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IF I DID IT: Das Pseudo-Geständnis von O.J. Simpson

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Mit IF I DID IT erschienen 2007 wahrlich bizarre Memoiren: Der mutmaßliche, aber freigesprochene Mörder O.J. Simpson erzählt darin, wie er die Tat begangen hätte – wenn er es gewesen wäre.

Simpson, der in den Siebzigern zum Football-Star avancierte und später als Sportkommentator und Schauspieler bekannt wurde (unter anderem in DIE NACKTE KANONE), soll 1994 seine Ex-Frau Nicole Simpson Brown sowie einen Bekannten von ihr, Ron Goldman, ermordet haben. Nach einem langen Prozeß wurde er 1995 freigesprochen – und trotzdem von den meisten Menschen für schuldig gehalten. Seine Karriere war dahin, statt bekannt war O.J. nun berüchtigt.

Schon die Ankündigung von IF I DID IT war ein Skandal. Unzählige Bücher wurden über den O.J.-Fall geschrieben, der als "Jahrhundertprozeß" die Gemüter erhitzte – und für beinahe jeden Autoren stand fest, daß O.J. der Täter war. Nun sollte die Geschichte also von dem Mann erzählt werden, von dem man annahm, daß er nur aufgrund seiner Popularität und seines Reichtums der Justiz entkommen konnte. Man wußte gar nicht, was geschmackloser anmutete: daß die Geschehnisse irgendwo zwischen fiktiver Mordphantasie und Pseudo-Geständnis niedergeschrieben werden sollten, oder daß O.J. für das Buch eine Million Dollar erhalten würde.

Tatsächlich wurden die Proteste gegen das Buch so laut, daß es vom Verlag eingestampft wurde und die Verlegerin, Judith Regan, ihren Job verlor. Wie es dann doch ans Tageslicht kam, ist fast bizarrer als der Inhalt: Der Familie von Goldman, die Simpson Ende der Neunziger in einem Zivilrechtsverfahren anklagte und Recht bekam, standen als Resultat dieses Urteils $33 Mio. zu, die Simpson an sie zahlen sollte – was der aber nie tat. Durch einen langwierigen rechtlichen Prozeß sicherten sie sich also die Rechte an dem Buch, um es selbst publizieren zu können, damit der Erlös auf Simpsons Schuld angerechnet werden könnte.

Und so stand irgendwann doch noch Simpsons Geschichte in den Buchläden – veröffentlicht von der Familie eines Opfers, die O.J. damit zur Rechenschaft ziehen wollte. Dafür verändert sie den Titel graphisch so, daß das "if" kaum sichtbar in das "I" gepackt wurde – und damit als I DID IT erschien. Dazu verpaßten sie dem Buch den Untertitel "Confessions of the Killer". Außerdem versahen sie das Manuskript mit diversen Vor- und Nachwörtern, die ihren Standpunkt erläutern und Simpson entsprechend diskreditieren.

Schon im ersten Kapitel schwingt O.J.s Erzählung (die auf Basis von Gesprächen und Interviews von Ghostwriter Pablo F. Fenjves niedergeschrieben wurde) eine reichlich defensive Handlung mit. Wie könnte es auch anders sein? Schließlich erzählt da ein freigesprochener Mann seine Version der Geschichte – und darin ist freilich kaum so, wie sie nach außen hin wahrgenommen wurde. Tatsächlich betont O.J. vor und hinter dem "Mordkapitel" immer wieder, daß er unschuldig ist: "Half of you think I did it, and nothing will ever make you change your minds. The other half know I didn't do it, and all the evidence in the world – planted or otherwise – isn't going to sway you, either."

Seine Geschichte beginnt da, wo er Nicole Brown kennenlernt und bald mit ihr eine Beziehung anfängt. Eine romantische Liebesgeschichte wird aber nicht daraus, auch wenn Simpson schreibt, daß er sie geliebt hat: Schon zum Ende des ersten Kapitels liegt nach Jahren des Aufs und Abs die Scheidung vor. Im Prozeß gegen Simpson kam heraus, daß es Zwischenfälle von häuslicher Gewalt gegeben haben dürfte – mehr als einmal rief Nicole die Polizei und wollte vor O.J. beschützt werden. In O.J.s Version war wenig davon so, wie es dargestellt wurde: Es gab tatsächlich nur eine einzige physische Auseinandersetzung, schreibt er, und die wurde von ihr initiiert.

Überhaupt ist Nicole in seiner Erzählung eine durchweg instabile Person, die sehr launisch agiert, mal aggressiv und dann wieder unterwürfig handelt – und irgendwann, so sein Verdacht, durch ihre neuen Freunde auch mit Drogen in Berührung kommt. O.J. berichtet, wie Nicole nach der Scheidung wieder mit ihm zusammenkommen wollte, und wie die beiden nochmal Anlauf zu einer Versöhnung genommen haben, die aber aufgrund ihrer Stimmungsschwankungen und Unzuverlässigkeiten nach einigen Monaten auch wieder ein Ende fand. Zum Zeitpunkt ihrer Ermordung, schreibt er, wollte er nichts mehr von ihr wissen, sondern hoffte nur noch, daß sie ihr Leben auf die Reihe kriegen würde, damit ihre beiden gemeinsamen Kinder nicht in Mitleidenschaft gezogen würden.

Dann kommt das Kapitel "The Night in Question", in dem plötzlich ein Freund namens Charlie auftaucht, von dem vorher nie die Rede war. Daß die Tatbeschreibung quasi als Gedankenspiel verpackt ist, wird nur von einem einzigen Satz eingeleitet: "Now picture this – and keep in mind, this is hypothetical", stellt er dem Mord voran. In dieser Version fährt er zusammen mit dem ominösen Charlie zu Nicole, um ihr wegen ihrer Unzuverlässigkeit ernsthaft ins Gewissen zu reden, und nimmt dafür ein Messer mit, das er im Auto aufbewahrt ("I kept it on hand for the crazies. Los Angeles is full of crazies"), um ihr Angst zu machen. Das Gespräch eskaliert zum Streit, als Goldman dazukommt – aber der Mord selber bleibt in einem Filmriss verborgen: "Then something went horribly wrong, and I know what happened, but I can't tell you exactly how. […] I looked down at myself. For several moments, I couldn't get my mind around what I was seeing. The whole front of me was covered in blood, but it didn't compute. Is this really blood? I wondered. And whose blood is it? Is it mine? Am I hurt?"

Das genaue Ende des "hypothetischen Teils" ist nicht klar gekennzeichnet – aber am Ende des Kapitels, als die Polizei bei ihm zuhause auftaucht, schreibt Simpson wieder klar, dass er unschuldig sei. Er beschreibt noch das Verhör und seine spätere dramatische Flucht vor der Polizei, und die Erzählung hört dort auf, wo er nach der wahnwitzigen Verfolgungsjagd in Gewahrsam genommen wird. Kurz davor betont er noch einmal deutlich, wie die Welt alles mißverstanden habe: "I heard myself described as an obsessively jealous ex-husband so many times that the media almost had me believing it. To make matters worse, a number of reporters ran around interviewing these so-called experts on battered women, creating the impression that Nicole had been a battered woman, and that I, O.J. Simpson, her former husband, was a known batterer."

Es muß jeder für sich selber entscheiden, was er von O.J.s Darstellung halten will, oder ob er ihm Glauben schenken mag. Um fair zu bleiben: Auch andere Berichterstatter und Zeugen haben angegeben, daß bei Nicole Simpson wohl irgendwann Drogen ins Spiel kamen, also könnten die Erzählungen über ihre Unberechenbarkeiten stimmen. Und um weiterhin fair zu bleiben: Es wäre durchaus denkbar, daß sie psychische Probleme hatte, und daß sich daraus Situationen ergeben könnten, die ihn ungerechtfertigt in ein schlechtes Licht rücken.

Aber selbst, wenn man gewillt ist, O.J.s Sicht zu akzeptieren, bleibt die Frage, warum die Unschuldsbeteuerung mit einem als fiktiv behaupteten Tathergang verknüpft wird. Ist er schon so gewohnt, als Mörder angesehen zu werden, daß er für seine Öffentlichkeit unbekümmert selber in die Rolle schlüpfen kann? War ein derartiges Kapitel der einzige Weg, überhaupt eine solche Buchpublikation verwirklichen zu können? Ein wenig hat man das Gefühl, als hätte Simpson die Geschichte wegen des Geldes erzählt – und dafür gesagt: Wenn ihr mich schon als Mörder seht, dann spiele ich für eine Million nochmal den Mörder für euch. Immerhin gibt Ghostwriter Fenjves in seinem Vorwort an, daß er das "Mordkapitel" Simpson sehr mühsam aus der Nase ziehen mußte, während der Rest locker im Plauderton erzählt wurde – und daß Simpson, nachdem ihm die Rechte am Manuskript entzogen wurden und er nichts mehr damit verdienen würde, auch nichts mehr mit dem Buch zu tun haben wollte.

Wobei man auch die Vor- und Nachwörter, die Simpsons Erzählung einbetten, mit etwas Vorsicht genießen sollte. Die Goldman-Familie rechtfertigt sich in ihrem Text für die Publikation des Buchs: Sie gibt an, daß sie nur so Simpson überhaupt zu einer Verantwortung bringen kann – und stellt gleichzeitig ohne Zweifel klar, daß sie seine Geschichte für ein Geständnis hält. Natürlich tut sie das: Sie braucht ein Geständnis nach all den Jahren, in denen der Mann, der vielleicht ihren Sohn ermordet hat, freigesprochen wurde und auch sonst niemand dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.

Der Anwalt der Goldmans erläutert ausführlicher, wie der lange Publikationsprozeß von IF I DID IT ablief – und wiederholt die Rechtfertigungen der Familie. Ein völlig überflüssiges Nachwort des Autoren Dominick Dunne stellt sich auf Seite der Goldmans – seine einzige Verbindung zum Fall ist es, den Prozeß seinerzeit genau verfolgt zu haben. Nachdem seine Tochter Dominique (bekannt als Schauspielerin aus POLTERGEIST) 1983 tragischerweise ermordet wurde, ist es höchst verständlich, daß er sich den Goldmans in ihrer Überzeugung anschließt, den Mörder bestrafen zu wollen – aber gleichzeitig liefert die Solidaritätserklärung auch keinerlei Erkenntnisgewinn.

Selbst Ghostwriter Fenjves schreibt in seinem Vorwort, daß er nicht an die Existenz von "Charlie" glaubt – und außerdem stellt sich heraus, daß er seinerzeit im Prozeß gegen Simpson (mit einem kleinen Detail) ausgesagt hatte. "I'd assumed from the start that he was guilty, and in the years since I'd heard nothing to make me change my mind", erklärt er gleich vorweg. Sprich: Simpsons eigene Version wurde von einem Mann verfaßt, der sie für Unfug hält – schwerlich die besten Voraussetzungen für eine brauchbare andere Sichtweise.

Und so zerrt IF I DID IT den Leser hin und her. Simpson will einen auf seine Seite ziehen und dabei sein Image korrigieren, die Verleger steuern dagegen und wollen den Leser mit aller Macht davon überzeugen, daß sie im Recht liegen. Damit ist das Buch eine doppelt schwierige Lektüre: Zum mal befremdlichen, mal beklemmenden Background der Erzählung und der reißerischen Prämisse des Pseudo-Geständnisses gesellt sich das Gefühl, daß man überhaupt nicht mehr weiß, was man von all dem halten soll. Hinterher ist man freilich kaum schlauer als vor der Lektüre – aber man würde allen Beteiligten wünschen, daß sie die Geschichte endgültig auf die eine oder andere Weise abschließen können.




DAS MORGAN PROJEKT: Künstliche Menschen aus dem Hause Scott

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Lee (Kate Mara) trifft Morgan (Anya Taylor-Joy)

Nach Jake Scott und Jordan Scott tritt nun auch der 1968 geborene Luke Scott in die Fußstapfen seines Vaters und präsentiert mit dem 2016 veröffentlichten DAS MORGAN PROJEKT (im Original schlicht MORGAN) sein Spielfilmdebüt. Im folgenden Gastbeitrag macht sich mein Podcast-Kollege Dr. Wily einige Gedanken über den Science-Fiction-Thriller.



Familie Scott beschäftigt sich ein weiteres Mal mit dem künstlichen Menschen: Produzent von MORGAN ist Ridley Scott, der sich nicht nur in BLADE RUNNER, sondern auch in seiner ganz persönlichen Forterzählung der ALIEN-Geschichte auf die Suche nach dem Ursprung des Menschlichen, dem Kern des Mensch-Seins begeben hat. Vielleicht ist es aber auch nur Zufall, daß sein Sohn Luke Scott mit MORGAN sein Spielfilmdebüt als Regisseur gibt.

Hier geht es um ein Genexperiment, durchgeführt von einem kleinen, familiären Team in einem abgeschiedenen Labor, umgeben von wunderschönen grünen Wäldern. Es soll ein synthetischer Mensch im Reagenzglas erzeugt, geboren und großgezogen werden. Das Ergebnis, nach zwei mißglückten Versuchen, ist Morgan (Anya Taylor-Joy). Sie ist zu einer jungen Frau herangewachsen, hat aber kürzlich in einem bislang unerklärbaren Anfall einer Mitarbeiterin ein Auge ausgestochen und kurz davor einem verletzten Reh das Genick gebrochen. Das macht der Firmenzentrale in der Stadt Sorgen, und sie schicken unsere (leider sehr unglücklich gewählte) Hauptfigur Lee (Kate Mara), um sich das Ganze anzusehen und gegebenenfalls Entscheidungen zu treffen. Sie und wir merken bald, daß Morgan zwar den Körper einer jungen Frau hat, aber eigentlich erst 5 Jahre alt ist, also schneller wächst als normale Menschen. Alle Mitarbeiter hängen sehr an Morgan und haben eine enge Bindung zu ihr aufgebaut, die einer Eltern-Kind-Beziehung sehr ähnlich ist. Nur Lee sieht sie als biologisches Produkt und bezeichnet sie auch konsequent als "Es". Lee wiederum wird auch gleich als ein von der Zentrale geschickter "assassin" erkannt.

So. Damit wäre das Set-Up erklärt und auch die sich daraus ergebenden Konflikte. Mit einer durchaus interessanten Prämisse ist der Film auch eine Weile spannend und sehr schön anzusehen. Dann kommt Paul Giamatti als einer dieser ärgerlichen Filmpsychologen, die scheinbar allesamt nicht auf einer Universität, sondern bei Dr. Loomis aus HALLOWEEN studiert haben. Er nimmt eine dieser ärgerlichen psychologischen Filmevaluationen vor, in der er zwar vermeintlich interessante Fragen stellt, aber nichts dazu dient, Widersprüche der Figuren zu erforschen, sondern alles dazu, Morgan zu reizen und so den dritten Akt in Gang zu setzen, in dem es dann nurmehr ums Laufen, Schießen, Kämpfen und Sterben geht. Die Sache endet folgendermaßen: Morgan und Lee sind beide gezüchtete Supersoldatinnen aus verwandten Testreihen. Morgan dreht durch und killt ein paar Leute. Lee bleibt professionell programmiert und killt alle anderen.

Kate Mara als Lee Weathers
Profi-Problemlöserin Lee Weathers (Kate Mara).

In den Leerstellen dieser Geschichte haben sich dann einige Fragen bei mir aufgetan. Warum ist ein künstlich erzeugter Mensch aus menschlichem Genmaterial eigentlich kein normaler Mensch? Was unterscheidet uns da? Was macht also das spezifisch Menschliche aus? Wenn dieses Kind körperlich schneller wächst, entwickeln sich Gehirn und Emotionen genauso schnell? Daraus würde sich die Frage ergeben – wie lernen wir Emotionen? Nun, viel über unser Umfeld. Dementsprechend hätte sich Morgan ja zu einem sehr liebevollen Menschen entwickeln müssen. Was aber läßt das Umfeld so eine emotionale Bindung zu ihr aufbauen, wo sie doch angeblich kein normaler Mensch ist? Was soll uns das Ganze über den Menschen erzählen, wenn es am Ende nur gezüchtete Kampfmaschinen sind? Mehr Fragen als Antworten hätten der Geschichte gut getan. Mehr Ambivalenzen als völlig auserklärte Szenen. Aber mit solchen Dingen belastet sich MORGAN erst gar nicht.

Doch lassen wir uns kurz auf die Welt von MORGAN ein und vergessen den Film, den ich vielleicht gern gesehen hätte. Da züchtet also eine Firma diverse Supersoldaten gleichzeitig in verschiedenen Projekten und Locations. Es wird versucht, diese künstlichen Soldaten so menschenähnlich wie möglich zu machen. Wozu genau, erfahren wir nicht. In der Geschichte sind sie vor allem dazu da, sich gegenseitig umzubringen. Das wäre aber unlogisch. Es kann fast nur auf Undercover- oder Infiltrationsaufträge abzielen, denn an der Front sind, wenn schon künstlich, Robocops wohl die bessere Wahl. Es bleibt ein Rätsel.

Daß es, wie wir erzählt bekommen, nur Frauen sind, die gezüchtet werden, tut dem Film ganz gut. Es erzeugt in seinen Actionszenen immer noch wirkungsvolle Bilder, die Geschlechterstereotypen aus Actionfilmen umdeuten. Gleichzeitig sollen es aber gar keine Frauen sein: Diese Soldaten sind geschlechtslos. Sie wurden hier halt nur mit zwei Schauspielerinnen besetzt. Kate Mara bekam einen Kurzhaarschnitt und Anya Taylor-Joy einen Kapuzenpulli.

Paul Giamatti als Psychologe Dr. Shapiro
Wohl nur ein Bachelor-Absolvent der Loomis-Schule: Psychologe Dr. Alan Shapiro (Paul Giamatti).

Am Ende lernen wir, daß Kate Mara der bessere Soldat ist, weil sie weniger emotional ist und deshalb auch keine zwischenmenschlichen Beziehungen eingeht, während Morgan ihre Freundin Amy (Rose Leslie) schützt, um mit ihr an den See zu fahren. Ihr Todesurteil.

Was wissen wir also nach diesem Film über den Menschen? Der bessere Soldat ist geschlechts- und emotionslos. Fertig. Als Zuseher sind wir einer kalten und distanzierten Auftragskillerin gefolgt, die im Sinne ihrer Persönlichkeit und Rolle in der Geschichte keinerlei Entwicklung durchmachen kann. Wenn es von den Machern vielleicht nur als spannender Thriller gesehen wurde, will sich bei mir aber keine Erleichterung darüber einstellen, daß das Monster Morgan am Ende ertränkt wird. Ich war viel zu beunruhigt über das Monster Lee, das einfach alle, und zwar wirklich alle, Figuren des Filmes fein säuberlich wegputzt und dann zurück in unsere Zivilisation marschiert. Morgans Taten rechtfertigen Lees Taten zu keinem Zeitpunkt.

Das bringt mich wieder zurück zur falsch gewählten Hauptfigur. Zu Morgan bauen wir eine emotionale Verbindung auf, die durch ihre Brutalität, dem Monster in ihr, auf die Probe gestellt wird. Sehr früh im Film wird uns in einer sehr schönen visuellen Idee Morgans innere Zerrissenheit gezeigt. Sie ist hinter einer Glasscheibe eingesperrt. Zweimal tritt sie an dieses Glas heran, um mit jemandem zu sprechen, der auf der anderen Seite steht. Einmal ist es ihre Gegnerin Lee, das andere Mal ihre Freundin Amy. Beide Male tritt Morgan in das Spielbild ihres Gegenübers. Wo Lee ihre Bestimmung als Züchtung ist, ist Amy ihre Chance als Mensch. Wenn wir also mit den Soldatinnen mitfühlen sollen, weil sie einfach nur Versuchskaninchen alter weißer Männer sind (wie uns ein Vorstandsmeeting am Ende zeigt), hätte der Film zumindest anders enden müssen – denn Kate Maras bindungslose Lee ist uns von Anfang bis Ende völlig egal.




Das Morgan Projekt (USA 2016)
Originaltitel: Morgan
Regie: Luke Scott
Buch: Seth Owen
Kamera: Mark Patten
Darsteller: Kate Mara, Anya Taylor-Joy, Rose Leslie, Michael Yare, Toby Jones, Chris Sullivan, Boyd Holbrook, Michelle Yeoh, Brian Cox, Jennifer Jason Leigh, Paul Giamatti

Alle Fotos (C) 2016 Twentieth Century Fox. Die Bilder stammen von der offiziellen Filmseite.

THE SKULLS - ALLE MACHT DER WELT: Von höchst populären Geheimgesellschaften

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Treffen des Geheimbunds The Skulls

Ich hätte ein grundlegendes Problem, wenn ich Mitglied bei einer Geheimgesellschaft sein sollte: Man darf ja niemandem davon erzählen. Wenn man schon in so elitäre und einflußreiche Kreise aufgenommen wird, möchte man doch, daß das Umfeld auch darüber Bescheid weiß! Wieviel Spaß macht es wohl, zum Großmeisterlogenumtrunk eingeladen zu sein und den Freunden dann lahm vorzuschwindeln, daß man schon wieder den Abend auf der Couch verbracht und die Continuity-Probleme von AMERICAN FIGHTER 5 studiert hat?

Die Geheimgesellschaft "The Skulls" im gleichnamigen Film hat wohl ein ähnliches Problem. Idealerweise wüßte ja gar niemand von der bloßen Existenz eines Zusammenschlusses, der so mächtig ist, daß daraus schon mehrere US-Präsidenten und die Gründung der CIA hervorgegangen sind – aber das bremst das Vergnügen am rituellen Herrenabend ja dann doch zu sehr. Also besitzt die Skulls-Gesellschaft ein großes Gebäude am Campus, innen wie eine Krypta eingerichtet, außen mit großem Logo des Bundes gekennzeichnet (natürlich: der Totenschädel). An der Tür hängt womöglich noch ein Schild: "Hier befindet sich kein Sitz irgendeiner geheimen Gesellschaft".

Joshua Jackson und Paul Walker lernen sich bei einem Skulls-Ritual kennen
Ein anheimelndes Kennelernritual bei den Skulls: Caleb (Paul Walker, links) und Luke (Joshua Jackson).

So hat sich die Existenz der Skulls also doch schon ein wenig herumgesprochen, weswegen die Studenten am Campus auch schon darüber Bescheid wissen, daß der Clan jedes Jahr fünfzehn neue Studenten in seine Reihen aufnimmt. Das machen sie mit einem schwer geheimen Aufnahmeritual, wie Luke McNamara (Joshua Jackson) feststellen muß: Er erhält einen Telefonanruf, in dem er instruiert wird, innerhalb von 40 Sekunden an einem bestimmten Ort am Campus zu sein. Dort steht ein öffentliches Telefon, an dem er den nächsten Punkt der Schnitzeljagd erfährt. Am Ziel angekommen soll Luke ein komisches Gebräu mit der Aufschrift "Drink Me" zu sich nehmen, das ihn nicht zu Alice ins Wunderland katapultiert, sondern bewußtlos macht. Wenig später wacht er in einem Sarg im Hauptquartier der Skulls auf, zusammen mit einigen weiteren Anwärtern.

Wie jede anständige Kino-Geheimgesellschaft pflegen auch die Skulls ihre einschüchternden Rituale. Der Club ist eine Mischung aus Sekte und Burschenschaft: Für die Aufnahme muß eine dezent gefährliche Mutprobe bestanden werden, dafür erhalten die Mitglieder dann ein bibelähnliches Regelbuch, das, wie es heißt, für jede Situation die passenden Vorschriften parat hält. Vielleicht steht dann auch darin, wie man der Freundin am schonendsten beibringt, dass der neue gelbe Hut ein Fehlkauf war.

Joshua Jackson und Leslie Bibb lesen das Skulls-Regelbuch
"Steht da auch drin, was man tun soll, wenn das Skript nicht so richtig gut ist?"

Als neuer Skull erhält Luke sämtliche Annehmlichkeiten zur Verfügung gestellt, die so ein junger Mann sich wünschen kann (wenn er nicht gerade darauf spezialisiert ist, 35mm-Kopien von alten Shaolinfilmen zu sammeln). Beim großen Empfang in der Festhalle lernt er wichtige Leute kennen und kriegt eine hübsche Frau für den Abend spendiert (die vorher ausführlich über ihn unterrichtet wurde – wahrscheinlich, um beim Smalltalk nicht etwa ein heikles Thema wie Lücken in der hauseigenen Shaolinfilmsammlung anzuschneiden). Plötzlich befindet sich jede Menge Geld auf dem Konto, außerdem wird ein neuer Sportwagen spendiert. Luke kriegt sogar ein Dokument in die Hand gedrückt, daß er auf einer Universität seiner Wahl zum Jurastudium zugelassen wurde – obwohl er sich noch nirgendwo beworben hat! Bei einer solch herzlichen Aufnahme im Kreis solch lieber Menschen darf man einige Momente lang mutmaßen, ob der Konflikt des Films darin bestehen wird, daß Luke doch viel lieber zum Gesangsstudium an die Pop-Akademie nach Mannheim gehen möchte.

Aber nein, die wahren Probleme von Luke liegen ganz woanders: Sobald sein Freund Will und seine platonische Freundin Chloe (die viel zu hübsch ist und außerdem viel zu wenig andere Figuren kennt, um nicht bis Filmende doch noch mit dem schönen Luke anzubandeln) vermuten, daß er nun Mitglied einer Geheimgesellschaft ist, herrscht miese Stimmung. Vor allem Will ist prompt schwer beleidigt, daß Luke ab sofort Geheimnisse vor ihm haben wird.

Joshua Jackson und Leslie Bibb als total platonische Freunde
Voll platonisch: Luke (Joshua Jackson) und Chloe (Leslie Bibb).

Zum Glück kriegt Luke aber einen neuen Freund zur Seite gestellt: den auch sehr schönen Caleb Mandrake (Paul Walker, bevor er aufs Gaspedal stieg). Bei den Skulls kriegt nämlich jeder einen "Seelenverwandten" verpaßt, mit dem er über wirklich alles reden kann – außer vielleicht, wenn man gerade den besten Freund seines neuen Seelenverwandten auf dem Gewissen hat, wie es Caleb mit Luke bzw. Will gerade passiert ist. Der Journalismus-Student Will arbeitete nämlich an einem aufrüttelnden Exposé über die Skulls (die sich angesichts ihres Bekanntheitsgrades überlegen sollten, einfach gleich eine PR-Firma anzuheuern). Dafür hat er Calebs Regelbuch und seinen Schlüssel zum Skulls-Hauptquartier geklaut – und bei den dortigen Recherchen kam es durch Calebs plötzliches Auftreten zu einem Unfall, bei dem Will leider kopfüber auf den Marmorboden gekracht ist.

Die Skulls regeln das natürlich: Der Vorfall wird schnell als Selbstmord getarnt, damit das angenehme Skull-Dasein weitergehen kann. Nur ein lästiger Inspektor stellt Luke penetrant unangenehme Fragen – und so darf der frischgebackene Geheimgesellschaftsjüngling schon bald die Wahrheit über seine neuen Brüder erfahren und sich überlegen, wie er aus dem Verein wieder austreten kann. Sie machen es einem ungefähr genauso schwer wie Facebook, wenn man sein Konto löschen will.

Im restlichen Film gibt es Verfolgungsjagden, ein Duell nach dem Regelbuch, Paul Walker mit nacktem Oberkörper beim Boxtraining, einen von Chloe gebauten Kunstroboter und geheimnisvoll gelöschte Sicherheitskameraaufnahmen. Zweimal sitzt Student Luke sogar in einem Seminar, das fast so hübsch photographiert ist wie der ganze Rest vom Film.




The Skulls - Alle Macht der Welt (Kanada/USA 2000)
Originaltitel: The Skulls
Regie: Rob Cohen
Buch: John Pogue
Kamera: Shane Hurlbut
Musik: Randy Edelman
Darsteller: Joshua Jackson, Paul Walker, Hill Harper, Leslie Bibb, Christopher McDonald, Steve Harris, William Petersen, Craig T. Nelson

Die Screenshots stammen von der DVD (C) Kinowelt.

IRON MAN: Der gemachte Superheld

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Robert Downey Jr. als Iron Man

Wenn man schon einen Superhelden im Team hat, kann der auch getrost die Konkurrenz besprechen. Mit den folgenden Überlegungen zu IRON MAN startet Gastautor Dr. Wily eine Reihe über die einzelnen Filme des Marvel Cinematic Universe.



2008 ändern die Marvel Studios ihre Geschäftsstrategie. Fungierten sie bis dahin als Co-Produzenten und Lizenzgeber, wollen sie nun als eigenständiges Studio völlig eigenfinanzierte Verfilmungen ihrer beliebten Comicfiguren in die Kinos bringen. Sie erhoffen sich davon vor allem zwei Dinge. Erstens soll damit eine genauere kreative Kontrolle möglich sein. Alle Filme sollen, wie die Comics auch, im gleichen Universum spielen, womit auch Überlappungen zwischen den Geschichten möglich sein sollen. Die Option einer Franchise war von Anfang an auf dem Radar der Marvel Studios. Zweitens wollen sie das ganze Geld verdienen, das die Filme einspielen. Im Falle eines Erfolgs wollen sie nicht nur auf den Lizenzgebühren sitzen bleiben. Daß das Unterfangen von Beteiligten wie Marvel-Studios-Präsident Kevin Feige und Regisseur Jon Favreau als riskant und mit viel Unsicherheit und Angst verbunden erinnert wird, kann man sich heute kaum mehr vorstellen. "People forget IRON MAN was an independent movie," erzählt Feige in Vanity Fairund fragt sich offenbar immer noch: "What is the movie that's going to mess it all up?"

Als Einstieg in dieses Marvel Cinematic Universe (MCU) wählen sie also IRON MAN. Der Film erzählt die Läuterungsgeschichte von Tony Stark (Robert Downey Jr.). Tony ist ein Technikgenie, ehemaliges Wunderkind und mindestens mehrfacher Milliardär (Ähnlichkeiten mit Howard Hughes sind kein Zufall), der von seinem Vater Howard die Firma Stark Industries geerbt und massiv ausgebaut hat. Stark Industries baut und vertreibt Waffen. Aber nicht irgendwelche Waffen: Das Genie Tony baut die besten Waffen der Welt. Seiner Auffassung nach entsteht Frieden nur dann, wenn einer "den größeren Stock hat". Darüber hinaus kümmert sich der Playboy und Großkotz sehr wenig um die Auswirkungen seiner Produkte. Bis er bei einer Waffenpräsentation in Afghanistan von Terroristen überfallen und gekidnappt wird. Bei dem Überfall explodiert neben Tony eine seiner tollen Raketen, woraufhin er Schrapnel im Körper trägt. Nur eine Batterie in seiner Brust hält das Metall von seinem Herz fern. Tony, der Mann, der nun Eisen in sich hat, muß zum Teil eine Maschine werden, um zu überleben. Hier beginnt die Läuterungsgeschichte: Nach seiner Rückkehr stampft Tony die Waffenproduktion seiner Firma ein und will sich auf eine neuartige, seiner Meinung nach friedfertige Technologie konzentrieren. Während er am Update seiner Iron-Man-Rüstung schraubt, ist sein Partner und Anteilseigner Obadiah Stane (Jeff Bridges) von diesen Plänen nicht überzeugt, und es kommt zum Showdown zwischen den beiden.

Robert Downey Jr. als "Iron Man" Tony Stark
Superheld mittels Technologie: "Iron Man" Tony Stark (Robert Downey Jr.).

Daß Robert Downey Jr. damals für die Rolle des Tony Stark ausgewählt wurde, war ein kleiner Clou, der sich angesichts Downeys Popularität mitlerweile kaum mehr nachvollziehen läßt. Nach Jahren der Drogenabhängigkeit, Entzugskuren und Gefängnisaufenthalte hatte er, der als junger Mann mehrfach als bester Schauspieler seiner Generation gepriesen worden war, gerade erst begonnen, sich zurück ins Rampenlicht zu arbeiten. Downey wurde während der Promo zu IRON MAN nicht müde zu betonen, wie sehr er sich mit der Rolle des Überheblichen, der fallen muß, um sich selbst zu finden, identifizieren konnte. Zehn Jahre und sieben (oder acht, wenn man die Schlußszene in THE INCREDIBLE HULK mitzählt) Auftritte als Tony Stark später sieht es so aus, als wäre es die Rolle seines Lebens geworden (mit der er laut Vanity Fair allein 2015 um die 80 Millionen Dollar verdient haben soll).

Visuell hat Regisseur Jon Favreau, der zuvor zwar zwei Filme inszeniert, aber vor allem als Schauspieler gearbeitet hatte, aus IRON MAN eine solide gefilmte, unterhaltsame Actionkomödie nach dem Blockbusterhandbuch gemacht. Der Film ist handwerklich einwandfrei, glänzt wie der Anzug seines Titelhelden in schönen Farben und kommt genau so glatt und selbstbewußt daher wie Tony Stark – inklusive der Tendenz, sich für etwas schlauer und besser zu halten, als er in Wirklichkeit ist.

"Iron Man" Tony Stark: Robert Downey Jr.
Nur ein kleiner Rückschlag für den selbstgemachten Superhelden Tony Stark (Robert Downey Jr.).

Es ist spannend, heute zu sehen, wieviel Zeit sich der Film für die Technik des Iron Man nimmt. Jon Favreau erzählt, daß es ihm wichtig war, den Anzug als technologiebasiert zu zeigen. Er setzt immer wieder dessen metallische Schwere und Unbeweglichkeit in Szene, und wir sehen ausführlich, wie die Mechanik funktioniert. Er zeigt uns verschiedene Stadien der Rüstung (die allererste orientiert sich am ursprünglichen Iron Man in den Comics der 1960er Jahre) und Szene um Szene, in der Tony am Anzug schraubt, ihn testet und pseudotechnischen Kauderwelsch in seinen Computer Jarvis diktiert. Das ständige Verbessern und Umbauen des Anzugs wird, wie auch in den Comics, ein wiederkehrendes Element der Iron-Man-Filme werden.

Tony soll als Bastler und Arbeiter gezeigt werden. Er mag ein Genie und arroganter Milliardär sein, aber er ist auch zielstrebig, fleißig und entschlossen und hat sich seinen Ruhm und Reichtum auch verdient. Er ist nicht der geborene Superheld, nicht der Auserwählte, sondern ein gemachter. Dietmar Dath bezeichnet ihn im Reclam-Buch SUPERHELDEN als einen Superheld aus Selbstermächtigung. Daher darf man ihm auch trauen, wenn er als Iron Man selbst entscheidet, wer mit was auf wen schießen darf. Die den Superhelden innewohnende Thematik der Selbstjustiz wird erst bei CAPTAIN AMERICA - CIVIL WAR so richtig zum Thema, aber es ist schon hier, im ersten Film des MCU, ein Problem in Tony Starks Charakter. Zu Beginn ist er ein reicher Waffenproduzent, der der Meinung ist, daß der mit dem "größeren Stock" für Frieden sorgt, und dem egal ist, was mit seinen Waffen passiert. Am Ende ist er ein reicher Waffenproduzent, der den größten Stock am eigenen Körper trägt und damit entscheidet, wer gut und wer böse ist. Die Läuterung ist hier nur eine vermeintliche: Tonys Weltsicht hat sich nicht verändert, er hat sie nur seinem neuen Selbstbild und Ego angepasst. Die ganze aufgesetzte Kritik am industriell-militärischen Komplex zerfällt, zumal sich der Film auch sonst sehr beeindruckt vom amerikanischen Militär zeigt. Die zweite Charakterentwicklung Tonys, der lernt, daß er in bestimmten Situationen seine eigenen Bedürfnisse zurückstellen muss, ist dagegen sehr stimmig und nachvollziehbar erzählt und kommt erst in THE AVENGERS so richtig zum Tragen.

Jeff Bridges als Gegenspieler Obadiah Stane
Starks Gegenspieler Obadiah Stane (Jeff Bridges) rüstet auf.

IRON MAN war 2008 unter den acht erfolgreichsten Filmen des Jahres, und das MCU hat sich in den vergangenen zehn Jahren zum Dauerhit und Popkulturphänomen entwickelt. Keiner der Filme des Studios war ein Flop, wenn auch manche besser liefen als andere. Neben der zugänglichen und unterhaltsamen Inszenierung und der kurzweiligen und leicht verdaulichen Geschichte von IRON MAN hat, denke ich, ein weiteres Element wesentlich dazu beigetragen, daß die Leute auch den nächsten Film aus dem Hause Marvel sehen wollten: Die Marvel Studios versprachen schon in IRON MAN eine viel größere Geschichte. Ob es jetzt das mehrmalige, als Running Gag verpackte, Auftauchen von S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson (Clark Gregg) ist, der Blick von James Rhodes (Terrence Howard) auf seinen zukünftigen Warmachine-Anzug, den er mit "Next time, baby" kommentiert, Captain Americas Schild im Hintergrund von Tonys Labor oder Nick Furys (Samuel L. Jackson) Hinweis auf die Avengers in der Post-Credit-Sequenz – Fans wußten, wovon die Rede war, und konnten frohlocken ob der Dinge, die da kommen würden. Unbedarfte wurden mit einem Geheimnis konfrontiert, das neugierig machte und gleichzeitig aus der Cliffhanger-Erzählweise der boomenden Fernsehserienformate zur gleichen Zeit sehr vertraut war. Seit IRON MAN bleiben mehr Menschen den ganzen Abspann lang im Kino sitzen – wenn auch nur bei Comicverfilmungen.

Post-Credits: Der schönste Effekt des Films sind meiner Meinung nach übrigens Gwyneth Paltrows Sommersprossen. Die sind bei ihren weiteren Auftritten als Pepper Potts verschwunden. Es hat mich verwundert zu sehen, wie glatt ein ohnehin schon glattes Produkt in zehn Jahren noch gebügelt werden kann. Das ist ja fast wie bei den Platten der Eagles.




Iron Man (USA 2008)
Regie: Jon Favreau
Buch: Mark Fergus, Hawk Ostby, Art Marcum, Matt Holloway
Kamera: Matthew Libatique
Musik: Ramin Djawadi
Darsteller: Robert Downey Jr., Terrence Howard, Jeff Bridges, Gwyneth Paltrow, Leslie Bibb, Clark Gregg, Jon Favreau, Tim Guinee

DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente

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Edward Norton als Hulk

Nach seinen Betrachtungen zu IRON MAN, dem Beginn des Marvel Cinematic Universe, stürzt sich Dr. Wily auf den nächsten Superhelden. Ob DER UNGLAUBLICHE HULK (im Original THE INCREDIBLE HULK) auch unseren gelassenen Gastautor zum grünen Wutteufel werden läßt?



Am Ende ist THE INCREDIBLE HULK eine etwas enttäuschende Sache. Vielleicht, weil Enttäuschung immer etwas mit Erwartungen zu tun hat und ich an den anderen AVENGERS-Geschichten bisher ja großen Gefallen gefunden habe. Aber auch, weil ich den Hulk eine an sich spannende Figur finde. Vielerorts wird er als langweilig und eindimensional bezeichnet, weil er nur ein Mann ist, der sich nicht ärgern darf, da er sonst zu einem großen, grünen Fleischpaket wird, das brüllt und alles kaputt macht. Was ja vom kindlichen Standpunkt aus eine ungeheuer aufregende und vielsprechende Prämisse ist - man darf ja die eigentliche Zielgruppe dieser Filme nicht vergessen.

Der Erwachsene in mir sieht im Hulk noch etwas zusätzlich Interessantes. Wie seine Kollegen von den X-Men oder klassische Horrormonster wie der Wolfsmensch oder der Vampir ist er nicht nur ein Monster/Superheld, sondern erzählt auch etwas über uns Menschen. Die X-Men sind nicht nur Mutanten mit speziellen Kräften, sie sind auch "die, die anders sind" und werden deshalb gefürchtet, ausgegrenzt und verfolgt. Der Vampir erzählt uns immer etwas über sexuelle Begierde. Auch beim Hulk ist seine spezielle Fähigkeit nicht bloß Segen und Superkraft, sondern auch Fluch. Die Achillesferse ist Teil seiner Außergewöhnlichkeit. Die rasende, brodelnde Wut, die in uns aufsteigt und die uns selbst Angst macht, weil wir das Gefühl haben, die Kontrolle zu verlieren und uns selbst nicht mehr zu kennen (Mark Ruffalos Bruce Banner nennt ihn in THE AVENGERS nicht zufällig "the other guy"), die Wut, die wir zügeln müssen, um uns selbst oder andere nicht zu verletzen, Beziehungen nicht zu gefähren, das soziale Gefüge nicht stören - das ist der Hulk. Spätestens im Straßenverkehr kommt bei fast jedem einmal das große, grüne Wutmonster hervor.

Edward Norton als Bruce Banner
Bruce Banner (Edward Norton) auf der Flucht.

Was macht nun Regisseur Louis Leterrier in seinem THE INCREDIBLE HULK damit (oder eben nicht)? Nun, der Mann hat unter anderem zwei der TRANSPORTER-Filme und KAMPF DER TITANEN gemacht - was seine Geschmacks- und Interessenlage ganz gut darlegt. Leterrier macht Action und mag Spezialeffekte. Ergo finden sich diese beiden Elemente auch häufig in diesem Film, was mein Interesse an der Geschichte ja nur zum Teil befriedigt.

Der Film frühstückt die Origin-Story des Hulk - das schiefgegangene Experiment, das Bruce Banner (Edward Norton) mit Gamma-Strahlen verseucht - gleich während des Vorspanns ab und zeigt uns Banner dann, wie er sich in den Favelas von Rio De Janeiro von der Welt zurückgezogen hat. Dort versucht er mittels fernöstlicher Kampfkunst, Meditation und Atemübungen den Hulk unter Kontrolle zu halten. Er trägt einen Pulsmesser, der ihn warnt, wenn er sich zu sehr aufregt, und versucht mit Hilfe von Pflanzen und Experimenten fieberhaft, "es" loszuwerden. Er begreift den Hulk als Krankheit, die es zu heilen gilt, und als etwas, das nicht in ihn hinein gehört.

Bruce Banner ist hier nicht nur ein Außerseiter, er ist aus der Gesellschaft gefallen. Im Gegensatz zu zukünftigen Avengers-Kollegen wie Iron Man, Thor und auch Captain America ist sich Banner der negativen Seiten seiner Fähigkeiten bewußt und übernimmt fast zuviel Verantwortung dafür. Er muß sich vor dem Militär verstecken, benutzt deshalb keine Kreditkarten und kein Telefon, kontaktiert einen helfenden Wissenschaftler nur über gut verschlüsselte Emails und hat den Kontakt zu seiner großen Liebe Elizabeth (Liv Tyler) völlig abgebrochen, um sie nicht zu gefährden. Wir sehen ihn oft in Fetzen am Straßenrand kauern, ausgelaugt, müde, unrasiert und völlig verängstigt. Als er seiner Elizabeth wieder begegnet, verkriecht er sich sogar hinter einer Mülltonne. In seinen Träumen lassen ihn Bilder von Gewalt und Wut nicht los, und er behandelt sich selbst wie einen Aussätzigen. Er ist eine traumatisierte, gepeinigte und bisweilen sogar selbstgeißelnde Seele, kurzum - ein wirklich riesengroßes Häufchen Elend. Edward Norton kann das gut.

Banner (Edward Norton) und Elizabeth (Liv Tyler)
Bruce Banner (Edward Norton) und seine große Liebe Elizabeth (Liv Tyler).

Doch der Film läßt seinen Figuren keine Zeit, gibt ihnen keinen Raum. Bei Minute 16 ist Banner auf der Flucht, bei Minute 22 taucht der Hulk das erste Mal auf, und dann geht es nach Baukastenprinzip weiter. Alle zwanzig Minuten muß es actionmäßig krachen, auch wenn das bedeutet, sich gerade entwickelnde Charaktermomente einfach abzudrehen. Am schmerzhaftesten ist es bei der Szene auf dem Unigelände. Banner hatte gerade Elizabeth wieder getroffen, es entwickelt sich wieder eine Beziehung, die Chemie zwischen Norton und Tyler stimmt. Da stehen plötzlich Soldaten hinter den Bäumen und Jeeps brechen durch das Gebüsch. Keine Ahnung, wie die dort hingekommen sind, aber das Militär weiß wahrscheinlich immer, wo alle sind.

Wie Leterrier diesen persönlichen Moment abwürgt, tut richtig weh. Und er macht es immer wieder. Elizabeth und Bruce bekommen keine Möglichkeit, ordentlich zusammenzufinden. Beim nächsten Mal versucht er es mit Humor. In der "Bettszene" zerbröselt fast jede aufkeimende Intimität zwischen Norton und Tyler zuerst am Tempo, mit dem er über den Dialog hetzt. Beziehung, Zärtlichkeit und Annäherung brauchen Zeit - doch dazu kommt es nicht. Kaum beim Petting, schlägt Banners Pulsmesser an. Dem Armen ist sogar Sex zuviel Aufregung! Ohne alle Hulkcomics gelesen zu haben, behaupte ich: Das war nicht die Grundidee. Der Hulk entsteht in den Vorlagen durch Wut und wird durch mehr Wut immer stärker und mächtiger. Wenn die Marvel-Studios behaupten, ihre Filme selbst zu finanzieren, damit die Geschichten näher am Ausgangsmaterial bleiben, dann haben sie in diesem Fall ihre eigenen Hefte nicht genau gelesen. Auch, daß der Hulk teilweise so animalisch-männliche Züge bekommt und sich wie ein Gorillamännchen gebärdet, kenne ich so aus dem Comics nicht. Vielleicht sieht der Film Wut, Angeberei und Männlichkeit ja als gegenseitig inhärent.

Der Hulk als King Kong.
King Hulk und die weiße Frau.

Daß die Liebesgeschichte dennoch irgendwie reizend ist und funktioniert, liegt vor allem an Edward Norton und Liv Tyler. Während Herr Norton als Schauspieler als über jeden Zweifel erhaben gilt, scheiden sich an Frau Tyler immer wieder die Geister. Sie wirkt auch hier gewohnt zerbrechlich und nah am Wasser gebaut, ihre Stimme gibt ihr wie immer etwas Entrücktes und Feenhaftes (manche nennen das auch langweilig), doch dem Ganzen wohnt auch eine ungeheur liebevolle Warmherzigkeit inne. Die beiden Schauspieler holen aus ihren gemeinsamen Szenen soviel heraus, da selbst die unempathische Regie nicht alles zerhacken kann.

Noch ein Aspekt an der Liebesgeschichte ist interessant. In einer Szene rettet der Hulk Elizabeth aus den Flammen und ergreift mit ihr die Flucht in die Berge, wo er sie in einer kleinen Höhle in Sicherheit bringt. Hier spielt Leterrier ganz klar auf KING KONG an und zeichnet den Hulk als Monster, das durch die Liebe gezähmt wird. Es zeigt Banner auf, daß er den Hulk möglicherweise doch auf irgendeine Art und Weise kontrollieren kann. Übertragen kann man die Beziehung zu Elizabeth als die Hoffnung lesen, auch trotz unseren unschönen Seiten geliebt zu werden. In dem Moment, in dem sich Banner ihr als Hulk zeigt und erkennt, daß er keine Angst haben muß, verstoßen zu werden, geht die Tür zur Kontrolle des Hulk ein Stück auf (dieses Thema wird in den beiden AVENGERS-Filmen anhand der Beziehung zu Black Widow fortgeführt). Für diesen intimen Moment nimmt sich der Film genau die Zeit, die er für Bruce und Elizabeth nicht hat. Es ist eigenartig - Leterrier versteht offenbar die Beziehung zwischen Hulk und Elizabeth. Die Beziehung zwischen Bruce und Elizabeth versteht er nicht.

Edward Norton als Bruce Banner
Gleich sieht Bruce Banner rot - beziehungsweise grün.

Die beiden sind die einzigen Charaktere in THE INCREDIBLE HULK, die in irgendeiner Weise ausgearbeitet sind. Es gibt auch noch William Hurt als Elizabeths Vater und fieser, gemeiner General. der Banner jagt, sowie Tim Roth als knallharter Soldat, der Banner zur Strecke bringen soll und zu diesem Zwecke ebenfalls per Experiment in ein großes, diesmal gelbliches Fleischmonster verwandelt wird. Klar spielen die beiden das überzeugend, sie gehören zum Besten, was Hollywood zu bieten hat. Warum aber die Hurt-Figur so verbissen hinter Banner her ist, bleibt ein bißchen rätselhaft. Sicher, er will den Hulk als Waffe. Aber das Serum steht eh in seinem Kühlraum, sonst könnte er es Tim Roth nicht spritzen. Vielleicht ist es, weil er ein sturer, eiskalter Militärschädel ist. Oder vielleicht ist er einfach deshalb böse, weil er den Hulk nicht mag. Tim Roths Figur ist noch eindimensionaler: Er will einfach jagen und töten und mächtig sein, glaube ich - was für einen Bösewicht ja ausreichend ist. Ich hatte kurz den Endruck, es geht ihm auch ums Älterwerden und den spürbaren körperlichen Verfall. Aber ein Satz macht noch keine Charaktereigenschaft.

Warum diese Eindimensionalität bei Loki in THE AVENGERS funktionert und hier nicht, liegt am Tonfall: THE INCREDIBLE HULK nimmt sich zu ernst. Zuerst in der harten Zeichnung des gebrochenen Bruce Banner, später in den brutalen und teilweise grausamen Actionsequenzen. Deshalb verpufft auch jeder Versuch von Humor. Der kindliche Spaß fehlt hier. Witzigerweise macht er Lustfeindlichkeit, wie oben beschrieben, sogar selbst zum Thema.

Edward Norton als Bruce Banner
Banner versucht, den Hulk zu kontrollieren.

Auf der Habenseite verbuchen wir zwei tolle Hauptdarsteller und die Tatsache, daß Leterrier versucht hat, hier etwas anderes zu machen als die übrigen Marvelverfilmungen - sowohl im Tonfall als auch im Aussehen. THE INCREDIBLE HULK hat einen realistischeren Look, der an die Bourne-Filme erinnert, was vor allem zu Beginn, bei den Szenen in den Favelas, eine Augenweide ist. Im Gegensatz zu den anderen Filmen aus der sogenannten Phase Eins des Marvel Cinematic Universe erzählt THE INCREDIBLE HULK keine Origin-Story. Es funktioniert mehr wie ein Kapitel in der langen Geschichte des Hulk. Die Charakterreise von Banner/Hulk ist hier, daß er zu Beginn alleine auf der Flucht ist, sich vor der Welt versteckt, sich vor dem Monster in ihm fürchtet und versucht, es durch fernöstlichen Kampfsport zu kontrollieren. Am Ende, nach einer langen Kampfsequenz aus dem Computer, in der die beiden Muskelprotze aufeinander losgehen, ist Banner alleine auf der Flucht, versteckt sich vor der Welt und macht Sport, um das Monster in sich zu kontrollieren - nur, daß es diesmal Joggen ist. Da die angedeutete Entwicklung, Banner habe sich mit dem Hulk arangiert und kontrolliere ihn bewußt, in THE AVENGERS wieder relativiert wird, stellt sich die Frage, welcher Entwicklung wir hier tatsächlich zugesehen haben.

Post-Credits: Ich gebe zu - als sich Bruce Banner gegen Ende aus dem Helikopter fallen läßt, ist mir das direkt in den Bauch gefahren.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld





Der unglaubliche Hulk (USA 2008)
Originaltitel: The Incredible Hulk
Regie: Louis Leterrier
Buch: Zak Penn
Kamera: Peter Menzies Jr.
Musik: Craig Armstrong
Darsteller: Edward Norton, Liv Tyler, Tim Roth, William Hurt, Tim Blake Nelson, Ty Burrell, Lou Ferrigno

IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck

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Und weiter geht es mit dem Marvel Cinematic Universe: Nach seinen Betrachtungen zu IRON MAN und DER UNGLAUBLICHE HULK rüstet sich unser Gastautor Dr. Wily nun für IRON MAN 2.



"I've successfully privatized world peace!", tönt Tony Stark (Robert Downey Jr.) ziemlich zu Beginn und schiebt ein Peacezeichen in die Kamera. Nicht nur einer der witzigsten Momente im Film, sondern auch einer der Brüche, in denen IRON MAN 2 thematisiert, daß Tony Stark Waffenproduzent ist und die ganze Zeit vom Frieden redet. Weltfrieden als narzisstische Größenphantasie, vielleicht sogar sublimierte Welteroberung, wird uns als Thema auch später noch beschäftigen. Inwieweit dem Film dieses Thema klar ist und wie der Film mit all seinen anderen Themen umgeht, ist ein Problem, mit dem ich an dem eigentlich sehr unterhaltsamen und witzigen IRON MAN 2 zu kämpfen habe.

Wir finden Tony Stark, nachdem er im ersten Teil nicht nur eine, sondern gleich zwei Superheldenrüstungen zusammengeschweißt und sich am Ende vor der ganzen Welt als Iron Man geoutet hat, zu Beginn von Teil 2 in der ihm sehr angenehmen Situation, daß er sich die längste Friedensperiode der Geschichte zuschreiben kann, weil sich niemand mit Iron Man anlegen will. Dennoch sind nicht alle Iron Man Fans. Da gibt es das Pentagon und das Militär, die beide gerne Zugriff auf die Iron-Man-Technologie hätten, die Tony Stark aber nicht hergeben will. Stattdessen erwartet er allgemeines Vertrauen in seine Fähigkeiten – geistige, moralische und superheldische. Und es gibt Konkurrenten wie Justin Hammer (Sam Rockwell), der natürlich mehr Neider als Konkurrent ist, und der sehr gerne mit dem Pentagon zusammenarbeiten würde, aber leider die Technologie nicht hat, die die haben wollen.

Gwyneth Paltrow als Pepper Potts
Anzug ja, aber keine Krawatte?

Einige spannende Themen also, die sich hier ankündigen. Wieviel Macht soll sich in einer Hand konzentrieren? Wer kontrolliert Massenvernichtungswaffen, und wie werden sie kontrolliert? Wie steht es mit der Verknüpfung zwischen der Politik und dem industriell-militärischen Komplex in den USA?

Der Film nimmt sich so viel Raum dafür, diese Themen darzulegen, daß man davon ausgehen kann, daß es Absicht ist. Leider ergibt sich daraus keine interessante Fragestellung, kein spannender Konflikt (tiefergehende Auseinandersetzung ist bei einem Superheldenfilm eh nicht unbedingt auf der Erwartungsliste), sondern all diese Szenen sind nur dazu da, um Tony Stark ein Bühne für präpotene Sprüche und coole Witze sowie dem Iron Man Raum für krachende Action zu geben. Es ist, als würde der Film seiner Hauptfigur, dem Blender Tony Stark, selber auf den Leim gehen. Grant Morrison, selbst Autor erfolgreicher Graphic Novels wie ARKHAM ASYLUM, sieht sogar eine Verbindung zu unserer Gesellschaft. In seinem Buch SUPERHELDEN - WAS WIR MENSCHEN VON SUPERMAN, BATMAN, WONDER WOMAN UND CO LERNEN KÖNNEN erklärt er: "In einer Welt, in der Reichtum und Berühmtheit die Maßstäbe für Leistung darstellen, ist es nicht weiter überraschend, daß die beiden angesagtesten Superhelden – Batman und Iron Man – gutaussehende Tycoone sind."

In diesem Tonfall geht der Film dann auch mit allen weiteren Themen um, die er aufgreift und die als Ideen ganz tolle Geschichten und Dramen hätten abgeben können. Es läßt sich gleich vorausschicken: THE AVENGERS bringt in zwei Szenen mehr Charakterentwicklung für Iron Man (an denen sich dann auch der gesamte dritte Teil der Reihe aufhängt) als der komplette Teil 2.

Robert Downey Jr. als Tony Stark
Tony Stark (Robert Downey Jr.) forscht nach dem verlorenen neuen Element.

So ist Tony von dem Metall in seinem Körper lebensgefährlich bedroht, und die in Teil 1 entwicḱelte Technologie kann ihm hier nicht mehr helfen. Tonys Unfähigkeit, sich Schwäche einzugestehen und Hilfe zu holen, mündet in einem heiteren Selbstzerstörungstrip, der so viel Hedonismus und so wenig Depression enthält, daß ich erst beim zweiten Ansehen verstanden habe, was man uns hier eigentlich erzählen will. Wieder identifiziert sich der Film völlig mit seiner Hauptfigur: So wie Tony Stark sich keine Schwäche zugesteht, gesteht ihm auch der Film keine zu und ist ständig darauf aus, ihn als coolen und lässigen Hund darzustellen, der ständig Oberwasser hat – auch weil ihm ohnehin alles wurscht ist.

Um zur Lösung des Problems zu kommen – die sich dergestalt präsentiert, daß Tony einfach mal schnell ein neues Element entdecken beziehungsweise wiederentdecken muß, weil es Papa Howard Stark schon in den 1970ern oder so entdeckt hatte, aber aufgrund der technologischen Beschränkungen seiner Zeit nicht herstellen konnte, es aber theoretisch in ein Stadtmodell eingebaut hat (wer die Actionsequenzen hier teilweise für abstrus hält, soll sich das mal auf der Zunge zergehen lassen) – muß sich Tony mit seiner Vergangenheit, eben mit seinem ungeliebten Vater auseinandersetzen. Hier liefert der Film zwei weitere Beispiele, wie er mit Problemen seiner Hauptfigur umgeht: In einer Szene erfahren wir zum ersten Mal, daß Tony "daddy issues" hat, weil sich sein Vater nie um ihn gekümmert hat. In der Szene darauf entdeckt Tony ein altes Video, in dem sein Vater ihn aus der Vergangenheit heraus lobt. Problem gelöst, wird auch nicht mehr thematisiert.

Mickey Rourke als Whiplash
Der Spiegel zu Tony Stark: Whiplash (Mickey Rourke).

Die Suche nach dem rettenden Element für Tonys Metallproblem geht zumindest den ganzen Film lang dahin. Nach Ansehen von Papas Video erledigt Tony die Entdeckung dieses Elements dann allerdings in einem Nachmittag (zumindest vermittelt die Montage das so). Problem gelöst, rechtzeitig zum 30-minütigen Showdown. Es gibt einfach nichts, was Tony Stark nicht problemlos im Griff hätte.

Beim Stöbern in der Vergangenheit stößt er auch auf die Verbindung zu seinem anderen Gegenspieler in IRON MAN 2, nämlich Whiplash (Mickey Rourke), den eine vergangene Familiengeschichte zum Feind von Tony Stark gemacht hat. Whiplash funktionert als Spiegel zu Tony: ein ebenso brilliantes Wunderkind und Sohn eines früheren Kollegen von Howard Stark. Die Sünden der Väter holen also die Söhne ein. Beide Väter haben als Waffenproduzenten vom Frieden geträumt, den sie alleine durch Superwaffen, die nur sie herstellen können, schaffen wollen. Beide haben an kriegsführende Nationen ihre Produkte oder ihr KnowHow verkauft. Beide habe geniale Söhne, die sich geistig ebenbürtig sind. Einer wurde zum Playboymillionär, der andere zum armen Schlucker. Da hätte sich ein tolles und dramatisches Duell daraus machen lassen. Warum ihnen der Film nur drei kurze Treffen gönnt und nur eines davon eine Unterhaltung ist (in den anderen beiden hauen sie sich fest auf die Rübe), bleibt ein Rätsel.

Scarlett Johansson als Black Widow
Coming Attractions: Scarlett Johansson als Black Widow.

Mit IRON MAN 2 erweitert Marvel seine Erzählwelt und stellt immer deutlichere Verbindungen zu anderen Filmen dieses Universums her. Captain Americas unfertiges Schild wird in Szene gesetzt, Howard Stark taucht auf, damit wir, wenn wir ihn später in CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER als jungen Mann wiedertreffen, auch Bescheid wissen, Nick Fury (Samuel L. Jackson) wird ein bedeutender Teil der Handlung, S.H.I.E.L.D.-Agent Phil Coulson (Clark Gregg) wird explizit nach New Mexico geschickt, um dort, wie in der Post-Credits-Szene zu sehen, Thors Hammer zu finden, und Black Widow hat ihren ersten Auftritt. Daß sie mit Scarlett Johansson besetzt wurde, zeigte schon damals, daß man mehr mit dieser Figur vorhatte.

Als kurzweilige, bunte, knallige und spaßige Actionkomödie funktioniert IRON MAN 2 ganz hervorragend, und es ist offensichtlich, daß hierauf auch der Fokus liegt. Die angesprochenen Themen bleiben unausgearbeitet und brach liegen, was sich auch daran zeigt, daß Iron Man zu keinem Zeitpunkt ernsthaft bedroht ist und wir als Zuschauer um ihn bangen müßten. Der Film ist sicher – mit einer Ausnahme: In seiner zweiten Hälfte schickt die enttäuschte und wütende Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) Tony aus ihrem Büro, weil er es wieder nicht schafft, sich zu entschuldigen und ihr zu erzählen, wie es um ihn steht. Hier hat man das einzige Mal das Gefühl, unsere Hauptfigur könnte etwas unwiederbringlich verlieren, das sie ganz notwendig braucht und liebt. Es ist eine Szene, in der zwei Menschen in einem Raum sitzen und miteinander reden.

Robert Downey Jr. als Tony Stark, Gwyneth Paltrow als Pepper Potts
Tony Stark (Robert Downey Jr.) und Pepper Potts (Gwyneth Paltrow).

Post-Credits: Die durchaus diskutierbare und vom Film nicht reflektierte Haltung, daß nicht die Waffen das Problem sind, sondern nur die Person, die sie in Händen hält, kennen wir schon aus Teil Eins. Daß diesbezüglich Tony Stark genau der ist, dem wir vertrauen dürfen, wird hier nochmal mit Nachdruck einzementiert.

Post-Credits II: Ich habe mich gefreut zu sehen, wie sich Robert Downey Jr. und Mickey Rourke hier treffen. Zwei der vielversprechensten Schauspieler der 1980er Jahre, beide nach Höhenflügen in jungen Jahren sauber abgestürzt und etwa zur gleichen Zeit – Mickey Rourke dank SIN CITY und THE WRESTLER – wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Die Coolness, Spannung und Souveränität ihres kurzen Gesprächs ist eines der besten Dinge an IRON MAN 2.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente




Iron Man 2 (USA 2010)
Regie: Jon Favreau
Buch: Justin Theroux
Musik: John Debney
Kamera: Matthew Libatique
Darsteller: Robert Downey Jr., Gwyneth Paltrow, Don Cheadle, Scarlett Johansson, Sam Rockwell, Mickey Rourke, Samuel L. Jackson, Clark Gregg, John Slattery, Garry Shandling, Kate Mara, Leslie Bibb

BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie

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BLACK PANTHER: Nicht der erste schwarze Superheld, aber einer, der derzeit wirklich Aufsehen erregt. Gastautor Dr. Wily, unser Spezialist im Marvel Cinematic Universe, berichtet:



Keine Infinity Stones. Keine Gastauftritte anderer Superhelden. Kaum Verbindungen zu den vorangegangenen Geschichten des Marvel Cinematic Universe. Dafür präsentiert uns BLACK PANTHER eine schöne Phantasie.

T'Challa (Chadwick Boseman) ist König von Wakanda und auch der Black Panther, der Beschützer dieses afrikanischen Staates. Die Einwohner Wakandas sitzen auf einem mächtigen Schatz, einem Bodenschatz, nämlich dem außerirdischen Metall Vibranium, das vor langer Zeit mit einem Meteoriten auf die Erde kam. Vibranium ist das härteste Metall der Welt, aber nicht nur das: Es versorgt Wakanda mit Energie, verschafft ihnen extrem hochentwickelte Technologie, unsichtbare Flugschiffe, bessere Waffen, und hat Auswirkungen auf Heilpflanzen. Aus diesen Pflanzen wird auch das Gebräu gemacht, das T'Challa trinken muß, um die Superkräfte des Black Panther zu erlangen (es gibt auch ein Getränk, das ihm die Kräfte nimmt – eine Variation des Miraculix'schen Zaubertrankes quasi), während sein Anzug ebenfalls aus Vibranium gefertigt ist (genauso wie der Schild von Captain America).

In Bezug auf das politische System hält Wakanda zwar weiterhin an der Monarchie fest, in der die Königswürde über die Blutlinie weitergegeben wird, aber immerhin kann der König herausgefordert werden. Sollte er im Schwert- und Faustwatschenkampf unterliegen, würde der Sieger statt ihm König werden. Theoretisch kann jeder den König fordern, in BLACK PANTHER kloppen sich aber nur die Jungs um den Thron. Es darf also regieren, wer körperlich am stärksten ist. Dafür sind die besten und tapfersten Kämpfer und klügsten Techniker Wakandas Frauen. Allesamt – Agentin und Freundin Nakia (Lupita Nyong'o), Prinzessin und Technikgenie Shuri (Letitia Wright) und Soldatin Okoye (Danai Gurira) – sind sie eindrücklichere und griffigere Charaktere als der humorbefreite und aus Drehbuchanforderungen stets noble König selbst. Shuri führt Wakandas Techniklabor und ist T'Challas Q, wenn er auf Bond-ähnliche Missionen geht. Okoye ist Chefin der königlichen, rein weiblichen, Leibgarde, der sich am Ende die Armee der Männer unterwerfen muß.

Wakanda ist also ein reiches und sehr fortschrittliches Land – doch davon weiß niemand. Es verbirgt sich und schützt seinen Schatz hinter einem unsichtbaren Hologrammschild. Nach außen wirkt Wakanda wie alle Länder Afrikas: ein armes Dritte-Welt-Land. Die Bewohner befürchten, daß die Kolonisatoren auch Wakanda überfallen und ausbeuten, wenn sie von dem Vibranium erfahren würden. Sie haben im Rest Afrikas gesehen, was passiert, wenn die Eroberer kommen, um sich die (Boden-)Schätze des Landes einzuverleiben. Also war es immer Wakandas Politik, sich zurückzuhalten und zu verstecken. Eine Haltung, die Nakia in Frage stellt, nachdem sie das Elend in der Welt um Wakanda herum gesehen hat. Sie ist damit nicht die erste und auch nicht die einzige.

Nakia und Shuri, die Frauen von Wakanda
Die Frauen von Wakanda: Agentin Nakia (Lupita Nyong'o, links) und Technik-Profi Shuri (Letitia Wright).


Im Gegensatz zu anderen Marvelgeschichten wie IRON MAN oder CAPTAIN AMERICA bleibt hier der politische Kontext aber nicht einfach Textur oder wird in dem Moment beiseite gelegt, wo sich Superhelden effektvoll auf die Nase hauen können. Die Held- und Königswerdung T'Challas und sämtliche Konflikte im Film hängen mit dieser Ausgangsposition und den daraus resultierenden Fragen zusammen.

Black Panther wird mit zwei Antagonisten konfrontiert. Zum einen Ulysses Klaue (Andy Serkis), ein Waffenhändler, den wir schon aus AVENGERS: AGE OF ULTRON kennen. Er ist der klassische Kolonisator: Er will das Vibranium Wakandas für seine Zwecke ausbeuten. Der andere ist Erik Stevens (Michael B. Jordan), der sich auch "Killmonger" nennt. Er ist T'Challas Cousin, das weggelegte Kind der königlichen Familie, vergessen in einem armen Viertel in Oakland, Kalifornien. Niemand durfte von ihm wissen, um die Sünden von T'Challas Vater zu verdecken. (Das Element, daß die Vergangenheit der Väter die Söhne einholt, hatten wir in IRON MAN 2 schon.) Erik hat also erbtechnisch Anspruch auf den Thron, und er fordert nicht nur T'Challa zur Rauferei, sondern auch die bisherige Politik Wakandas heraus. Er ist der Meinung, daß die Überlegenheit Wakandas dazu genutzt werden soll, Unterdrückung in der Welt zu beenden. Dabei denkt er wie ein wahrer Revolutionär: Er will sich nicht nur gegen die Unterdrücker erheben, um Ungerechtigkeit zu beenden, sondern vor allem, um am Ende selber an die Macht zu gelangen und Rache üben zu können. "Better dead than in bondage" ist einer seiner Leitsätze. Er ist getrieben von Haß und Zorn und trägt seinen Spitznamen nicht zufällig.

Dieser Konflikt entzweit im Laufe des Films nicht nur Wakandas Bürger, sondern auch den Black Panther. Seine Charakterentwicklung ist es, einen eigenen Weg zu finden, zwischen dem Erbe seiner Vorfahren, der Enttäuschung über die Fehler seines Vaters, die das Monster Killmonger hervorgebracht haben (auch hier ein Echo aus AVENGERS: AGE OF ULTRON: die Helden, die die Bösewichte selbst erschaffen) und der Frage nach der Verantwortung, die er in seiner einflussreichen Position für die Welt um sich herum hat. Der Kampf zwischen T'Challa und Erik ist also ein Kampf der Weltanschauungen. Im Marveluniversum, aber nicht im Marvel Cinematic Universe, gibt es mit Professor X und Magneto ein sehr ähnliches Gegensatzpaar. In unserer Wirklichkeit erinnern wir uns dabei schnell an Martin Luther King und Malcolm X.

Wie viele Science-Fiction Filme hat also auch BLACK PANTHER viel mit unserer Welt im Hier und Jetzt zu tun. Nebst der Erinnerung an die Ausbeutung Afrikas, der Versklavung seiner Einwohner und den Auswirkungen, daß Afroamerikaner dadurch bis heute als Unterdrückte leben, ist es eine Auseinandersetzung mit Führungsverhalten, den Aufgaben eines Anführers, Königs, Präsidenten. "The enemy sits on the throne", sagt T'Challa in einer Szene, während zeitgleich Okoye und Nakia darüber diskutieren, ob man dem Thron, dem Amt dient, egal, wer es innehat, oder den Menschen eines Landes. Am Ende darf Okoye dem kurzfristigen König Erik ins Gesicht sagen, daß er nicht zum Regieren geeignet ist und ihn vom Thron stoßen. Die Parallelen zum Amerika dieser Tage sind unübersehbar.

T'Challa und Erik Stevens: Kampf der Weltanschauungen
Ein Kampf unterschiedlicher Weltanschauungen:
T'Challa (Chadwick Boseman, links) und Erik Stevens (Michael B. Jordan).

BLACK PANTHER ist eine schöne Phantasie und Wakanda eine Utopie. Eine Vorstellung, wie sich Afrika vielleicht hätte entwickeln können, wenn die Europäer nicht dort eingefallen wären und diesen an Bodenschätzen so reichen Kontinent und seine Bewohner ausgebeutet hätten. Regisseur Ryan Coogler und den Marvel Studios ist ihre Botschaft hier ein ehrlich wirkendes Anliegen. Passend zu seinem Land Wakanda kann man auch den Film BLACK PANTHER als kleine Utopie sehen: Ein Film wie eine verkehrte Welt, in der weiße Schauspieler nur Nebenrollen spielen und Stichwortgeber sind, während die Geschichte auf den Schultern von schwarzen Schauspielern ruht. Meist ist es – vor allem, aber nicht nur – in Blockbustern ja umgekehrt. Unter diesem Gesichtspunkt macht es auch Sinn, BLACK PANTHER mehr oder weniger als Standalone-Geschichte zu erzählen, die die anderen Helden und Marvel-Versatzstücke nicht braucht.

Ein großer Teil der Marketing-Kampagne von BLACK PANTHER fokussiert sich auf den Repräsentationsaspekt, die Sichtbarmachung von sonst marginalisierten Gruppen im Kino. Damit verbunden ist die Identifikation mit Figuren einer Geschichte und ihrem Beitrag zur Identitätsbildung. Ein schwarzer Superheld, eine fast ausschließlich schwarze Cast, der erste schwarze Regisseur bei Marvel. Ich fand es beim Ansehen des Films gar nicht ungewöhnlich, hier schwarze Schauspieler zu sehen. Ich habe diese Tatsache zu keiner Sekunde als etwas Besonderes empfunden. Andererseits erinnere ich mich an meine Reaktion auf WONDER WOMAN und speziell an die Szene, als eine Frau im Kugelhagel zwischen den Fronten steht. Ich fand dieses Bild sehr ausdrucksstark – vor allem für Fragen, die mit dem Film wenig, aber dem Erleben vieler Menschen sehr viel zu tun haben. Wann immer es um Repräsentation im Kino geht, hat das mehr mit der Welt und den Menschen außerhalb des Films zu tun als mit dem Film selbst. Ich erinnere mich auch, bei WONDER WOMAN gedacht zu haben, daß ich so etwas noch nicht oft gesehen habe.

Ich habe mich gefragt, was diese unterschiedlichen Reaktionen zu bedeuten haben, zumal ja auch WONDER WOMAN stark mit dem Repräsentationsaspekt geworben und funktioniert hat. Dann ist mir etwas eingefallen: Ich habe als Kind viel Basketball gespielt und wollte immer Magic Johnson und Michael Jordan, Tim Hardaway und Kenny Anderson sein. Das waren Vorbilder und Identifikationsfiguren für mich, ich wollte sein wie sie. Ich habe nie darüber nachgedacht, daß diese Männer eine andere Hautfarbe haben als ich. Vielleicht funktioniert ja Identifikation innerhalb des gleichen Geschlechts leichter, egal, welche Hautfarbe oder Herkunft die Personen haben, und fällt über den Geschlechterunterschied schwerer. Ich weiß es nicht genau. Ich bin zu dem Entschluß gekommen, daß ich wohl nicht der Richtige bin, um diesen Aspekt zu behandeln. Ich denke, dass man die Kraft von (Kino-)Bildern nicht unterschätzen darf. Die große Bühne des Blockbusters bringt diese Bilder an ein großes, breit gestreutes Publikum. Ich bin ein weißer Mann, in Europa mit Privilegien aufgewachsen. Allein diese Eigenschaften haben es mir nie schwer gemacht, Identifikationsfiguren im Kino zu finden. Ich bin vielleicht nicht der Richtige, um darüber zu schreiben, aber ich kann zuhören, was andere dazu zu sagen haben. Was ihnen diese Sichtbarmachung bedeutet. Unter dem Hashtag #WhatBlackPantherMeansToMe berichten auf Twitter Menschen darüber. Eine davon schreibt: "I am seen. We are seen."

Zuri, Vaterfigur für den Black Panther
Der Obi-Wan Kenobi des Black Panther: Vaterfigur Zuri (Forest Whitaker).

Am Ende von BLACK PANTHER öffnet sich Wakanda der Welt, um seine Schätze zu teilen. Zuerst geht T'Challa dorthin, wo Erik aufgewachsen ist, das verarmte Viertel in Oakland, um dort ein Gemeindezentrum zu errichten und Wakandas Wissen zur Verfügung zu stellen. Er macht also Sozialarbeit, kümmert sich um die Community, will konkrete Projekte umsetzen, tut, was in seinem Einflußbereich liegt. Erst dann stellt er sich vor die UNO, um die Öffnung Wakandas zu verkünden. Gerade noch rechtzeitg vor dem Angriff der Außerirdischen um Thanos in AVENGERS: INFINITY WAR im April erinnert er die Menschen daran, daß die Weisen Brücken und nur die Narren Mauern bauen.

Post-Credits: Der Einfluß von Computerspielen macht natürlich auch vor Wakanda nicht halt. Shiri hat eine Technologie entwickelt, bei der man in ihrem Labor in einem Hologramm eines Autos oder Flugschiffs sitzt und dabei ein echtes Gerät fernsteuert. Eine coole visuelle Idee, die den Actionsequenzen einen gewissen Reiz gibt und mir Spaß gemacht hat. Alle Freunde der Virtual-Reality-Games werden sich wohl auch darüber freuen.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck




Black Panther (USA 2018)
Regie: Ryan Coogler
Buch: Ryan Coogler, Joe Robert Cole
Musik: Ludwig Göransson
Kamera: Rachel Morrison
Darsteller: Chadwick Boseman, Michael B. Jordan, Lupita Nyong'o, Danai Gurira, Martin Freeman, Letitia Wright, Angela Bassett, Forest Whitaker, Andy Serkis

Lichtspielplatz #25 - Das New Hollywood von Peter Bogdanovich

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Einer der Filme, über die wir in unserer letzten Folge über die Outlaws von New Hollywood gesprochen haben, war PAPER MOON von Peter Bogdanovich. Diesmal beschäftigen wir uns ausführlicher mit dem Werk dieses Regisseurs - zumindest mit den sieben Filmen der ersten Hälfte seiner Karriere: BEWEGLICHE ZIELE, DIE LETZTE VORSTELLUNG, IS' WAS, DOC?, PAPER MOON, DAISY MILLER, AT LONG LAST LOVE und NICKELODEON. Wir sprechen über Bogdanovichs Themen und Ideen, seine erzählerischen Ansätze und seine Inszenierungstechniken - und vor allem über seine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Viel Spaß!



Das mp3 kann HIER heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Musik: Clark Kent

Mehr Peter Bogdanovich auf Wilsons Dachboden:
NOISES OFF
ICH BIN DU, UND DU BIST ICH

RAGING SHARKS: Wilde Haie im Bermuda-Dreieck

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Wütende Haie in RAGING SHARKS

In den modernen Haifischfilmen passieren ja stets höchst abstruse Unfälle, weswegen die Killerflossen noch gemeiner werden, als sie es im Kino eh schon immer waren: Wirbelstürme, Genmanipulationen, Geister, Zombies, Gastauftritte von Lorenzo Lamas. Da ist es doch schön, daß die Problematik in RAGING SHARKS ganz bodenständiger Natur ist: Beim Kampf zweier Raumschiffe über einem weit entfernten Planeten wird ein Kanister mit einer Art Kristallsubstanz quer durchs All geschleudert - und landet ausgerechnet bei uns im Bermuda-Dreieck! Das durch die Substanz produzierte magnetische Feld läßt fünf Jahre später die Haie der Umgebung zu mörderischen Bestien mutieren - und das wiederum bringt das Team des nahegelegenen Unterwasser-Forschungslabors Oshana arg in Bedrängnis. Ehrlich: Greenpeace würde für solche Banalitäten nicht einmal die Praktikanten mit der Sammelbüchse auf die Straße schicken.

Die Unterwasserstation wird von Dr. Mike Olsen geleitet, der von "Parker Lewis" Corin Nemec gespielt wird und trotzdem nie mit irgendeiner anderen Figur die Uhr abgleicht. An Bord sind außerdem Olsens Frau Linda, gespielt von Ex-Model Vanessa Angel, und zwei weitere schicke Damen - eine Blonde mit Zöpfchen (Elise Muller) und eine Schwarzhaarige mit in Stein gemeißelten Gesichtszügen (Simona Williams). Die übrigen Crewmitglieder heißen alle mit Nachnamen "Fischfutter".

Olsen verläßt aber schon zu Beginn des Films die Station mit einem Mini-U-Boot und fährt wenig später die Straßen von Boston entlang. Dann erreicht ihn ein Anruf, daß sein Labor einem Haiangriff zum Opfer gefallen ist, bei dem zwei Besatzungsmitglieder ums Leben kamen und sowohl die Strom- als auch die Sauerstoffversorgungsschläuche durchgebissen wurden. Nur einen Schnitt später befindet sich Olsen schon an Bord des U-Boots USS Roosevelt, um zu Hilfe zu eilen. In einem weniger glaubwürdigen Film wäre Olsen nicht in Boston, sondern in Salt Lake City zum Hafen gefahren.

Dr. Mike Olsen und seine Frau Linda
"Schatz, hast du die Station auch gegen Angriffe von durch außerirdische Materie wildgewordenen Haien gesichert?"

An Bord der Oshana herrscht derweil so große Aufregung, daß sogar die Schwarzhaarige ein paar Sorgenfalten ins Lifting quetschen muß. Immerhin ist kaum mehr Sauerstoff vorhanden, und um den irgendwo untergebrachten zusätzlichen Bonus-Sauerstoff in die Station zu leiten, muß ein Ventil geöffnet werden - von außen. Ohne mich in die sicherlich hochkomplizierte Arbeit von Unterwasserlaborarchitekten einmischen zu wollen: Innen wäre das Ventil wirklich praktischer.

Die wütenden Haifische sind derweil so zahlreich, daß sie nicht nur unsere Station bedrohen können, sondern auch nebenher ein paar Touristen am Strand von Bermuda und einige Menschen auf einem Boot wegfuttern können. Die Nachrichten stimmen die Crew der Oshana recht betrübt: Bei solch fiesen Fischen wäre es aussichtslos, an die Oberfläche schwimmen zu wollen. Von Waffen oder Ablenkungsmanövern halten die Leute offenbar nichts - zumindest wird nie davon geredet, womöglich wurden beim ständig sinkenden Forschungsbudget des Staates als erstes die Harpunen wegrationalisiert. Für zukünftig geplante Unterwasserlabore sei noch der Hinweis gestattet, daß es ein gewisses Sicherheitsrisiko darstellt, wenn der plausibelste Weg an die Wasseroberfläche der ist, dorthin zu schwimmen.

Zum Glück naht ja aber schon Dr. Olsen auf der USS Roosevelt. Leider wird der gute Doc bei der Ankunft vom Kapitän des U-Boots informiert, daß die Roosevelt für solche Rettungsmanöver gar nicht ausgerüstet ist und ergo gar keine Unterwassershuttles für die Evakuierung bietet. "Schade", möchte man da fast rufen, und auch Corin Nemec sieht einen Moment lang so aus, als würde er sich in einen ganz anderen Film wünschen.

Simona Williams mit einem entbehrlichen Crewmitglied
"Hey, dich kenn ich doch aus SUMURU - PLANET DER FRAUEN!"

Bleibt Olsen also nur, vom U-Boot in die Forschungsstation zu schwimmen. Warum? Ganz klar: Um sich dort mit den anderen Crewmitgliedern, mit denen übrigens Funkkontakt besteht, Gedanken darüber machen zu können, wie sie von dort verschwinden können. Ich persönlich würde ja annehmen, daß es umgekehrt marginal sinnvoller wäre - wenn also die Crewleute der Oshana zum U-Boot schwimmen würden. Aber zugegebenermaßen beruht meine Unterwassererfahrung auch nur auf aufwendig produzierten Kinospektakeln wie SIRENE I.

Begleitet wird Olsen beim Tauchgang von einem gewissen Ben Stiles, der Unfälle in tiefen Gewässern in Namen der Regierung untersucht und Olsen schon mit Gerichtsverfahren und anderweitigem Liebesentzug gedroht hat. Überraschenderweise werden die beiden, während sie zur Oshana schwimmen, von Haien angegriffen. Zum Glück können sie sich gerade noch rechtzeitig in die Unterwasserluke der Forschungsstation retten - vermutlich, weil Linda Olsen bei den panischen Funksprüchen ihres Mannes sofort reagiert und flugs von der Brücke rennt, um besagte Luke zu öffnen.

Bevor alles gut wird, müssen aber leider noch die Gebrüder Fischfutter die Handlung verlassen. Einer stirbt, weil er Olsen in einem Mini-U-Boot begleitet, damit der das erwähnte Ventil öffnen kann - aber leider wird das Gefährt samt Insasse von Haien gefressen. Olsen befand sich glücklicherweise nicht im Boot, wird aber nun leider von finsteren Flossen umringt. Er schafft per Funk dem Captain der Roosevelt an, einen Torpedo in die Haifischversammlung zu schießen, und wischt alle Bedenken beiseite, daß das Geschoß womöglich zu viel Schlagkraft haben wird. So ist es dann leider auch, weshalb die Oshana etwas Schaden nimmt und den restlichen Film über nach und nach zusammenkrachen wird. Die gute Nachricht: Die Insassen haben dank des geöffneten Ventils ein paar Minuten mehr Luft.

Corin Nemec vs. fiese Fische
"Essen. Jetzt."

Innen hält einer der Mechaniker dem psychischen Druck nicht mehr stand und flüchtet in einem etwas größeren Mini-U-Boot. Angesichts der Menge an Mini-U-Booten, die hier plötzlich ins Spiel kommen, möchte man noch fragen, warum nicht eines davon zur Evakuation verwendet hätte werden können - aber da kommt auch schon der nächste Hai und futtert das Boot mitsamt dem panischen Mechaniker. Einmal mehr wäre ein "Schade" angebracht.

Als wären die bisherigen Geschehnisse noch nicht Streß genug, zeigt nun auch Ben Stiles sein wahres Gesicht: Er arbeitet in einer verdeckten Operation für einen wirklich, wirklich klandestinen Geheimdienst und ist eigentlich hinter der außerirdischen Substanz her, die zu Beginn des Films ins Wasser gefallen ist. Er mußte mit zur Oshana, weil sein Verein bislang nicht wußte, wo der Kanister mit den Kristallen zu finden sei, und zum Glück fragt niemand nach, woher sie denn dann überhaupt über die Existenz besagter Kristalle Bescheid wissen. Seine Tarnung fliegt übrigens auf, als der Kapitän der Roosevelt auf Anregung von Dr. Olsen bei der Behörde anruft, der Stiles angeblich angehörte. Woodward und Bernstein hatten es da noch schwerer, die Lügen der Regierung aufzudecken.

Ein Crewmitglied der Oshana: Elise Muller
"Hallo, Hauptquartier, kennt ihr den schon? Alle Kinder spielen im Wasser, nur nicht Schröder, der ist Köder."

Stiles bringt also der Reihe nach alle restlichen Crewmitglieder um, nachdem die ja nun über die Kristalle informiert sind - zugegebenermaßen direkt durch ihn, aber das muß er ja nicht später in seinem Bericht erwähnen. Nur Linda und Dr. Olsen halten seinen Attacken stand, selbst, als Stiles im tödlichen Zweikampf plötzlich eine scharfe Axt von der Wand nimmt. Ich stelle mir vor, daß so eine Axt in der Unterwasserstation durchaus praktisch sein kann: Wenn es brennt, muß man ja nur ein Fenster damit einschlagen, damit alles gelöscht wird.

Zum Glück kann der unsympathische Stiles aber zur Strecke gebracht werden. Während Olsen und seine Frau in der zusammenbrechenden Station schon glauben, daß nun ihr letztes Stündlein geschlagen hat, tauchen plötzlich Außerirdische zum Kanister und holen sich die hell leuchtenden Kristalle ab. Das beruhigt offenbar die Haie, weshalb die Olsens ungestört zur Roosevelt herüberschwimmen können - die beinahe schon wegfahren wollte! Zum Glück kann Olsen die Luke des U-Boots von außen öffnen und sich und seine Frau hineinretten. Ich dachte ja immer, daß man die Luke während des Tauchgangs gar nicht öffnen darf, weil dann Wasser auf die kostbare Elektronik tröpfeln könnte, aber offenbar gibt es da eigene physikalische Gesetze mit Luftdruck und Schwerkraft und Außerirdischen und so. Coole Sache, Parker!




Raging Sharks (USA/Bulgarien 2004)
Regie: Danny Lerner
Buch: Les Weldon
Musik: Steve Edwards
Kamera: Emil Topuzov
Darsteller: Corin Nemec, Vanessa Angel, Corbin Bernsen, Todd Jensen, Elise Muller, Bernard van Bilderbeek, Simona Williams, Jonas Talkington

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2006 Warner Bros. Entertainment Inc.

NA TYPISCH!: Beziehung aus zwei Blickwinkeln

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Dan und Lorie (Kevin Bacon und Elizabeth Perkins)

Manche Paare vermeiden jeden Streit, Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins) machen mit ihren Uneinigkeiten sogar Karriere: Die beiden diskutieren in einer Zeitungskolumne mit dem Titel "He Said, She Said" (so auch der Originaltitel des Films, der auf Deutsch recht nichtssagend NA TYPISCH! heißt) über aktuelle Anlässe bezüglich Politik oder Stadtplanung. Der Erfolg der Kolumne führt irgendwann sogar zu einer eigenen Fernsehshow, in der Dan und Lorie ihre Standpunkte vertreten – er konservativ, sie liberal, beide nie einer Meinung. Als Lorie während einer Show Dan allerdings frustriert eine Kaffeetasse an den Kopf wirft, zeigt sich, daß ihre Beziehung mit der Zeit tiefe Risse bekommen hat. In Rückblenden sehen wir die Stationen ihres gemeinsamen Lebens, vom Kenenlernen hin zur gemeinsamen Wohnung – erst aus seinem Blickwinkel erzählt (He Said), dann aus ihrem (She Said).

Es ist ein interessantes Konzept, das die Regisseure Ken Kwapis und Marisa Silver hier anpacken (obwohl schon 1973 in dem TV-Zweiteiler SEINE SCHEIDUNG – IHRE SCHEIDUNG mit Elizabeth Taylor und Richard Burton zwei unterschiedliche Beziehungsperspektiven erzählt wurden). Die Idee zum Film kam ihnen, als sie gemeinsamen Freunden während eines Frankreichurlaubs erzählten, wie sie zu einem Paar wurden – und sich über die Details nicht einigen konnten. Den Dreh strukturierten sie so, daß zuerst Kwapis die "He Said"-Version einer Szene drehte, bevor sich Silver dann an die "She Said"-Variante machte – und der jeweils andere sollte zusehen, durfte aber nicht mit den Schauspielern interagieren.

Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins) diskutieren auch hinter der Bühne
Streit hinter den Kulissen der Streit-Show: Dan (Kevin Bacon) und Lorie (Elizabeth Perkins).

Dadurch gewinnt NA TYPISCH! eine interessante Erzählstruktur: Die erste Hälfte des Films folgen wir Dan und sehen seine Version der Geschichte, die von der Gegenwart (in der die Beziehung vor dem Aus steht) immer wieder in die Vergangenheit springt, danach springt der Film wieder zum Anfang zurück und erzählt alles nochmal aus ihrer Sicht. Vor allem an den Details merkt man, daß sich Kwapis und Silver viele Gedanken über die unterschiedlichen Perspektiven gemacht haben: Ein Besuch einer modernen Tanzperformance in seiner Version in weit amouröseres Licht getaucht als bei ihr, und Nebenfiguren tauchen in einer Version kaum auf, weil sie zwar in der Szene anwesend sind, aber zur jeweils anderen Figur eine viel stärkere Beziehung haben.

Dennoch bleibt das Konzept ergiebiger als das Resultat – statt einem Beziehungs-RASHOMON gibt es nur Banalitäten, die wenig über die Figuren aussagen. Bei einem gemeinsamen Date taucht eine frühere Flamme von Dan auf – in seiner Version ist sie eine vorzeigbare Lady, während die Dame in ihrer Erzählung mit tiefem Ausschnitt auftritt und Dan viel zutraulicher angurrt. Bei einem späteren Clubbesuch erspäht sie einen alten Bekannten und bittet Dan, sie auf die Tanzfläche zu nehmen, damit der andere sie nicht anquatschen kann – und in ihrer Version erfahren wir dann, daß sie den "Bekannten" zuvor angeheuert hat, damit sie einen Grund hat, Dan zur Tanzaufforderung zu motivieren.

Dans alte Flamme Linda (Sharon Stone)
Laut Dan ist Linda (Sharon Stone) nur eine gute Freundin.

So plätschert NA TYPISCH! recht amüsant vor sich hin, ohne seine Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Schauspieler schaffen es, den Figuren eine gewisse Erdung zu geben, und die Inszenierung leitet sie sicher durch die Geschichte, an der man durchaus Anteil nehmen kann (Roger Ebert kam in seinem Review zu folgendem Resümee: "If a movie can create people I'm interested in, doing things I sometimes care about, it's halfway home. But that's as far as this one gets."). Aber er ist zu langatmig oder bietet umgekehrt zu wenig Fleisch für seine zwei Stunden Laufzeit – und streut immer wieder Phantasiesequenzen ein, die vielleicht clever gemeint sind, aber nur überdreht wirken.

In Woody Allens DER STADTNEUROTIKER gibt es eine Szene, wo in einem Splitscreen gezeigt wird, wie die beiden Hauptfiguren, die in einer Beziehung sind, bei ihrem jeweiligen Therapeuten sitzen. Beide werden gefragt, wie oft sie miteinander Sex haben. "Kaum. Vielleicht dreimal die Woche", seufzt der Mann. "Dauernd. Sicher dreimal die Woche", seufzt die Frau. NA TYPISCH! erreicht leider nie solch pointierte Beobachtungen der Geschlechterrollen – und ist auch nie so witzig.




Na typisch! (USA 1991)
Originaltitel: He Said, She Said
Regie: Ken Kwapis, Marisa Silver
Buch: Brian Hohlfeld
Kamera: Stephen H. Burum
Musik: Miles Goodman
Darsteller: Kevin Bacon, Elizabeth Perkins, Sharon Stone, Anthony LaPaglia, Nathan Lane

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2002 Paramount Pictures.

I WANT TO TELL YOU: Wie O.J. Simpson während seines Prozesses an die Öffentlichkeit ging

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Das vor kurzem hier vorgestellte Buch IF I DID IT aus dem Jahr 2007, in dem O.J. Simpson mit Hilfe eines Ghostwriters ausführte, wie er den Mond an seiner Ex-Frau Nicole Brown und ihrem Bekannten Ron Goldman theoretisch begangen hätte, wenn er es denn gewesen wäre, ist nicht das erste Buch, das der Ex-Footballstar zu dem Thema veröffentlichte. Tatsächlich erschien schon 1995 ein Büchlein mit dem Titel I WANT TO TELL YOU und dem Untertitel "My Response to Your Letters, Your Messages, Your Questions". Die Antwort auf die wohl dringlichste Frage dieses Falles kommt schon sehr früh und klärt doch nichts: "I want to state unequivocally that I did not commit these horrible crimes."

Das Buch erschien, während Simpson als Mordverdächtiger im Gefängnis saß und der Fall in einem monatelangen Prozess höchst medienwirksam aufgerollt wurde. Geschrieben hat er I WANT TO TELL YOU aber nicht selber: Lawrence Schiller, der schon Bücher über die Sharon-Tate-Morde und Lee Harvey Oswald schrieb, traf sich zu mehreren Interviews mit Simpson und formte 22 Stunden an Gesprächsmaterial dann zu diesem Statement aus Sicht von O.J. Verschwiegen wird diese Tatsache übrigens nicht: Schiller legt den Ablauf gleich in seinem Vorwort dar.

Der Aufhänger des Buches ist, wie gleich unmißverständlich erklärt wird, das Interesse der Öffentlichkeit: "This book began with 300.000 letters from men, women, and children of all ages, occupations, national and ethic backgrounds, from all fifty states and many countries of the world, who chose to write to a man they had never met." Quer durch das Buch sind zahlreiche Briefe von Menschen abgedruckt, die O.J. ein paar Zeilen geschrieben haben, und die Nachrichten dienen als Aufhänger für Simpsons Gedanken zu verschiedenen Themen.

Es muß vielleicht gar nicht extra erwähnt werden, daß ein Großteil der Briefschreiber O.J. für unschuldig hält. Sie schicken ihm ihre besten Wünsche, trostreiche Worte und Gebete. Durchhalten soll er, beten und auf Gerechtigkeit hoffen. Selbst die Kleinen schlagen sich auf seine Seite: "I know you didn't kill your wife, because you loved her very much", schreibt da ein 8-Jähriger. "You are the most handsomest black man I have ever seen", heißt es in einem anderen Brief.

Immerhin sind ein paar Briefe zu finden, die die Möglichkeit der Schuld einräumen. Nicht, daß dieses Szenario diese 12-jährige Schreiberin wirklich stören würde: "I don't think you killed Nicole or Ronald. Even if you did, I would still be your fan and so would my mom because everyone makes mistakes."

Es ist schon sehr durchschaubar, wie naiv hier Image-Management betrieben wird. Immerhin stand der Ausgang des Prozesses noch aus, die öffentliche Meinung und Berichterstattung tendierte dazu, Simpson für schuldig zu halten. Immer wieder beteuert er, es nicht getan zu haben, und packt obendrein ein paar schöne Bilder aus den glücklichen Jahren seiner Ehe ins Buch. Er erklärt, Nicole trotz der Trennung geliebt zu haben – daß er nach einem zweiten Anlauf des Zusammenlebens von ihr nichts mehr wissen wollte, wie später in IF I DID IT erklärt wird, wird hier aus verständlichen Gründen nicht einmal angedeutet.

Dabei ist Simpson sogar ehrlich, was den anderen Zweck des Buches angeht: Die Erlöse von I WANT TO TELL YOU sollten helfen, die Kosten für seine Verteidigung zu tragen. "Many people think that I am very rich and have access to unlimited funds. This is not the case", erklärt er noch im ersten Kapitel. "I am using all my financial resources, and I am now in need of additional funds for my defense. I have asked the writers of the letters included here to contribute their letters, with an explanation that the income derived from this book will go to my defense fund."

Zwischen PR und Sicherung des Finanzpolsters wird die Luft dann aber doch sehr dünn. Wie Simpson erläutert, darf er über die im Verfahren diskutierten Geschehnisse nicht sprechen – weswegen er eigentlich nichts Spezifisches sagen kann, was den Mordfall oder seine eventuelle Verstrickung darin betreffen würde. So rettet er sich ins Vage: Er redet über seinen Glauben, über seine Freunde, über das Leben im Gefängnis, über das Thema Rassismus und über seine Football-Karriere. Alles wird nur kurz angeschnitten und immer wieder von Briefen unterbrochen, als würde die schiere Menge an Nachrichten etwas beweisen.

Es ist ein frustrierendes Buch, das umso bizarrer wird, je länger man darüber nachdenkt. Wenn Simpson tatsächlich unschuldig ist, wie er behauptet, wäre es wohl trotz monetärer Anliegen sinnvoller gewesen, das Ende des Prozesses abzuwarten, um dann spezifisch auf die Geschichte und die Vorwürfe eingehen zu können - oder eben den Freispruch einfach für sich sprechen zu lassen. Stattdessen wird eine öffentliche Unschuldsbeteuerung produziert, die ihre Bestätigung quasi aus einem Vertrauen heraus beziehen will, das vor allem mit den Briefen aufgebaut werden soll. Sollte er dagegen schuldig sein, wäre das Buch ein zynisches Machwerk, das in seiner Beschwörung von Werten fast soziopathisch wirkt. So oder so bleibt eine Schwarte, die immens manipulative Absichten hegt.

"When the jury finds me innocent, when the evidence shows I am innocent and I am set free, I wonder whether the public will ever accept my innocence. I don't think some people will", heißt es an einer Stelle. Am 3. Oktober 1995 wurde Simpson nach einem elfmonatigen Prozeß freigesprochen: Nicht schuldig, befand die Jury. Nach einer Studie der Washington Post aus dem Jahr 2015 halten 83% aller Weißen und 57% aller Schwarzen O.J. trotzdem für den Täter.



O.J. SIMPSON: THE LOST CONFESSION? - Das Interview zum Pseudo-Geständnis

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O.J. Simpson in "The Lost Confession"

In Aaron Sorkins Regiedebüt MOLLY'S GAME wird die Protagonistin Molly Bloom, die jahrelang teure Pokerspiele für Stars und Schwerreiche organisiert hat, von ihrem Anwalt gefragt, warum sie sich nicht auf einen Deal mit der Staatsanwaltschaft einlassen und Informationen über ihre Klienten preisgeben will. Molly, der schon alles andere genommen wurde, stellt klar, warum sie an ihrer persönlichen Integrität festhält: "Because it's my name... and I'll never have another." Es ist, und das wird auch hervorgehoben, ein Beinahe-Zitat aus Arthur Millers HEXENJAGD: "Because it is my name! Because I cannot have another in my life! Because I lie and sign myself to lies!", erklärt der Bauer John Proctor da am Ende, obwohl er mit einem falschen Geständnis sein Leben retten könnte.

O.J. Simpson hat weniger Probleme damit, seinen Namen zu veräußern – auch nicht für ein vielleicht erfundenes und vielleicht echtes Pseudo-Geständnis des Mordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown und ihrem Bekannten Ron Goldman. 2006 ließ sich der gefallene Star, der 1995 freigesprochen wurde und dennoch in den Augen vieler als schuldig gilt, zu einem Buch mit dem Titel IF I DID ITüberreden, in dem er (beziehungsweise sein Ghostwriter) von seiner Beziehung zu Brown erzählt und dann in einem hypothetischen Teil beschreibt, wie er die Morde begangen hätte – wenn er sie denn begangen hätte.

O.J. Simpson im Gespräch mit Verlegerin Judith Regan.
O.J. Simpson im Gespräch mit Verlegerin Judith Regan.

Zur Promotion des Buchs ließ sich Simpson auch auf ein ausführliches TV-Interview ein, in dem er die Mordnacht ebenso hypothetisch beschreibt. Weil der Aufruhr um das geschmacklose Werk noch vor der Veröffentlichung so groß war, daß sogar Verlegerin Judith Regan ihren Job verlor (sie verklagte deswegen später ihren Arbeitgeber), wurde das Interview in den Giftschrank gepackt. Das Buch erschien mit etwas Verzögerung unter Aufsicht der Familie von Ron Goldman – auf die bizarre Geschichte hinter der Veröffentlichung gehe ich im Text zu IF I DID IT näher ein.

Aber natürlich muß die Geschichte weitergehen: Der Fernsehsender Fox kramte das Gespräch 2018 wieder hervor, strickte daraus das TV-Special O.J. SIMPSON: THE LOST CONFESSION? und strahlte es am 11. März zur Prime Time aus – als Konkurrenzprogramm zu ihrem einstigen eigenen Zugpferd AMERICAN IDOL, das mittlerweile auf ABC beheimatet war. (Mit nur 4,4 Millionen Zusehern gegenüber den 10,3 von AMERICAN IDOL ging das Konzept nicht auf.) Das O.J.-Interview wurde dabei allerdings nicht unkommentiert gelassen: Neben der alten Aufzeichnung trat eine, nunja, Expertenrunde zusammen, die O.J.s Worte einordnen sollten – darunter Judith Regan und einer der damaligen Ankläger, Christopher Darden.

Der ehemalige Staatsanwalt Christopher Darden
Christopher Darden, 1994 einer der Ankläger von O.J. Simpson.

Wer das Buch gelesen hat, für den erscheinen Simpsons Erzählungen nicht gar so bizarr wie für den Rest der Öffentlichkeit – weil sie schlichtweg schon bekannt sind. Auch hier erklärt er zu seiner Beziehung zu Nicole, daß er sie sehr geliebt habe, und hat einfache Erklärungen für die Fälle häuslicher Gewalt, die durch die Medien gingen und in seinen Augen ganz banale Mißverständnisse waren, die aufgebauscht wurden. Und auch hier taucht in der Mordnacht dieser ominöse Freund "Charlie" auf, der ihn gewissermaßen anregt, für Ordnung im Hause seiner Ex-Frau (und damit seiner Kinder) zu sorgen. (Wenn man es so formuliert, mag man vielleicht an den Hausmeister Grady in SHINING denken, der über die Ermordung seiner Frau sagt: "I corrected her".)

Fast spannender als der Inhalt der Erzählung ist wohl, wie sie erzählt wird. Wo im Buch nur einziges Mal eingeschoben wird, daß der folgende Teil hypothetisch sei (und nie eine Stelle kommt, wo die Geschichte klar von der Hypothese zurück in die Wirklichkeit schwenkt), weist Simpson im Interview immer wieder darauf hin. Gleichzeitig ist das Erzählte aber nie im Konjunktiv: Er tat dies, er tat jenes, und immer wieder kommen Konstruktionen wie "I remember", die schlichtweg nicht in der Hypothese funktionieren. Kann man sich erinnern, was man sich bei einer hypothetischen Tat gedacht hat?

Judith Regan im Interview von 2006
Verlegerin Judith Regan im Interview von 2006.

Abgesehen vom bizarren Inhalt aber gibt sich O.J. in dem Gespräch ganz so, wie man ihn früher immer gesehen hat: Er plaudert auf charmante Art, lächelt freundlich, lässt seine angenehme Stimme ihre Wirkung entfalten. Über weite Strecken klingt er, als würde er Erinnerungen aus seiner Zeit bei der NFL aufwärmen. Einmal lacht er nervös und wirft mit Grimasse ein, daß er ja nicht will, daß ihn die Leute angesichts der hypothetischen Mordgeschichte für einen "you know" halten: einen Mörder. Aber sonst gibt er den Zuschauern den O.J., den sie vor dem Prozeß so sehr geliebt haben.

Verlegerin Judith Regan, die das Interview höchstselbst leitet, sitzt ihm gegenüber wie ein Reh im Scheinwerferkegel. Mit weit aufgerissenen Augen und starrer Miene blickt sie ihn an, sichtlich um einen Hauch von Seriosität bemüht. Sie fragt kaum nach, nur bei der Hypothese will sie einige Details wissen – oder Simpson mit ihren Einwürfen einfach am Reden halten. Die interessanten Fragen stellt sie leider nie: Warum dieses Buch, Mr. Simpson? Woher kommt die irrwitzige Idee, sich als hypothetischer Mörder zu inszenieren? Was halten Ihre Kinder davon, daß Sie hier im Fernsehen darüber reden, vielleicht ihre Mutter umgebracht zu haben, Mr. Simpson? Aber statt David Frost gibt Regan nur den Wayne Gale.

Die Expertenrunde in "O.J. Simpson - The Lost Confession"
Die Expertenrunde seziert O.J.s altes Interview.

Um sich ausreichend von dem Interview zu distanzieren, wird die Aufzeichnung des Gesprächs immer wieder angehalten, damit die Studiorunde das Gesagte sezieren kann. Es wird dadurch freilich kein bißchen weniger reißerisch: Eine Freundin von Nicole Brown scheint einzig aus dem Grund eingeladen worden zu sein, damit die Kamera in Nahaufnahme zeigen kann, wie ihr immer wieder die Tränen kommen.

Wie schon im O.J.-Prozeß seinerzeit verfolgt natürlich auch heute noch jeder in dieser Geschichte ganz eigene Absichten. Daß Christopher Darden die hypothetische Erzählung für ein echtes Geständnis hält, ist wohl keine Erleuchtung: Als damaliger Ankläger wird er nun kaum äußern, daß er sich die Angelegenheit nochmal überlegt hat, sondern sucht natürlich Bestätigung, die seine damalige Niederlage auffangen kann (vor allem wohl den Teil des Prozesses, in dem er Simpson anregte, die gefundenen Handschuhe anzuziehen – die dem Angeklagten dann nicht paßten). Und daß eine Dame von einer Einrichtung zur Hilfe von Opfern häuslicher Gewalt O.J.s Erklärungen für die Vorfälle gar nicht annehmen kann, ist auch klar: Sie ist hier, um Bewußtsein zu schaffen.

Darden, Chan und Regan im Studio
V.l.n.r.: Der ehemalige Staatsanwalt Christopher Darden, Nicole Browns Freundin Eve Shakti Chan
und Verlegerin Judith Regan.

Judith Regan muß sich natürlich am stärksten und demonstrativsten von allen von der Interviewaufzeichnung distanzieren: Damals war das O.J.-Buch noch ein lukratives Geschäft, bei dem der berüchtigte womögliche Täter bereitwillig mitmachte, obwohl er sonst seine Unschuld beteuerte. Nach dem Aufruhr der Empörung, die Mordfälle derart geschmacklos ausgeschlachtet zu haben, kann sie natürlich heute nur darauf pochen, die Wahrheitsfindung im Sinne gehabt zu haben: Natürlich wollte sie O.J. reden lassen, weil er sich in ihren Augen mit jedem Wort selber einen Strick drehte, und natürlich hält sie das Gesagte für ein ganz klares Geständnis. Ganz dramatisch erzählt sie, wie O.J. sie während einer Drehpause anlächelte und sagte: "You thought you wouldn't like me, but I changed your mind"– ganz so, als hätte sie ihn bei einem grandios orchestrierten Manipulationsversuch erwischt.

Aber dann erwähnt sie auch, wie O.J. zwischendurch immer wieder gehen wollte, mehrfach während der Mordgeschichte das Studio zu verlassen drohte – wovon in der Aufzeichnung aber nichts zu sehen ist. Ganz offenbar ist das Interview also aus einer längeren Sitzung zusammengeschnitten, was wiederum die Authentizität des Gezeigten ungefähr auf die Ebene des dazugehörigen Buches bringt, in dem der Ghostwriter schon im Vorwort zugibt, O.J. für schuldig zu halten und ihm das düstere Kapitel, das O.J. gar nicht im Buch haben wollte, Stück für Stück aus der Nase gezogen zu haben. Nach Ausstrahlung des Interviews gab Simpsons Anwalt Malcolm LaVergne folgendes Statement ab: "This was scripted by Judith Regan, the publisher of the book. Mr. Simpson went along because quite frankly he got a lot of money up front to go along with this." Regan bezeichnet das als Diffamierung und droht derweil mit einer entsprechenden Klage.

Moderatorin Soledad O'Brien im Gespräch mit dem ehemaligen FBI-Profiler Jim Clemente.

Sprich: Wie bei jedem Kapitel der O.J.-Simpson-Saga ist hinterher auch niemand klüger als vorher. Offenbar hat Simpson für Buch und TV-Interview ganz einfach etwas verkauft, was sowieso keinen Wert mehr hat: seinen Namen. Alles andere macht wenig Sinn: Wenn er als Unschuldiger die Menschen davon überzeugen wollte, der gute alte O.J. zu sein, würde er wohl von der Mordgeschichte weiten Abstand nehmen. Und wenn er als Schuldiger seine Taten gestehen wollte, könnte er das gefahrlos tun – aufgrund des amerikanischen "Double Jeopardy"-Rechts könnte er trotzdem nicht noch einmal des Mordes angeklagt werden. (Regan behauptet, er habe auch gestehen wollen, aber hätte es aus Rücksicht auf seine Kinder in eine Hypothese gepackt.)

Kurz nach der Ausstrahlung hat Simpson der Buffalo News ein Interview gegeben – und darin hauptsächlich über seine Zeit als Footballspieler geredet. "Anybody that saw me play will remember me as a football player", sagt er da. Vielleicht ist ihm sein Name ja doch plötzlich wieder etwas wert.


Mehr über O.J. Simpson auf Wilsons Dachboden:
I WANT TO TELL YOU: Wie O.J. Simpson während seines Prozesses an die Öffentlichkeit ging
IF I DID IT: Das Pseudo-Geständnis von O.J. Simpson


Die Screenshots stammen von einer Aufzeichnung der Fox-Sendung.

THOR: Gott, Held oder Superheld?

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Chris Hemsworth als Thor

Der nächste Superheld darf vor das kritische Auge von Dr. Wily treten: Nach zwei IRON-MAN-Filmen und einem HULK knöpft sich unser Gastautor diesmal Kenneth Branaghs THOR vor.



Ist Thor ein Gott, ein Held oder ein Superheld? Thor ist zumindest die erste Figur des Marvel Cinematic Universe, die nicht aus eigener Feder stammt, sondern sich auf eine Vorlage bezieht. In der nordischen Mythologie ist Thor der Gott des Donners, ein Ase und Sohn des Allvaters Odin. Er lebt in Asgard, dem Sitz der Götter. Thor ist mutig, besitzt mehr Kraft als andere Götter und kämpft mit seinem Hammer Mjölnir in vielen Schlachten. Sein Bruder ist der hinterlistige Trickser und Formwandler Loki, der ihn immer wieder in Schwierigkeiten bringt und die Götter stürzen will. Das sind im Großen und Ganzen die Elemente der nordischen Göttersagen, die Marvel übernommen und für THOR verwendet hat. Dieser Thor ist die Marvel-Superhelden-Variante des Donnergottes, und es zeigt schön, wie sich Götterfiguren von Heldenfiguren unterscheiden.

Vater und Sohn: Odin (Anthony Hopkins) und Thor (Chris Hemsworth).
Thor (Chris Hemsworth, l.) und sein Vater Odin (Anthony Hopkins).

In THOR macht unser Titelheld, gespielt von Chris Hemsworth, ein klassische Heldenreise durch. Er beginnt als Thronfolger Odins und junger, arroganter Hitzkopf, der sich den Zorn und die Enttäuschung seines Vaters zuzieht. Odin (Anthony Hopkins) verstößt ihn ins Exil nach Midgard, also auf die Erde, entzieht ihm alle Rechte und Thronfolgerwürden und sogar die Macht über sein wichtiges Werkzeug Mjölnir. Nur jemand, der sich als würdig erweist, soll den Hammer des Thor heben können. Thor wird nach New Mexico verbannt, wo er nun Demut und Opferbereitschaft lernen muß, um ein würdiger König zu werden. Zufällig wird auch der Hammer Mjölnir in die neumexikanische Wüste geschleudert, damit nach der Erleuchtung der Weg nicht so weit ist. In New Mexico trifft Thor auf eine Gruppe Astrophysiker um Jane Foster (Natalie Portman) und Dr. Erik Selvig (Stellan Skarsgård), die im Rahmen ihrer Forschungen dort Anomalien entdeckt haben, die Thor durch seine Reise zur Erde hervorgerufen hat. Sie helfen Thor und geraten so ins Visier von S.H.I.E.L.D., der von Nick Fury geführten, ultra-geheimen Behörde zum Schutz der Menschen und der Erde vor Bedrohungen der außergewöhnlichen und auch außerirdischen Art. Diese Men in Black der Marvelwelt sind natürlich bemüht, alles möglichst geheim und unter Kontrolle zu halten, obwohl oder vielleicht gerade weil sie selbst nicht wissen, ob Thor Freund oder Feind ist. Sie gehen da gerne mal (wie man später auch in CAPTAIN AMERICA - THE WINTER SOLDIER sehen wird) vom Schlimmsten aus; man könnte auch sagen: Ihr Handeln ist sehr von Angst bestimmt, und da machen sich Leute wie Jane, die mit diesen Aliens fraternisieren und innerhalb kürzester Zeit mehr Information gesammelt haben als die Behörde selbst, natürlich verdächtig. Jane und Thor dürfen sich verlieben, eine zwar herzig gespielte, aber emotional wenig nachvollziehbare Liebesgeschichte (was auch den Machern aufgefallen sein dürfte, wenn man betrachtet, wie sie in die nachfolgenden Filme eingebaut wurde), während Dr. Selvig hier zwar noch als Randfigur agiert, aber in zukünftigen Filmen eine sehr bedeutende Rolle bekommen wird.

Thor ist also der klassische Held, der Prüfungen durchlaufen, Niederlagen erleiden und Opfer bringen muß, um am Ende als veränderter und besserer Mensch daraus hervorzugehen. Er steht damit im Gegensatz zu seinem mythologischen Vorbild, das in seinen Geschichten keine Charakterveränderung durchmacht, weil das auch gar nicht so gedacht war. Götter dienten zur Erklärung der Welt, die wahrgenommen werden konnte, und zur Vorstellung, wie diese entstanden sein könnte. Sie standen für die Auseinandersetzung zwischen Natur und Kultur. Der Natur, der die Menschen ausgesetzt waren, schrieben die Menschen Leben zu, indem sie Geschichten erfanden. Genau deshalb konnten diese alten Götterfiguren zwar schon menschliche Eigenschaften haben (gerade Hinterlist und Unehrlichkeit waren bei den nordischen Göttern sehr beliebt), aber eine Charakterveränderung war nicht im Sinne der Erfinder. Die Götter waren für etwas anderes da. Als Vorbilder für die persönliche Entwicklung der Menschen, dem Streben nach Idealen im Angesicht der realen Unvollkommenheit, dienten eher die Heldengeschichten. So würde ich die Superhelden weniger als neue Götter oder moderne Göttersagen sehen, sondern als aktuelle Varianten der Heldenreisen. Charakterlich sind sie alle wie wir, sie haben nur die eine oder andere sehr besondere Fähigkeit (meist sehr große Körperkraft).

Thor und Jane
Jane (Natalie Portman) und ihr Tarzan, äh, Thor (Chris Hemsworth).


THOR ist das gestiegene Selbstbewußtsein der Marvel Studios anzusehen. Mit Anthony Hopkins und Natalie Portman stehen gleich zwei Oscarpreisträger in der Cast und mit dem mehrfach ausgezeichneten und oscarnominierten Kenneth Branagh erstmals ein Star-Regisseur hinter der Kamera (ein Modell, das bei Marvel keine rechte Zukunft hatte). Es ist der bis dahin cineastischste Film der Reihe. Wenn Branagh etwas kann, dann Pathos, Gravitas und Epos. All das steht THOR sehr gut. Große, farbenprächige Bilder der goldenen Phantasiestadt Asgard und der Regenbogenbrücke Bifröst stehen im Gegensatz zu der weiten Leere New Mexicos. Den Vater-Sohn-Konflikt rund um Odin, Thor und Loki, der Thors Verbannung hinterrücks eingefädelt hat, um selbst auf den Thron zu kommen, inszeniert der Shakespeare-Experte Branagh, als wäre es ein Stück des großen Dichters. Tom Hiddleston ist als Loki die große Entdeckung des Films: Die Rolle hat ihn berühmt gemacht, und es ist spannend zu sehen, wie er hier noch vollkommen ernst gezeichnet wird. Der Humor wird ihm erst von Joss Whedon in THE AVENGERS eingeimpft. In THOR ist er ein verletztes und rachsüchtiges Kind, das über den Schmerz nicht hinwegkommt, daß man ihn in Bezug auf seine Herkunft belogen hat. Der Haß bringt ihn dazu, den König töten zu wollen.

In Asgard spielt sich also das große Drama ab, auf der Erde darf es auch witzig zugehen. Alles, was später in THOR - TAG DER ENTSCHEIDUNG beinahe Selbstparodie ist, ist hier im Humor schon angelegt. So sehr sich Thor und Tony Stark charakterlich ähneln und so vergleichbar auch ihre Entwicklung laufen muß, so unterschiedlich blicken ihre jeweiligen Filme auf sie. Wo die IRON-MAN-Filme Tony Stark nie ein Schwäche zugestehen, wird Thor hier immer wieder die Luft herausgelassen und lächerlich gemacht. Oft entsteht der Humor durch die Diskrepanz zwischen Thors altmodischem, ritterlichem und pathetischem Auftreten und der sehr trockenen, pragmatischen Reaktion der Menschen. Etwa wenn Thor im Krankenhaus tobt, weil das Personal es wagt, ihn, den unbesiegbaren Sohn Odins, anzufassen, und die Pfleger ihm kurzerhand eine Spritze mit Schlafmittel in den Hintern jagen, woraufhin er sofort umkippt. THOR ist so auch involvierender als Geschichte. Er muß tatsächlich akzeptieren, vielleicht nie wieder nach Hause zurückkehren zu können, er lebt in dem Glauben, den Tod seines Vaters auf dem Gewissen und seine Heimat Feinden ausgesetzt zu haben. Am Ende opfert er auch seine Beziehung zu Jane, um Asgard vor dem Untergang zu bewahren. Sein Fall ist weit tiefer als der von Tony Stark.

Nicht mehr nur ein Gastauftritt: Agent Phil Coulson (Clark Gregg).

Filmübergreifend zieht mittlerweile alles in Richtung THE AVENGERS. Wir lernen kurz Hawkeye (Jeremy Renner) kennen, einen sehr menschlichen Superhelden im Dienste von S.H.I.E.L.D. mit sehr beeindruckenden Pfeil-und-Bogen-Fertigkeiten. S.H.I.E.L.D. sind erstmals für die Handlung relevante Antagonisten von Jane Foster und ihrer Entourage, und Agent Phil Coulson (Clark Gregg), dem in THE AVENGERS eine elementare Rolle zukommt, wird nach seinen Auftritten bei IRON MAN zur vollwertigen Nebenfigur. In der Post-Credits-Sequenz bekommen wir den ersten Hinweis darauf, wohin diese erste Phase des Marvel Cinematic Universe gehen könnte. Das ganz große Faß machen Marvel aber dann erst in CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER auf.

Post-Credits: Es gibt eine sehr schöne Sequenz, in der der Film eine Verbindung zu den alten Mythen herstellt, auf die unser Marvel-Thor zurückgeht. Der große Schlußkampf spielt sich auf dem Bifröst in Asgard ab. Während der Action- und Kampfszenen schneidet Branagh immer wieder auf die Erde und zeigt uns, wie dieser Kampf für Jane und ihre Freunde aussieht. Die stehen in der Wüste und beobachten ein stürmisches Gewitter in den Wolken. Hier kommen für kurze Zeit der Gott Thor und der Superheld Thor zusammen.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck 
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie




Thor (USA 2011)
Regie: Kenneth Branagh
Buch: J. Michael Straczynski, Mark Protosevich, Ashley Edward Miller, Zack Stentz, Don Payne
Kamera: Haris Zambarloukos
Musik: Patrick Doyle
Darsteller: Chris Hemsworth, Natalie Portman, Tom Hiddleston, Anthony Hopkins, Stellan Skarsgård, Kat Dennings, Clark Gregg, Colm Feore, Idris Elba

Alle Bilder (C) Paramount.

Sweet Movies 2: Ein Festival voller Höhepunkte

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Das hätte ich mir als junger Mensch, der in die wundersame Welt des Films aufbricht, auch nie träumen lassen: Ich war am vergangenen Wochenende auf meinem ersten Porno-Festival. "Sweet Movies 2" nannte sich das Groß- und Stoßereignis, das von den beiden leidenschaftlichen Lustspielfreunden Harald (Deliria Italiano) und Gary (Filmkollektiv Frankfurt) organisiert wurde und im Nürnberger KommKino stattfand. Zu diesem Kino habe ich ja schon eine besondere Beziehung: Nicht nur, daß dort schon meine Filme SCHLAFLOS und DIE MUSE gezeigt wurden – mein Kurzfilm CINEMA DELL' OSCURITÀ, der 2017 bei den Shocking Shorts nominiert war, wurde dort sogar gedreht und fängt den traditionsreichen alten Vorführraum ein, bevor er abgerissen und gegen einen moderneren ersetzt wurde.

Anlaß meines Besuchs war die Vorführung von Howard Ziehms FLESH GORDON– wie jeder gezeigte Film von einer originalen 35mm-Kopie. Nachdem ich momentan an einer Dokumentation über Howard Ziehm arbeite, die mit dem Titel FINDING PLANET PORNO ganz zentral auf FLESH GORDON verweist (Trailer: HIER, Facebook-Seite: HIER), wurde ich von Harald eingeladen, eine kleine Einführung zum Film zu geben. Die Besucherzahl war leider überschaubar – was am Samstagstermin von 14 Uhr gelegen haben kann – aber dennoch war es schön, den Film einmal mit Gleichgesinnten auf der großen Leinwand erlebt zu haben. Einige Zuseher haben mich hinterher mit lobenden Worten auf meinen kleinen Vortrag angesprochen, weshalb ich nach der Aufführung ganz sicher zweieinhalb Zentimeter gewachsen bin.

Das Festival startete aber schon Freitagabend mit einem Highlight: dem Kuschelkino-Klassiker schlechthin, DEEP THROAT – als einziger Film im Programm (entgegen der Ankündigung) auf Englisch. Über die Hintergründe zum Film habe ich hier schon im Zuge der Doku INSIDE DEEP THROAT geschrieben; der dazugehörige Film macht klar, warum er so einen Hype auslöste: Mit schelmischem Witz erzählt DEEP THROAT von einer unbefriedigten Frau, die vom Doktor aufgeklärt wird, daß ihre Klitoris im Rachen sitzt – und deswegen nur über Oralsex zum Höhepunkt kommen kann. Im Gegensatz zu den meisten Begegnungsfilmen funktioniert die Balance zwischen einfacher Handlung und ausgiebigem Sex hier sehr gut: Man folgt der Odyssee der Hauptfigur tatsächlich, als wäre es ein schmuddeliger Bildungsroman, und kann gleichzeitig sein Vergnügen an den Signalen haben, die dem Zuseher immer zeigen, daß die Macher wußten, wie absurd hier alles ist. Neben der hübsch natürlichen Linda Lovelace in der Hauptrolle begeistert vor allem ihr Hauptpartner Harry Reems, dessen Charme unter anderem darin liegt, als absoluter Normalo den perfekten Stellvertreter für den Zuschauer zu bieten und so zu wirken, als könne er sein Glück selber kaum fassen, in solch einen Männertraum geraten zu sein.

Der zweite Film am Freitag führte uns in die Achtziger, als aus den unglaublichen Mengen an pornographischem Material, das die Siebziger zu bieten hatten, durch die verbilligte Videoproduktion noch viel unglaublichere Mengen wurden. NAKED SCENTS, veröffentlicht 1985, vermischt die Seifenoperstories um intrigante Familien mit ganz harmlosen Jeder-darf-mit-Jedem-Kuppeleien. Der Geschäftsmann hat etwas mit seiner Haushälterin und auch mit seiner Ex-Frau laufen, seine Verlobte dagegen gibt dem Chauffeur erweiterte Aufgabengebiete und umgarnt den Tennislehrer, der ebenfalls zur Ex-Frau und zur Tochter des Geschäftsmanns Beziehungen pflegt. Die verflossene Gemahlin will die junge Nachzüglerin absägen, aber dem Ehemann sind die offenen Beziehungsvorstellungen seiner neuen Dame wohl ohnehin nicht so wichtig. Derweil versucht noch der Sohnemann des Geschäftsmanns, an seine Schwester heranzukommen – der er dann in der Horizontalen mit dem Argument "Du bist adoptiert" die letzten Bedenken raubt. Es ist beileibe kein herausragender Streifen – der übrigens von einer Frau inszeniert wurde (Elissa Christine, offenbar ihr einziger, sofern es sich nicht um ein Pseudonym handelt) und doch wie jeder andere Kuschelfilm seiner Zeit aussieht – aber er hat durchaus seine Reize: Italo-Kultfigur Robert Kerman (CANNIBAL HOLOCAUST) steht in der Hauptrolle unter seinem Decknamen "R. Bolla" seinen Mann; das Prozedere ist recht heiterer Natur – vor allem die Sequenz um den fleißigen Tennis-Coach, der die Damen (darunter die süße Taija Rae als Tochter Melissa) in Akkord-Arbeit beglückt; und nicht zuletzt macht der Synthpop-Soundtrack Laune, der leider nie separat veröffentlicht wurde (wie wir nach der Sichtung prompt recherchiert haben).

Nach der samstäglichen Eröffnung mit FLESH GORDON stand ein Trip nach Schweden auf dem Programm: BEL AMI (bei uns auch SKANDINAVISCHE LUST und – etwas prosaischer – DER HURENBOCK) wurde von Mac Ahlberg inszeniert, der später in Amerika Filme wie HELL NIGHT, DEEP STAR SIX und BEVERLY HILLS COP III als Kameramann betreute. Hier führt er einen schüchternen Schreiberling durch eine Reihe von intensiven Körperkontakten, die ihn – ganz nach der Geschichte von Guy de Maupassant – gesellschaftlich immer weiter nach oben bringen. BEL AMI war ganz klar der ästhetischste Film des Programms: Ahlberg setzt ein besonderes Augenmerk auf seine Bildkompositionen, alles ist sorgfältiger inszeniert, als es in vergleichbaren Filmen der Fall ist. Pupillenfreundlich ist der Streifen vor allem aber auch durch die Frauen, die so liebreizend sind, daß man sich gar kein Ende herbeisehnt. Das geht dann allerdings leider auch in Erfüllung: Irgendwann kommt einfach noch eine, und noch eine, und noch eine, und der arme Harry Reems (schon wieder!) wirkt am Ende wie ein Schwerarbeiter, den man kaum mehr beneiden kann; außerdem kommt in den letzten 20 Minuten eine gewisse Albernheit hinzu, die der schönen Stimmung doch etwas abträglich ist. Der Film löste hinterher intensive Debatten aus, weil er zum Ende hin doch so frustrierend langatmig wird – aber ich darf hier nochmal festhalten, daß die wundervollen ersten ca. 70 Minuten dennoch so betörend sind, daß sich mein Herz gegenüber diesem Film gar nicht schließen mag.


Nach Essens- und Shoppingpause (der große Müller in Kinonähe will freilich genau inspiziert werden!) lockten die amerikanischen ROLLERBABIES wieder ins Kino. Eine ganze Zeitlang hing die Frage im Raum, ob uns nicht vielleicht der falsche Film untergejubelt wurde: Plakat wie Filmtitel locken mit einem Sex-auf-Rollschuhen-Konzept, das quasi als Parodie von ROLLERBALL funktionieren soll – aber eine geschlagene Stunde lang ist die einzige Figur, die Rollschuhe trägt, ein merkwürdiger Professor, während die Kuscheleien ganz traditionell auf dem Bett oder – für die Romantiker – über den Schreibtisch gebeugt stattfanden. Das wäre kaum so schlimm, wenn nicht jede entsprechende Szene wie eine schwere Zementmischung wirken würde: die Darsteller liegen teils regungslos herum, die Kamera verweilt endlos auf den einzelnen Einstellungen, alles wirkt freud- und schwunglos. Wie eine Zementmischung wirkt auch die graue Substanz, die eine Darstellerin unserer Hauptfigur über die empfindlichen Stellen kleckert – aber nachdem sie dann dran leckt, dürfte es sich wohl um schon am Vorabend aus dem Kühlschrank geholtes Speiseeis handeln. Die Szene ist nicht schön, aber dafür richtig lang. Abgesehen von Suzanne McBain machen auch die Darstellerinnen kaum etwas her; die allzu derbe Synchro raubt dem traurigen Spektakel dann vollends die letzte potentielle Freude an der Sache. Mit seiner Zukunftsvision, in der Geschlechtsverkehr verboten ist und sich die Menschen nur noch zum allgemeinen Entertainment in einer Fernsehshow paaren, hält sich der Film für viel cleverer, als er ist. Immerhin kommen dann doch zum Schluß noch die Rollschule zum Einsatz: in einer stinknormalen Sporthalle, in der sich die Darsteller unglaublich abmühen, die in der Theorie witzige Idee von der "rollenden Nummer" in die sehr wacklige Praxis umzusetzen.

Und dann war da noch der Abschlußfilm, der nur als schier unglaublich bezeichnet werden kann. BIGGI – EINE AUSREISSERIN nannte sich das gar spektakulöse Stückchen Zelluloid, von dem schon im Vorfeld gemunkelt wurde, es sei potentiell unappetitlich; passend dazu wurde vor der Aufführung gewarnt, daß es dank Schimmelbefall der Vorführkopie im dritten Akt einige Minuten lang zu heftigen Tonausfällen kommen würde. Sprich: Dreck auf allen Ebenen. Und doch war niemand vorbereitet auf diese bestürzende Dokumentation westdeutscher Befindlichkeiten: Da reißen die junge Biggi und ihre Freundin von zuhause aus, um mal etwas"richtig Geiles" zu erleben – und landen sofort bei einem dicken alten Herrn in der Limousine, der sie in den wohl spießbürgerlichsten Partykeller schleift, der in der offenkundig kurzen Produktionszeit aufgetrieben werden konnte. Der Weg führt über eine Bar, in der die einsamen Herzen der untersten Arbeiterklasse ihr Zuhause finden, direkt ins Bordell – aber die wackere Biggi, ein frohsinniger Gegenentwurf zur Generation "Null Bock", genießt jede dieser Stationen, die nach nur wenigen Sekunden unweigerlich zu geöffneten Hosen und herzhaften Natursekt-Neckereien führt. Ein Wunder eigentlich, daß seinerzeit niemand befürchtete, orientierungslose Gerade-mal-Volljährige könnten nach Sichtung des Films ebenfalls aus dem Alltag ausbrechen und etwas "richtig Geiles" erleben wollen.

Die Darsteller erlauben soziale Einblicke, die anderswo schlicht unter den Teppich gekehrt werden: der schwer übergewichtige Mann im gesetzten Alter, der schmierige Bordellkunde mit der auffälligen Goldkette um den Hals, die verbrauchte Puffmutter, der so anständig wirkende, aber dem Gruppensex zugeneigte Barbesucher – sie alle wurden offenbar direkt von der Straße aufgelesen und in diesen Film gezerrt; sie alle blicken immer wieder nervös in die Kamera, als wollten sie fragen "gut so?" oder überhaupt nach einer Anweisung suchen. Morbide faszinierend vor allem ein spindeldürrer älterer Bordellkunde, der wie ein wandelndes Skelett aussieht und beim Liebesakt mehrfach so wirkt, als würde er sich gleich von dieser Welt verabschieden – er könnte direkt in der Notschlafstelle angeheuert worden sein. Die dazugehörigen Mädchen, vor allem eins im hinteren Teil, sehen mit ihren glasigen Augen nach dezentem Drogenkonsum aus und stammen vielleicht direkt aus einem Düsseldorfer Bordell. Wahnwitzig sind dazu noch die über das Schnodderspektakel gelegten Dialoge: Die blumig-obszönen Kreationen wirken, als hätte sich da ein Beat-Dichter nach langem Bukowski-Wochenende nicht mehr unter Kontrolle. Von "pervers erfahrenen Zungen" und "versauten Lustritzen" ist da die Rede, die Sprache ist so betont derb und übertrieben lüstern, daß sie irgendwo zwischen Parodie und Poesie schwebt. Leider ist uns über das wundersame Werk, das die gesammelte Besucherschaft zwischen schallendem Gelächter und ungläubigem Kopfschütteln pendeln ließ, rein gar nichts bekannt. Sachdienliche Hinweise zum Verbleib von Regisseur Charles Köhn (der danach noch den Hardcore-Streifen LEHRJAHRE EINES TEENAGERS inszenierte) und Biggi-Darstellerin Karin Hilgers werden mit mindestens 1000 Erfahrungspunkten belohnt.

Lieber Harald, lieber Gary: Ich danke euch, daß ich dieses Programm erleben durfte - es war etwas "richtig Geiles". Bis zum nächsten Festival!

CAPTAIN AMERICA - THE FIRST AVENGER: Der altmodische Rächer

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Chris Evans als Captain America

Nach THOR knöpft sich unser Gastautor Dr. Wily den nächsten Superhelden vor, der die Bühne des Marvel Cinematic Universe betritt: CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER.



Auf den ersten Blick ist CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER ein geradliniger, vergnüglicher und kurzweiliger Actionfilm mit altmodischem Touch, der sehr schön der Zeit entspricht, in der die Geschichte spielt. Es sind die 1940er Jahre des Zweiten Weltkriegs. Allein die geschmackvolle und nie aufdringliche Ausstattung und die Kostüme sind das Ansehen wert.

Darüber hinaus spielt CAPTAIN AMERICA natürlich im Marvel-Universum, in dem zwar historische Geschehnisse wirklichkeitsnahe porträtiert werden, es eben aber auch schwebende Autos, einen Super-Soldaten und einen Bösewicht namens Red Skull gibt, der eine NSDAP-Unterdivision befehligt, die sich "Hydra" nennt und die es auszuschalten gilt. Das erlaubt den Filmemachern auch – im Gegensatz vor allem zu Christopher Nolans BATMAN-Filmen, die völlig in der Realität verankert sein wollen – die spaßmachenden Comicaspekte hervorzukehren. Wenn Captain America dann seine Superkräfte einsetzt – die ganz simpel darin bestehen, daß er viel mehr Kraft hat als alle anderen und deshalb schneller laufen, weiter springen, Dinge höher werfen und vor allem fester boxen kann – dann ist sichtlich kindlicher Spaß am Werk.

Chris Evans als Captain America
Schneller, weiter, höher: Steve Rogers wird zu Captain America.

Der Film funktioniert jedoch hauptsächlich wegen seiner schlüssigen Geschichte und glaubwürdig gezeichneten Figuren. Die USA sind im Krieg mit Nazi-Deutschland, und Steve Rogers (Chris Evans) muß zusehen, wie alle Freunde um ihn herum in den Krieg ziehen, während er bei mehrmaligen Musterungen abgelehnt wird. Rogers ist nämlich leider ein kränklicher, kleiner Mann mit wenig Körperkraft. Noch dazu kommt er aus einer Familie, die sich im Ersten Weltkrieg sehr verdient gemacht hat. Er selbst behauptet, nur seinen Beitrag leisten zu wollen, doch sein bester Freund Bucky (Sebastian Stan) durchschaut ihn: "Right, like you have nothing to prove". Auf die Frage, ob er denn heiß darauf wäre, Nazis zu töten, antwortet Rogers: "I don't want to kill anyone. I just don't like bullies."

Was Rogers allerdings auszeichnet, sind Mut, Aufrichtigkeit, Entschlossenheit, Bescheidenheit, Höflichkeit und Selbstlosigkeit. Darüber hinaus ist er ein klassisch-trotziges amerikanisches Stehaufmännchen. "I can do this all day" sagt er mehrfach im Film, wenn er von Gegnern verprügelt wird, sowohl als unterlegener Schwächling zu Beginn als auch als überlegener Superheld später. Es sind genau diese altmodischen Werte, die der deutsche, übergelaufene Wissenschaftler Dr. Abraham Erskine (Stanley Tucci) für sein Super-Soldaten-Projekt sucht. Captain America ist geboren. Er geht also den umgekehrten Weg von Thor und Iron Man. Die Charakterstärke bringt Steve Rogers schon mit, die Körperkraft muß er sich aneignen und damit umzugehen lernen. Es paßt daher zu keinem seiner Heldenkollegen so gut wie zu ihm, daß er am Ende das größte Opfer von allen zu bringen bereit ist.

Red Skull (Hugo Weaving).
Hugo Weaving als Bösewicht Red Skull.

So umschifft der Film auch sehr elegant den der Figur innewohnenden Patriotismus (der in den weiteren Abenteuern der Reihe viel mehr zum Problem wird). Er läßt Captain America aus diesem Menschen mit seiner individuellen Geschichte entstehen, und auch sonst ist sich CAPTAIN AMERICA nicht zu schade, die Dinge etwas differenzierter zu betrachten. So erklärt Dr. Erskine, daß oft übersehen werde, daß das erste Land, das die Nazis besetzt hatten, ihr eigenes war. Deutschland wäre nach dem letzten Krieg verzweifelt und kaputt gewesen. Dann kam Hitler mit Pomp, Fahnen und Versprechen und habe mit der Phantasie der Menschen gespielt. Es sind keine langen oder großen Szenen, doch sie funktionieren und machen diese Geschichte komplexer, als zu erwarten wäre. Sie geben ihr das Herz, das auch zentral für die Figur des Captain America ist. Das politische und militärische System kann interessanterweise mit diesem Symbol für Amerika nichts anfangen. Die erste Idee, die sie für ihren Supersoldaten haben, ist, ihn als Werbefigur für Kriegsanleihen zu verwenden. Wie wenig dieser Inbegriff der amerikanischen Werte in ein System zu passen scheint, wird in den weiteren Abenteuern zum einem Kernaspekt werden und dabei auch den Humor verlieren.

CAPTAIN AMERICA hält ständig die Balance zwischen spaßiger, aufregender Action und Momenten für seine Figuren, die der Film nie aus den Augen verliert und immer ernst nimmt. Die altmodischen Elemente – die zurückhaltende Liebesgeschichte, das immer zügige Tempo, ohne dabei stressig und unübersichtlich zu werden – geben dem Film ein Element, das den Marvelfilmen bisher eher gefehlt hat: Charme (wobei man ihn in THOR bisweilen schon findet). Der entsteht vor allem durch Steve Rogers mit seinen oben erwähnten, etwas steif und uncool wirkenden Werten. Ich habe gerade das sehr symphatisch und erfrischend gefunden: jemand, der die Dinge gebührend ernst nimmt und nicht ständig ironische Kommentare zu Besten gibt. Zumal diese Eigenschaften dem Zuschauer nicht ständig mit erhobenem Zeigefinger vorgehalten werden.

Stanley Tucci als Dr. Abraham Erskine.
Macht Steve Rogers zum Übersoldaten Captain America: Dr. Erskine (Stanley Tucci).

Chris Evans passt diese Rolle hervorragend. Man hat fast das Gefühl, dieser All-American Boy läuft auch privat so herum (wie man in SCOTT PILGRIM VS. THE WORLD sieht, kann er auch anders). Außerdem ist er der größte Spezialeffekt dieses an Effekten natürlich nicht armen Films. Wie sie aus dem Muskelviech Evans den kleinen, schmächtigen Steve Rogers der ersten halben Stunde gemacht haben, ohne daß der Zuschauer merkt, daß da getrickst wurde, ist beeindruckend. Roger Ebert mutmaßt in seiner Kritik zum Film sogar, daß man zu keinem Zeitpunkt den echten Chris Evans sieht: Zuerst sei er digital geschrumpft, dann digital verstärkt.

Wie all die anderen Marvelgeschichten ist auch diese durchgängig hochkarätig besetzt. Wer sich nicht erinnern kann, Stanley Tucci einmal in einer sympathischen Rolle gesehen zu haben, wird hier überrascht sein (und kann dann gleich EASY A schauen). Auf Tommy Lee Jones (der nächste Oscarpreisträger) als General mit trockenem Humor und Hugo Weaving, der Bösewichte immer noch mit sichtbarer Freude spielt, als Red Skull ist auch und im besten Sinne Verlaß. Am eindrücklichsten ist Hayley Atwell als Agent Peggy Carter, des Captains Love Interest: eine weitere Figur, die über ihre Schablone hinausgeht. Eine starke, stolze und selbstbewußte Frau, die auch im Kugelhagel vorne dabei ist (vorzugsweise ohne Helm, möglicherweise, um die Frisur nicht zu beschädigen) und verdeckte innere Kämpfe austrägt. Den ganzen Film über mit starker Präsenz spielt Atwell aber die auf Distanz gehaltene Anziehung zu Steve Rogers am besten. Man wird sie sich nach diesem Film merken.

Hayley Atwell als Peggy Carter.
An vorderster Front dabei: Peggy Carter (Hayley Atwell).
 
Wie schon im Text zu THOR erwähnt, macht Marvel hier nun endgültig das richtig große Faß auf. Der Tesseract, dieser blau glühende, außerirdische Energiewürfel, wird prominent eingeführt, die Verknüpfung damit sowohl nach hinten zu THOR als auch nach vorne zu THE AVENGERS gemacht. Mit dem Tesseract haben wir allerdings nicht nur die Auflage zum Zusammenführen unserer Superhelden im großen Ensemblefilm, sondern wir lernen so auch den ersten Infinity Stone kennen. Weitere werden folgen, und die Geschichte um diese magischen Steine beschäfigt das Marvel Cinematic Universe bis heute, wo die ganz große Erzählung mittlerweile schnurstracks auf den INFINITY WAR zusteuert.

CAPTAIN AMERICA ist mein liebster Film aus Phase Eins und auch ingesamt einer meiner liebsten aus dem Marvel-Universum.

Post-Credit: Keiner der bisherigen Filme spielt so viel mit den internen Marvelsymbolen wie CAPTAIN AMERICA. So hält Steve Rogers kurz nach seiner Verwandlung gleich zweimal einen Gegenstand als Schutzschild hoch, die sein späteres Trademark-Tool vorwegnehmen. Noch weiter in die Zukunft blickt der Film, wenn Steve und sein alter Freund Bucky gemeinsam Bösewichte jagen und beide Sterne am Anzug haben. Bucky wird bald einen roten Stern tragen. Kurz nimmt Bucky in dieser Sequenz sogar des Captains Schild auf. Wer die Comics um Captain Americas Tod kennt, darf vorfreudig rätseln, wohin Buckys Reise denn noch gehen könnte.

Post-Credit II: Hayley Atwells Peggy Carter wurde durch ihren Auftritt hier so beliebt, daß sie in weiteren Marvelgeschichten wie ANT-MAN oder der Fernsehserie AGENTS OF S.H.I.E.L.D. erst Kurzauftritte bekam und dann sogar eine eigene AGENT-CARTER-Fernsehserie.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck 
THOR: Gott, Held oder Superheld?
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie 




Captain America - The First Avenger (USA 2011)
Regie: Joe Johnston
Buch: Christopher Markus & Stephen McFeely
Kamera: Shelly Johnson
Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Chris Evans, Hayley Atwell, Sebastian Stan, Tommy Lee Jones, Hugo Weaving, Dominic Cooper, Richard Armitage, Stanley Tucci, Samuel L. Jackson, Toby Jones

Alle Bilder (C) Paramount Pictures.

Lichtspielplatz #26 - Drei Männer im Dschungel: Coppola, Friedkin, Herzog

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In der aktuellen Lichtspielplatz-Folge geht es um drei Männer, die in den Dschungel gingen und wahnsinnig wurden: Francis Ford Coppola wurde für APOCALYPSE NOW selber zu Colonel Kurtz, William Friedkin inszenierte sich für SORCERER als unzurechenbarer Diktator, während Werner Herzog nach Monaten der Arbeit an FITZCARRALDO darauf kommt, daß seine eigene Geschichte der des Films nicht unähnlich ist. Wir sprechen darüber, was die Filme abgesehen von ihrer Dschungel-Thematik verbindet - und warum Filmkunst oft ein unberechenbares Element braucht.

Viel Spaß!



Das mp3 kann HIER heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Musik: Clark Kent

Christian als Gast bei den Abspannguckern über SORCERER und den Originalfilm LE SALAIRE DE LA PEUR: HIER.

HOLLYWOOD COPS: Ein ganz beiläufiger Mordfall

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Hollywood Homicide (dt. Hollywood Cops)

In einem Club in Hollywood erschießen zwei Attentäter die vier Mitglieder der Rap-Formation H2OKlick während eines Auftritts. Möglicherweise könnte der Musikmogul Antoine Sartain (Isaiah Washington) etwas damit zu tun haben. Die ermittelnden Polizisten der Mordkommission haben aber eigentlich ganz andere Sorgen: Der Veteran Joe Gavilan (Harrison Ford) arbeitet nebenher als Immobilienmakler und sitzt seit geraumer Zeit auf einem teuren Objekt fest. Sein Partner, der junge K.C. Calden (Josh Hartnett), hat einen Zweitberuf als Yogalehrer – und ist sich gar nicht sicher, ob er überhaupt Polizist sein will: Er will Schauspieler werden und übt für die Hauptrolle in Tennessee Williams' ENDSTATION SEHNSUCHT.

Schon in seinem vorigen Film DARK BLUE – DIE FARBE DER KORRUPTION hat Regisseur und Autor Ron Shelton eine Cop-Story mit aktuellen Bezügen erzählt. Aber wo der düstere Thriller konkret den Rodney-King-Vorfall einbezog und sich um das kaputte, korrupte System des L.A.P.D. drehte, ist HOLLYWOOD COPS (im Original: HOLLYWOOD HOMICIDE) eine leichtfüßige Komödie im Hochglanzlook. Natürlich ist der Mordfall von den Hip-Hop-Konflikten der späten Neunziger inspiriert, die prominente Opfer wie Tupac Shakur und The Notorious B.I.G. forderten und in die (glaubt man der Theorie des Ermittlers Russell Poole) Plattenboß Suge Knight und ein Ex-L.A.P.D.-Cop verwickelt waren – aber der Film interessiert sich eigentlich gar nicht für seinen Polizeiplot, sondern zeichnet lieber ein amüsantes Bild einer Stadt, in der jeder Kellner eigentlich Schauspieler oder Drehbuchautor ist. "Everybody's got another life", erklärt Shelton in seinem Audiokommentar über Hollywood. "Nobody is quite who they seem to be, and nobody wants to be who they seem to be."

Harrison Ford und Josh Hartnett in HOLLYWOOD COPS
Cops mit Zweitkarrieren: Joe Gavilan (Harrison Ford, l.) und K.C. Calden (Josh Hartnett).

So liegt der Charme des Films dann auch darin, wie beiläufig hier ein eigentlich sensationeller Fall abgehandelt wird, während die Protagonisten ganz andere Anliegen haben. Gavilan kommt beim Gespräch mit dem Clubbesitzer darauf, daß der ein Haus kaufen will, und verwandelt das Verhör flugs in eine Verkaufsverhandlung. Als Calden im Zuge der Ermittlungen bei einem einst legendären, aber mittlerweile nicht mehr gefragten Produzenten landet, legt er ihm schnell ein Skript und eine Einladung zu seiner Theateraufführung auf den Tisch. Während einer Verfolgungsjagd hängt Gavilan auch schon mal am Telefon, um Preisverhandlungen zu einem Immobiliendeal zu führen.

Das klingt nach bissiger, kantiger Satire, aber HOLLYWOOD COPS funktioniert nicht wie SCHNAPPT SHORTY, wo die Absurdität von Hollywood mit geschliffenem Tonfall aufs Korn genommen wurde. Sheltons Film ist quasi der recht entspannte Cousin dazu: Es ist ein liebevoller Blick, den er hier auf die Stadt wirft, und er will um sein Augenzwinkern kein großes Aufhebens machen. Beim Inspizieren des Tatorts ist das erste, das Gavilan notieren lässt, welchen Cheeseburger ihm gebracht werden soll; Yogalehrer Calden kann sich die Namen der vielen schönen jungen Frauen, mit denen er anbandelt, nie merken, aber sie nehmen es ihm auch nie übel. Daß HOLLYWOOD COPS gar nicht auf Satire abzielt, merkt man unter anderem daran, daß da zwar in einer Szene ein Prominenter (Cameo von Eric Idle!), der mit einer Prostituierten erwischt wurde, verhaftet wurde und protestiert, er habe nur Recherchen für ein Projekt betrieben – aber es werden keine Bezüge zu tatsächlichen Klatschblatt-Geschichten rund um Hugh Grant oder Eddie Murphy gezogen. Oder auch der abgehalfterte Produzent (Martin Landau!): Für den stand Robert Evans Pate, aber das merkt man nur, weil Evans ganz generell als Stellvertreter für alle einst hoch fliegenden Produzenten steht (siehe auch ENTOURAGE, wo die ähnlich geartete Figur Bob Ryan auftaucht – ebenfalls von Landau gespielt).

Hip-Hop-Mogul Antoine Sartain (Isaiah Washington).

Wahrscheinlich ist genau diese Beiläufigkeit Schuld daran, daß HOLLYWOOD COPS weit unter den Erwartungen lief: Als Buddy-Cop-Komödie kümmert er zu wenig um das Polizistendasein seiner Protagonisten, als Parodie des Genres setzt er zu wenig Spitzen, als Krimi interessieren ihn die Verwicklungen der Mordverschwörungen viel zu wenig. Der Film blickt eben mit richtig kalifornisch-sonnigem Gemüt auf seine Story und seine Figuren. Angesichts des aufmerksamkeitsheischenden Auftritts ähnlich gelagerter Filme ist das eine hochsympathische Abwechslung.




Hollywood Cops (USA 2003)
Originaltitel: Hollywood Homicide
Regie: Ron Shelton
Buch: Robert Souza & Ron Shelton
Kamera: Barry Peterson
Musik: Alex Wurman
Darsteller: Harrison Ford, Josh Hartnett, Lena Olin, Bruce Greenwood, Isaiah Washington, Lolita Davidovich, Keith David, Master P, Dwight Yoakam, Martin Landau, Eric Idle, Robert Wagner

Die Screenshots stammen von der DVD (C) 2003 Columbia TriStar Home Entertainment.

THE AVENGERS: Ein bunter Strauß voll Schabernack

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Als Avengers vereint: Black Widow, Thor, Captain America, Hawkeye, Iron Man und Hulk

Nach den Einzelfilmen um Iron Man, den Hulk, Thor und Captain America treten die Comichelden in THE AVENGERS im Ensemble auf. Gastautor Dr. Wily berichtet über Joss Whedons Großevent im Marvel-Universum.



Joss Whedon läßt also endlich das Superhelden-Dream-Team Iron Man, Hulk, Captain America, Thor, Hawkeye und Black Widow zuerst aufeinander und dann auf den bösen Gott Loki los, der wunderbar klassisch die Menschheit unterjochen will, einfach weil es ihm Spaß macht. Wozu viel Ballast, wenn's auch einfach geht. Die Einzelabenteuer der jeweiligen Helden haben ihnen in den vier Jahren zuvor genug Backstory gegeben und die Charaktere ausreichend eingeführt. Jetzt kann Whedon diese Figuren, allesamt starke Egos, in einen Raum zusammensperren und zusehen, was dabei passiert. Als jemand, der schon immer sehr an Figurenzeichnung und Dialog interessiert war, läßt er sie mit sichtlichem Spaß aufeinanderprallen und sich kabbeln und streiten wie kleine Kinder, bis sie erst im letzten Drittel wirklich zu einem Team zusammenfinden. Obwohl THE AVENGERS mit einer dicken Actionsequenz beginnt, in der Loki (Tom Hiddleston) den Tesseract klaut und sich Hawkeye (Jeremy Renner) und Dr. Selvig (Stellan Skarsgard) gefügig macht, liegt der Fokus der nächsten Stunde auf, vor allem für einen Actionfilm, zahlreichen Dialogszenen – als könnte sich Whedon gar nicht satthören an seinen Helden. Bei allen coolen One-Linern und Wortgefechten wird THE AVENGERS aber nie redselig. Im Gegenteil: Alles ist wortgewandt, schlagfertig und vor allem komisch. Vieles davon bekommt man erst beim zweiten oder dritten Mal mit.

Iron Man und Captain America als Gefährten
Im selben Team und doch Rivalen: Iron Man Tony Stark (Robert Downey Jr., l.) und Captain America (Chris Evans).

Whedons Welt ist seine eigene, die sich nicht bemüht, viel mit der unsrigen zu tun zu haben (sich aber auch nicht wehren würde, wenn sie es tut). Es ist nicht Whedons Interesse, unbedingt an die Realität anzudocken, wie es etwa IRON MAN oder CAPTAIN AMERICA mit ihren Bezügen zum Militär und dem Krieg irgendwie tun. Er interessiert sich für die Geschichte, die Figuren und das Genre, und wie er damit kreativ umgehen kann. Er bleibt mit THE AVENGERS tief im Marvel-Universum und hat als Fanboy mit diesem Film eine riesengroße Spielwiese bekommen, auf der er sich austobt. Kein anderer der bisherigen Marvelfilme ist so zufrieden mit sich selbst beschäftigt wie THE AVENGERS.

Es hilft, daß Whedon, als Autor ohnehin immer geachtet, als Regisseur einiges seit seinem letzten Kinofilm SERENITY dazugelernt hat. Der steht in Sachen Geschichte, Figuren und Dialoge THE AVENGERS um nichts nach, aber gerade die Actionsequenzen wirken in SERENITY etwas hölzern. Man sieht dem Film Whedons Fernsehvergangenheit an. In THE AVENGERS inszeniert er jetzt entsprechend der großen Geschichte auch große Kinobilder, und die Actionszenen sitzen nicht nur, sondern sind bei allem kreativen Irrsinn, den er gerade in der Schlußsequenz abfackelt, immer klar nachvollziehbar und übersichtlich.

Scarlett Johansson als Black Widow
Da spendieren wir doch glatt ein Einzelbild: Black Widow (Scarlett Johansson).

Das Drehbuch zeigt sich von seinen Figuren zwar begeistert, aber nicht geblendet. Es war auch immer Whedons Merkmal, gerade die Schwächen seiner Charaktere herauszuarbeiten. Er tut das gerne, aber nicht ausschließlich, mit Humor, läßt sie alle Ziele von Witzen werden. So ist Iron Man (Robert Downey Jr.) zwar überheblich, selbstverliebt und souverän wie eh und je – aber zusätzlich wird Tony Stark endlich emotional berührt und berührend. Chris Evans schlägt sich als ernsthafter und altmodischer Captain America mit der ironischen Gegenwart herum und arbeitet sich vor allem am arroganten Tony ab. Er kriegt endlich den Stock in den Hintern, der seiner moralischen Überheblichkeit innewohnt. Thor (Chris Hemsworth) darf weiter schön theatralisches und deplaziertes Pathos verbreiten – mit ihm wurde ja in seinem Einzelabenteuer schon lockerer umgegangen als mit seinen Kollegen. Scarlett Johansson bekommt als Superspionin Black Widow mehr Raum als bei ihrem ersten Auftritt in IRON MAN 2 und dazu einen schönen Subplot mit Hawkeye (Jeremy Renner). Beide Figuren werden in sehr wenig Zeit sehr treffsicher und markant ausgefleischt.

Am interessantesten ist Mark Ruffalo als Bruce Banner alias Hulk – der dritte Schauspieler in neun Jahren, der das "große grüne Wutmonster" spielt, und für mich die schlüssigste Interpretation der Figur (ganz abgesehen davon, daß hier der Hulk auch am makellosesten animiert ist). Er spielt Bruce Banner als einen Mann, in dem es immer irgendwie brodelt, und der sich und andere schützt, indem er auf Abstand zu den Menschen geht. Hinter seinem sanften Auftreten ist er ein bis zur Feindseligkeit mißtrauischer, aber immer höflicher Mensch, der mit hellwachem Verstand hinter jedem einen eventuellen Verrat vermutet. Die Angst vor dem unkontrollierbaren Teil in ihm ist aber nur ein Aspekt. Banner ist weder ein schnell aufbrausender, unkontrollierbarer Choleriker noch ein verängstigtes Häufchen Unsicherheit, wie er noch in DER UNGLAUBLICHE HULK porträtiert wurde. Ihm ist von der Welt genug angetan worden, daß er den Hulk auch sehr selbstbewusst als Drohung einsetzt. Ruffalos Banner versteckt sich nicht nur, er läßt sich auch nichts gefallen. Erst als er beginnt, sich langsam mit dem "anderen Kerl" in ihm nicht nur zu arrangieren, sondern auch anzufreunden, vollzieht sich letztendlich die (für die Story auch notwendige) Wandlung hin zum Hulk, der sich unter Kontrolle hat. Hier ist zwar die Reihenfolge nicht ganz so optimal ausgearbeitet, aber zumindest sind die Motivationen der Figur klar dargelegt und emotional nachvollziehbar. Außerdem kann der Hulk beim Endkampf einfach nicht fehlen.

Thor und Captain America kämpfen Seite an Seite.
Seite an Seite: Thor (Chris Hemsworth, l.) und Captain America (Chris Evans).

Die größte Freude des Films ist für mich Tom Hiddleston als böser Loki. Wie schon erwähnt, bekommt Loki hier seinen Humor. Die süffisante Arroganz und diebische Freude am Unruhestiften machen ihn erst zur einer der eindrücklichsten und gern gesehensten Figuren in diesem Film-Universum. Loki wird hier einer dieser richtig tollen Bösewichte: charmant, unberechenbar, nie vertrauenswürdig und immer zu Unfug aufgelegt. Man sieht ihm gerne zu und freut sich immer, ihn zu sehen, weil man weiß, daß jetzt etwas passiert. Auf ihn ist Verlaß, wenn es darum geht, der Geschichte Gas und Feuer zu geben.

THE AVENGERS ist ein bunter Strauß voll Schabernack, ein Fanvehikel eines Fans. Er ist der bisher leichteste der ohnehin nie schweren Marvel-Filme. Das wird wohl zum Erfolg des Films beigetragen haben. Hier einige Superlative, die sich der Film anheften darf (Stand März 2018): die bisher erfolgreichste Comicverfilmung, einer von zwölf Filmen mit über einer Milliarde Dollar Einspielergebnis weltweit und fünfterfolgreichster Film aller Zeiten. Mit Ende ihrer Phase Eins hatten die Marvel Studios 3,8 Milliarden Doller eingespielt und keinen Flop gelandet. Spätestens jetzt hatten sie den Jackpot geknackt.

Hawkeye und der Hulk
Hawkeye (Jeremy Renner, in grau) und der Hulk (Mark Ruffalo, in grün).

Post-Credit: Interessanterweise hätte hier alles enden können. Die Erzählung läßt nichts zwingend offen. Die Welt ist gerettet, der Bösewicht Loki in Gewahrsam, der Tesseract in sicherer Verwahrung und die Avengers sind zu einem Team geworden, das im Guten auseinander geht, um bei Bedarf wieder zusammenkommen zu können und die Welt zu retten. Es wirkt, als hätten die Marvel Studios erstmal nur bis zu diesem Film geplant. Auch im schon früher zitierten Vanity-Fair-Artikel wird berichtet, Kevin Feige hätte erst auf der Promotour zu THE AVENGERS offenbart, daß er 15 weitere Filme in Planung habe und das komplette Marvel-Universum der Comics auf die Leinwand bringen wolle.

Post-Credit II: Der seit IRON MAN aufgebaute Agent Coulson (Clark Gregg) bekommt nun endlich seinen moment in the sun im emotional packendsten Moment des Films. Er ist seither auch Hauptfigur seiner eigenen Fernsehserie AGENTS OF S.H.I.E.L.D., die mittlerweile in der fünften Staffel läuft. Eine Erkenntnis der Phase Eins könnte auch sein: Kühe, die Milch geben, muß man melken. Sonst platzen sie.


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck 
THOR: Gott, Held oder Superheld?
CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER: Der altmodische Rächer
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie




The Avengers (USA 2012)
Regie: Joss Whedon
Buch: Joss Whedon & Zak Penn (Story), Joss Whedon (Drehbuch)
Kamera:  Seamus McGarvey
Musik: Alan Silvestri
Darsteller: Robert Downey Jr., Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Tom Hiddleston, Clark Gregg, Cobie Smulders, Stellan Skarsgard, Samuel L. Jackson, Gwyneth Paltrow

Alle Bilder (C) Marvel.

BAYWATCH: Von schönen Menschen und sonniger Zeitlupe

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Das neue BAYWATCH-Team

Ich habe die Serie BAYWATCH nie gesehen. Sicher, irgendwann muß ich einmal eine halbe bis ganze Folge erwischt haben – das ließ sich ja kaum vermeiden, nachdem die Show ganze elf Staffeln zusammenbrachte (neun in Kalifornien, zwei weitere auf Hawaii) und auch noch den Ableger BAYWATCH NIGHTS abwarf (nochmal zwei Staffeln). Ich weiß, daß es da viele formschöne Frauen in schicken Badeanzügen gab, die meistens in Zeitlupe den Strand entlangliefen. Ich weiß, daß Pamela Anderson, Carmen Electra und Nicole Eggert zu diesen Frauen gehörten (eine kürzlich erworbene Playboy-Sonderausgabe gibt gewissermaßen lexikalischen Überblick über die weibliche Besetzung). Ich weiß auch, daß David Hasselhoff den Bademeister spielte, aber weil er kein sprechendes Auto fuhr und auch nicht in seine Uhr geredet hat, interessierte mich seine neue Serie seinerzeit nicht allzu sehr. Ich war 12.

Die sechs Autoren, die im Vorspann zur Kinoversion von BAYWATCH genannt werden (sowie die ungenannten Script-Doktoren, die vermutlich ins Wasser gezerrt wurden), haben BAYWATCH gesehen. Das merkt man daran, daß gleich zu Beginn die hinreißende Blondine CJ über den Strand läuft, während die ebenso hinreißende Brünette Summer kommentiert: "Wieso sieht es immer so aus, als würde sie in Zeitlupe laufen?" Man merkt es auch daran, daß in einer Szene Kriminalfälle aufgezählt werden, mit denen sich die Rettungsschwimmer schon auseinandergesetzt haben, woraufhin eine Figur anmerkt: "Alles, worüber ihr hier redet, klingt nach einer sehr unterhaltsamen, aber ziemlich weit hergeholten TV-Serie". Und man merkt es daran, daß David Hasselhoff und Pamela Anderson Gastauftritte kriegen – obwohl ihre Figuren eigentlich von ganz anderen Leuten gespielt werden.

Kelly Rohrbach als Zeitlupen-Läuferin CJ Parker
Kelly Rohrbach sollte Model für Bademode werden.

Damit haben sich die augenzwinkernden Anspielungen auf die Tatsache, daß hier eine alte TV-Serie aufgefrischt ins Kino gehievt wird, aber auch schon wieder erledigt: Der BAYWATCH-Kinofilm ist keine Parodie, sondern eine Actionkomödie mit viel Sonne und ein paar Explosionen. Die tapferen Bademeister dürfen sich mit der Obergaunerin Victoria Leeds anlegen, die am Strand eine kriminelle Verschwörung mitsamt Drogen und Mord inszeniert – und weil die lokale Polizei die auftauchenden Leichen offenbar ganz alltäglich findet, müssen die Rettungsschwimmer eben auf eigene Faust nachforschen.

Dabei haben die schönen Strandgänger eigentlich schon ihre eigenen kleinen Probleme zu lösen: Oberaufseher Mitch Buchannon (Dwayne "The Rock" Johnson) muß sich mit dem respektlosen und aufschneiderischen Newcomer Matt Brody (Zac Efron) herumplagen, der seinen Job nicht allzu ernst nimmt. Der unscheinbare Rettungsschwimmeranwärter Ronnie (Jon Bass) ist entzückt von der liebreizenden CJ Parker (Kelly Rohrbach), aber weiß nicht, wie er an sie herankommen soll. Und die Badenixen Summer Quinn (Alexandra Daddario) und Stephanie Holden (Ilfenesh Hadera) haben … nunja, sicherlich auch irgendeinen Kummer, den ich aufgrund ihrer knappen Badeanzüge wohl einfach übersehen oder, noch schändlicher, wieder vergessen habe.

Priyanka Chopra als Obergangsterin Victoria Leeds
So schön und doch so böse: Obergangsterin Victoria Leeds (Priyanka Chopra).

Die Namen der Protagonisten sind identisch mit denen einiger Figuren, die durch die Serie liefen – aber das Wort "Figur" sollte man hier vielleicht nur in dem Kontext verwenden, welche selbige die Herren und Damen in ihrer Badekleidung machen. The Rock und Efron führen Muskelpakete an der frischen Luft spazieren, als würden sie selbst ihre Steuererklärung von der Pressbank aus machen. Von den Damen ist vor allem das Model Kelly Rohrbach gar lieblich: Sie ist so zuvorkommend, stets einen Ausschnitt bis zum Bauchnabel zu tragen, und wirkt dabei gleichzeitig so bodenständig und freundlich, daß sich jeder nervöse Jüngling trotzdem trauen würde, sie nach ihrer Telefonnummer zu fragen.

In seinen 121 Minuten Laufzeit durchlebt der durchaus amüsante Film die eine oder andere Identitätskrise. Manchmal wähnt man sich zum Beispiel in einer heiteren Achtziger-Sexkomödie wie SCREWBALLS: Als sich Ronnie einmal verschluckt, wendet CJ ganz hilfsbereit die Heimlich-Methode an, um ihm zu helfen – was ihm zwar das Leben rettet, aber auch andere Teile seiner Anatomie in Aufruhr bringt. Er wirft sich also vornüber auf eine Liege, um seine Erektion vor CJ zu verbergen – und klemmt sich dabei sein bestes Stück sehr schmerzhaft zwischen den Holzlatten ein. Dann setzt plötzlich der Ekelhumor ein, wenn sich unsere Rettungsschwimmer bei Nachforschungen in einem Leichenschauhaus in den Kühlzellen neben den toten Körpern verstecken müssen und Zac Efron dabei eine undefinierbare Flüssigkeit in den Mund tropft. Und irgendwann drohen die sechs Autoren sogar die Tatsache zu vergessen, daß sich niemand BAYWATCH wegen der Handlung angesehen hat.

Summer Quinn (Alexandra Daddario) und Matt Brody (Zac Efron)
"Worum ging es gleich wieder in der fünften Staffel von BAYWATCH?"

Aber als Freund diverser Strandkomödien ist man etwas Kummer ja gewohnt – und richtet den Blick ganz entspannt auf das Wesentliche. Hoffentlich muß ich jetzt keine elf Staffeln BAYWATCH schauen, um herauszufinden, was das ist.


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Baywatch (USA 2017)
Regie: Seth Gordon
Buch: Jay Scherick, David Ronn, Thomas Lennon & Robert Ben Garant (Story), Damian Shannon & Mark Swift (Drehbuch)
Kamera: Eric Steelberg
Musik: Christopher Lennertz
Darsteller: Dwayne Johnson, Zac Efron, Priyanka Chopra, Alexandra Daddario, Kelly Rohrbach, Ilfenesh Hadera, Jon Bass, Yahya Abdul-Mateen II, Hannibal Buress, David Hasselhoff, Pamela Anderson

Alle Bilder (C) Paramount.


IRON MAN 3: Der Tony Stark unter den Iron Men

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Robert Downey Jr. in IRON MAN 3

Unser Gastautor Dr. Wily dringt tiefer in das Marvel Cinematic Universe ein: Nach dem Ensemblefilm THE AVENGERS knöpft er sich als nächstes IRON MAN 3 vor, mit dem Marvel ihren zweiten großen Film-Block einläuteten.



Die Marvel Studios starten in ihre sogenannte Phase Zwei, die sich über sechs Filme bis zu ANT-MAN erstreckt, genauso wie in ihre Phase Eins mit einer Iron-Man-Geschichte. Doch seit THE AVENGERS hat sich einiges verändert.

Schon mit dem ersten Satz "We create our own demons" klingt Tony Stark (Robert Downey Jr.) ganz anders als der Mann, der in Teil 2 noch den Weltfrieden privatisiert hat. Die Überheblichkeit und Lässigkeit, für die ihn die vorigen Filme bewundert haben, fliegen ihm hier auf mehreren Ebenen um die Ohren. So tief ist Stark bisher nicht gefallen und fällt er auch nie wieder. Nach seinem kurzen Ausflug in eine andere Dimension und dem vermeintlichen Sturz in den Tod in THE AVENGERS leidet er unter heftigen Panikattacken. Im Laufe des Films werden sein Heim und sein Labor zerstört, er muß lange um seine Liebe Pepper Potts (Gwyneth Paltrow) bangen, und er verliert alle seine Iron-Man-Rüstungen - bis auf eine, und die funktioniert eigentlich nie so richtig. Tony muß hier also sehr lange ohne seine Metallschutzhülle auskommen, was auch bedeutet, daß Downey mehr zu tun bekommt als bisher und man mehr Mitgefühl mit dieser Figur herstellen kann. Wenn IRON MAN 1 und 2 Geschichten über Iron Man erzählt haben, erzählt IRON MAN 3 endlich eine Geschichte über Tony Stark.

Die Dämonen, die Tony hier kreiert, sind Maya Hansen (Rebecca Hall) und Aldrich Killian (Guy Pearce). Beide wollten mit ihm zusammenarbeiten, doch in seiner Arroganz ignoriert er den einen und begreift die andere nur als Mittel zur Bedürfnisbefriedigung. Was es mit den Menschen macht, die er nur als Erweiterung seiner Selbst wahrnimmt, kümmert ihn nicht, er denkt nicht einmal darüber nach. Durch Tonys Verhalten finden die beiden Abgelehnten zusammen, und Jahre später wendet sich diese Zusammenarbeit nun gegen ihn. Hier stellt sich zum ersten Mal ein neues Element ein, das die Figur Tony Stark über weitere Filme begleiten wird (und auch bei BLACK PANTHER auftaucht): Immer wieder muß sich Tony mit Bösewichten auseinandersetzen, die er durch seine Handlungen selbst erschaffen hat.

Pepper Potts und Aldrich Killian
"Bist du nicht der Typ, der sich alle paar Minuten an nichts mehr erinnert? Wie hieß der Film doch gleich?"

Manches an diesen Figurentwicklungen liegt wohl an Regisseur und Drehbuchautor Shane Black. Black hatte in den 1980er und 1990er Jahren zahlreiche Erfolge als Autor. Von ihm stammen THE LAST BOY SCOUT und LETHAL WEAPON sowie LAST ACTION HERO, der zwar kein Erfolg war, aber viele seiner erzählerischen Eigenheiten auf die Spitze treibt. Sein Genre ist also, je nach Schwerpunktsetzung, die Actionkömodie mit Krimielementen oder die Krimikomödie mit Actionelementen. Dazu gehört bei ihm auch immer ein Spiel mit Genrekonventionen. Shane Black läßt seine Heldenfiguren gern auflaufen oder zieht ihnen den Boden unter den Füßen weg. Bekannte Plotpoints steuert er immer wieder an, um sie dann konsequent nicht zu erfüllen und einen Witz daraus zu ziehen. Viele seiner Geschichten sind sehr lustig und fühlen sich smart und überraschend an - auch bei mehrmaligem Ansehen.

Er ist einer der wenigen, der bei Marvel hinter der Kamera stehen und dabei eine eigene Stimme haben durfte. Üblicherweise werden die Filme hier ja auf Produzentenebene geplant, Inszenierung und Look festgelegt. Der Regisseur ist hier als Autor so gut wie gar nicht gefragt. Mit Ausnahme von THOR - TAG DER ENTSCHEIDUNG gab es im weiteren Verlauf der Marvel-Reihe kaum einen Regisseur, der viel Raum für eigene Ideen bekam. Es dürfte vor allem zwei Gründe haben, daß Black die Franchise hier in die dritte Runde führen durfte: Zum einen scheint er ein guter Freund von Robert Downey Jr. zu sein, mit dem er 2005 KISS KISS BANG BANG gedreht hatte. Downey und sein Einfluß dürften Black bei Marvel ins Spiel gebracht haben. Außerdem hat Shane Black zwar eine eigene Erzählstimme, ist dabei aber sowohl nicht teuer als auch sehr gut mit dem Mainstreamanspruch der Marvel Studios vereinbar. Er ähnelt dabei ein wenig Joss Whedon. Look und Inszenierung sind glatt, glänzend und unbedingt blockbustertauglich, das Drehbuch dagegen offenbart einen eigenen Umgang mit den Figuren. Wie Whedon schüttelt Black Genre und Charaktere gerne ein wenig durch. Auch seine Welt ist vor allem eine Filmwelt, die nicht notwendigerweise an die Wirklichkeit andocken will.

Ben Kingsley als The Mandarin
Schluß mit passivem Widerstand: Bösewicht The Mandarin (Ben Kingsley).

So kommt es auch, daß diese Geschichte über den Terroristen The Mandarin (Ben Kingsley) und den Konzernboss Aldrich Killian zwar an der erzählten Oberfläche sehr real scheint, sich aber die ganze Zeit künstlich-spaßig anfühlt. Nicht zuletzt durch die verhältnismäßig frühe Offenbarung der Wahrheit um den Mandarin (eine weitere Entzauberung eines stereotypen Charakters). Für mich ist dieser Plot-Twist einer der gelungensten Gags der Marvel-Reihe. Einmal mehr ist also der wirkliche Böse ein größenwahnsinniger CEO, was mich einerseits zurück bringt zu Grant Morrisons Gedanken über unsere Gesellschaft, andererseits erinnert es an Lex Luthor vom Konkurrenten DC. Der CEO ist ein gern genommener Bösewicht, nicht erst in den letzten Jahren. Als allmächtiger Vertreter eines völlig entfesselten Systems, einer Welt, der mit keiner Macht und Kontrolle beizukommen ist außer der superheldischen - nämlich das Ganze einfach in die Luft zu jagen.

Ein anderer Effekt sind allerdings auch einige - nennen wir es: erzählerische Großzügigkeiten wie etwa der Umgang mit der körperlich veränderten Pepper Potts. Immerhin besteht die Gefahr, daß sie sich zum selben Monster entwickelt wie Killian. Aber das wird mit einem Satz Tonys geklärt, er kenne sich damit aus, habe das Problem schon vor Jahren im Rausch fast gelöst und werde ihr sicher helfen können. Vielleicht habe ich Tony so oft auf die Nase fallen sehen in diesem Film, daß ich ihm diese allmächtige Darstellung seiner Kompetenz gerne zugestehe. Oder es ist die mit sich selbst beschäftigte Künstlichkeit dieser Welt, die es mir völlig plausibel macht, daß dieses Problem einfach so weggeschnippt wird. Möglicherweise ist es auch nur cool, Pepper Potts im Iron-Man-Anzug zu sehen.

"Iron Man" Tony Stark und seine Pepper Potts
"Schatz, kannst du mir mal mit dem Reißverschluß helfen?"

Mit IRON MAN 3 endet auch eine gewisse Reise. Tony Stark und Iron Man werden in weiteren Filmen nur mehr als Teil eines Ensembles (AVENGERS: AGE OF ULTRON) oder als den Hauptprotagonisten unterstützende Nebenfigur auftauchen (SPIDERMAN: HOMECOMING). In CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR erfüllt er sogar beide Aspekte.

IRON MAN 3 ist mein liebster Iron-Man-Film, und er gehört auch zu meinen Marvel-Favoriten. Streifen wir doch hier kurz das Thema "Fortsetzungen" und fragen uns, wie ein Teil 3 um so viel interessanter und involvierender sein kann als die beiden Vorgänger. Nun, Teil 3 kann überhaupt nur existieren, weil es zwei Vorgänger gab. Die Geschichte über Tony kann hier nur deshalb so erzählt werden und funktioniert auf ihre Art hier auch nur deshalb, weil wir die Figur und Welt des Iron Man schon kennen. Damit spielt IRON MAN 3.

Post-Credits: Macht es eigentlich Sinn, daß Maya zu Tony geht und ihn mit einem Vorwand zu sich locken will, während ihre Kollegen Tonys Villa bombardieren und dabei riskieren, daß sie draufgeht? Entweder hat da wer das Memo nicht gekriegt, oder das Drehbuch hat geschlampt.

Post-Credits II: Wenn Tony einfach nur zum Arzt hätte gehen müssen, um sich das Schrapnell entfernen zu lassen, warum hat er das nicht gleich getan?


Dr. Wilys weitere Betrachtungen zum Marvel Cinematic Universe auf Wilsons Dachboden:
IRON MAN: Der gemachte Superheld
DER UNGLAUBLICHE HULK: Lustfeindlichkeit und schiefgegangene Experimente
IRON MAN 2: Größer, höher, weiter und mit Nachdruck 
THOR: Gott, Held oder Superheld?
CAPTAIN AMERICA – THE FIRST AVENGER: Der altmodische Rächer
THE AVENGERS: Ein bunter Strauß voll Schabernack
BLACK PANTHER: Eine repräsentative Utopie




Iron Man 3 (USA 2013)
Regie: Shane Black
Buch: Drew Pearce, Shane Black
Kamera: John Toll
Musik: Brian Tyler
Darsteller: Robert Downey Jr., Guy Pearce, Rebecca Hall, Gwyneth Paltrow, Jon Favreau, Paul Bettany, Ben Kingsley, Don Cheadle, William Sadler, Miguel Ferrer

Alle Bilder (C) Marvel.
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