Spuren hinterlassen haben. Im Vorspann heißt es "a film by Francis Giacobetti"– jener Modephotograph, der den zweiten Teil inszenierte und die Erfahrung vom ersten Tag an derart schrecklich fand, daß er damals schon sagte, es wäre sein erster und letzter Film. Auch Iris Letans, die mit Leroi das Skript schrieb, wird eine Teil-Regie zugeschrieben. "It was all put together very casually", erinnert sich Schauspieler Patrick Bauchau in der Dokumentation EMMANUELLE: A HARD LOOK. "You never knew who was going to direct the next day. The ten days that I worked I must have gone through four different directors ... but there obviously were a lot more."

Ungeachtet der unklaren Situation hinter den Kulissen (die sich auch bei EMMANUELLE 5 und EMMANUELLE 6 fortsetzen sollte) und des aberwitzigen Konstrukts funktioniert EMMANUELLE 4 als prächtig bebilderte Phantasie. Immer wieder werden die schönen Körper in kunstvoll stilisierte Szenarien geworfen, als wären es bewegte Photostrecken. Neben Mia Nygren, die das Geheimnisvolle, Elegante von Kristel weitertragen kann, ist vor allem Deborah Power als Therapeutin Dona ansprechend, die nach und nach eine Beziehung zu Emmanuelle aufbaut. Leider war EMMANUELLE 4 sowohl für Nygren als auch für Power kein richtiger Karriereschub: Beide drehten danach jeweils nur noch einen weiteren Film. Oder sie haben sich Dr. Santano anvertraut ...




Emmanuelle 4 (Frankreich 1984)
Originaltitel: Emmanuelle IV
Regie: Francis Leroi
Buch: Francis Leroi, Iris Letans
Kamera: Jean-Francis Gondre
Musik: Michel Magne
Darsteller: Sylvia Kristel, Mia Nygren, Patrick Bauchau, Deborah Power, Sophie Berger, Sonia Martin, Dominique Troyes, Brinke Stevens

ERSTE KLASSE: Eine Zugreise mit Terrorkind

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Vater und Terrorsohn: Carmelo und Malcolm

"Wir finden, dass Sie und ihr Söhnchen schon eine gewisse Zumutung sind", meint eine Frau im Zugabteil zu Carmelo und seinem vierjährigen Bub Malcolm. Die werte Dame untertreibt hemmungslos: Das Kind ist der absolute Terror.

In der italienischen Komödie ERSTE KLASSE reist Carmelo (Enrico Montesano) mit seinem Sohn Malcolm zu dessen Großmutter, damit seine Frau vierzehn Tage Urlaub mit ihrem Freund machen kann. Weil sich bislang immer die Mutter um das Kind gekümmert hat, ist er als Vater hoffnungslos überfordert. Im Zug lernt er die schöne Beatrice (Sylvia Kristel) kennen, die unterwegs zu einem Kongress ist, um dort einen Vortrag über das prähistorische Skelett zu halten, das sie rekonstruiert hat. Zwischen Carmelo und Beatrice bahnt sich eine kleine Affäre an – aber die wird ständig durch das aufgedrehte Kind wieder eingebremst …

Carmelo bandelt mit Beatrice an
Manchmal kann sich so eine ÖBB-Vorteilscard schon lohnen.

Daß Carmelo der väterlichen Verantwortung für Malcolm entkommen will, ist nur allzu verständlich: Der Knabe ist wahrlich niemandem zuzumuten. Selbst Rosemarys Baby stellt man sich gegen Malcolm als Engelskind vor: Der Junge plärrt permanent in voller Lautstärke, was er gerade will, läuft ständig weg, droht einer Mitreisenden mit der Stricknadel das Auge auszustechen, klettert in die Gepäckablage hoch, zerfetzt Zeitschriften, wirft mit Essen und Bananenschalen um sich und macht sich unter Ankündigung wonnig in die Hose. Er könnte im Alleingang das Problem der Überbevölkerung lösen: Wer über Nachwuchs nachdenkt, wird sich das nach der Sichtung des Films nochmal ganz genau überlegen.

Wem Malcolm noch nicht lustig genug ist, darf sich freuen, daß auch die restliche Zugbesatzung Vollgas gibt. Da lauert in einem Abteil eine Bande militanter Feministinnen, die geifernd über jeden verdächtigen Mann herfallen, während der Frachtwaggon des Zuges von einem comicbegeisterten Revolverheld bewacht wird, der gerne Schauspieler wäre. Als er Carmelo und Beatrice in einer Sequenz mit gezückter Pistole stellt, weil er sie für Diebe hält, läßt er sich von Carmelo das schlafende Kind in den Arm legen, damit der überhaupt die Hände hochhalten kann.

Sylvia Kristel oben ohne
Ach, drum wird der Film auf DVD unter dem Titel ERSTE KLASSE SEX vermarktet.

Beatrice erwärmt sich derweil in rasanter Geschwindigkeit für das Plappermaul Carmelo und findet es erregend, als der im Gedanken an seine Frau "Nutte" zischt und sie glaubt, selber gemeint zu sein. Später wird sie seufzen, daß sie immer Männer kennenlernt, "die schon anderweitig verpflichtet sind". Sie wird dem Kind auch aufgebracht eine Ohrfeige geben, als der sich im Frachtwagen an ihrem Skelett zu schaffen macht, und kurz darauf Carmelos Gepäck aus dem Fenster werfen, weil der sie diesbezüglich zur Rede stellt. Ach ja, und Carmelo wird irgendwann sein Kind an einem Bahnhof zurücklassen, damit er endlich ungestört bei Beatrice landen kann – wobei das wohl selbst der aufrechteste Pädagoge angesichts dieses verhaltensauffälligen Kindes verstehen können wird.

"I have seldom heard a train go by and not wished I was on it", schrieb einst Reiseschriftsteller Paul Theroux über die Romantik der Zugfahrt. Die Ausnahme, die er andeutet, wird ein Kinobesuch von ERSTE KLASSE gewesen sein.




Erste Klasse (Italien/Frankreich 1980)
Originaltitel: Un amore in prima classe / L'amour en premiere classe
Alternativtitel: Erste Klasse Sex
Regie: Salvatore Samperi
Buch: Salvatore Samperi, Gianfranco Manfredi, Giorgio Basile
Kamera: Camillo Bazzoni
Musik: Roberto Colombo, Gianfranco Manfredi
Darsteller: Enrico Montesano, Sylvia Kristel, Lorenzo Aiello, Franca Valeri, Felice Andreasi, Enzo Cannavale, Luc Merenda

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2009 KNM/Movie Power.
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