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Lichtspielplatz #9 - GHOSTBUSTERS

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Es ist etwas faul in der Nachbarschaft - who you gonna listen to? Im neuen Lichtspielplatz-Podcast beschäftige ich mich zusammen mit Dr. Wily mit dem GHOSTBUSTERS-Remake von Paul Feig. Das betrachten wir zunächst mal ganz losgelöst von allem, was davor und rundherum passiert ist - und dann kümmern wir uns um Remake-Fragen, Ikonographie, Forderungen nach "Fandienst" und unsere kollektive Kindheit. Ach ja, und um den gruseligsten Geist überhaupt: Das Internet.

Viel Spaß!



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INSIDE DEEP THROAT: Die Geschichte einer Revolution

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"There is nothing to be ashamed of", sagt Regisseur Gerard Damiano an einer Stelle von INSIDE DEEP THROAT, der Dokumentation über seinen Pornoklassiker DEEP THROAT. Viele Menschen sahen das anders: Während der nur $25.000 teure Schmuddelstreifen angebliche $600 Millionen einspielte, den Porno-Chic der Siebziger auslöste und mithalf, Barrieren der Prüderie niederzureißen, standen die Sittenwächter Kopf und taten alles, um den, wie sie es sahen, Schmutz von den Leinwänden zu verbannen – und seine Macher gleich hinterher.

Damiano ist der erste, der hier freimütig gesteht, daß der Film nicht sehr gut sei. Einige Porno-Spielfilme wie Howard Ziehms MONA hatten die sexuelle Kinorevolution schon vorbereitet, aber DEEP THROAT war ihr Durchbruch: Mit einer hübsch absurden Geschichte über eine Frau, die feststellen muß, daß ihre Klitoris im Rachen sitzt und sie deshalb nur über Oralverkehr zum wahren Orgasmus kommen kann, bahnte sich der Film seinen Weg bis ins Feuilleton und sorgte dafür, daß zumindest für kurze Zeit explizite Ware schick war. Anstatt anonym ins Kino zu schleichen, interessierten sich da plötzlich Prominente wie Jack Nicholson oder Warren Beatty für diese aufregende Kinowelle.

DEEP-THROAT-Regisseur Gerard Damiano.

Das Regie-Paar Fenton Bailey und Randy Barbato zeichnet in INSIDE DEEP THROAT ein umfangreiches Porträt des Films, der gesellschaftlichen Umbrüche drumherum, der Aufregung und der Auswirkungen. Da kommt der Regisseur, der zuvor als Frisör zusammen mit seiner Frau einen Schönheitssalon betrieb, ebenso zu Wort wie Kollegen, Darsteller, Zeitzeugen und –genossen, Journalisten, Frauenrechtler und Staatsdiener. Unter den Interviewpartnern sind Autoren wie Norman Mailer, Filmschaffende wie Wes Craven und Persönlichkeiten wie Gore Vidal und Hugh Hefner.

An unglaublichen und wüsten Ereignissen ist die Geschichte von DEEP THROAT auch nicht gerade arm. Das Geld für den Film kam von zwielichtigen Geschäftsmännern, die vermutlich zur Mafia gehörten – und dem Regisseur offenbar unter Androhung von Gewalt seine Rechte am Film billig abkauften, als sich der Streifen als Hit entpuppte. Ein alter Vorführer redet im Interview darüber, wie die Gewinne damals von Drückern direkt in den Kinos abgeholt wurden, und wird von seiner im Hintergrund sitzenden Frau immer wieder zurechtgewiesen, er solle gefälligst vorsichtig sein mit dem, was er erzählt.

SCREAM-Regisseur Wes Craven erinnert sich an die frühe Pornoszene.

Die Obrigkeit unternahm derweil immense Anstrengungen, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. An einer Stelle der Doku heißt es, daß der Staat gewissermaßen die PR des Films übernommen hat: Nachdem der Film erfolgreich aus den New Yorker Kinos verbannt wurde, fuhren die Leute eben in andere Städte, um die verbotenen Bilder sehen zu können. In einem alten Interview auf offener Straße erklärt eine ältere Dame, daß ihr der Film gefallen habe: "I wanted to see a dirty picture, and that's what I saw. But I want the right to see that picture. I don't want somebody telling me that I can't see a dirty picture".

Die sexuelle Revolution war zu diesem Zeitpunkt schon längst losgetreten, überall wurden Pornos gedreht, ob legal oder nicht – und somit war der Kampf der Behörden gegen die Sexfilme natürlich ein kompletter Kampf gegen die Windmühlen. Was sie freilich nicht davon abgehalten hat, es mit Vehemenz zu versuchen: Eine von der Regierung Ende der Sechziger in Auftrag gegebene Studie, die zeigte, daß keine negativen Auswirkungen von Pornographie auf Erwachsene feststellbar sei, wurde flugs unter den Teppich gekehrt, um von selbiger Stelle aus ein Kommittee zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Moral ins Leben zu rufen. So süffisant wie beiläufig merkt der Film an, daß Präsident Richard Nixon, der da so um die Moral besorgt war, aus – nunja – nicht ganz moralischen Gründen nicht Präsident blieb.

Hauptdarsteller Harry Reems: "Did I belong in jail for five years for acting in DEEP THROAT?"

Irgendwann wurde sogar Hauptdarsteller Harry Reems vor Gericht gezerrt: Für die Mitwirkung an DEEP THROAT drohten ihm bis zu fünf Jahren Gefängnis. Man wollte ein Exempel statuieren und hoffte wohl, daß ein scharfes Urteil dafür sorgen würde, daß sich keine Darsteller für die Filme mehr finden ließen. Der Staatsanwalt, der die Anklage leitete, ist jedenfalls heute noch von DEEP THROAT traumatisiert: Er hat da Bilder gesehen, erklärt er im Interview, die er nicht mehr loswird. Man kann sich ernsthaft fragen, ob der Mann sein Leben lang nur bei gelöschtem Licht Sex hatte.

Und dann ist da noch Linda Lovelace, die Hauptdarstellerin des Films, die irgendwann ihre Pornokarriere an den Nagel hängte und sich stattdessen mit der Initiative "Women Against Pornography" zusammentat. Sie behauptete, ihr damaliger Ehemann Chuck Traynor habe sie zu allem gezwungen, und sie sei somit praktisch vor der Kamera vergewaltigt worden. Bailey und Barbato kehren Lovelace' Sicht der Dinge nicht unter den Teppich, aber scheinen auch – wie Damiano selber – der Ansicht zu sein, daß diese rückwirkende Ablehnung nicht mit dem zusammenpaßt, wie entspannt sie in alten Archivaufnahmen gezeigt wird, und auch nicht mit dem, was alle anderen über ihre begeisterte Teilnahme an dem Film erzählen. Immerhin machte sie einige Zeit später sogar wieder Nacktphotos, um mit ihrem berühmt gewordenen Namen Geld verdienen zu können.

Der einflußreiche New-York-Times-Artikel "Porno chic" von Ralph Blumenthal.

All diese Umstände haben aus DEEP THROAT weitaus mehr gemacht, als er eigentlich ist: Der kleine, augenzwinkernde Sexfilm wurde zur Legende, zum Emblem eines Umbruchs. Er repräsentierte alles, was – ganz nach Standpunkt, liberal oder konservativ – seine Zeit so aufregend oder so entsetzlich machte. Er war gleichzeitig Produkt und wichtiger Träger einer Revolution.

INSIDE DEEP THROAT verschweigt auch nicht, daß diese Revolution zumindest filmisch ihr Versprechen nicht eingelöst hat: Eine kurze Zeitlang glaubte man, Porno würde sich zur neuen Kunstform etablieren, Mainstream und Sex würden zusammenwachsen, die filmischen Möglichkeiten würden mit Filmen wie DEEP THROAT erweitert werden. Stattdessen trat das Gegenteil ein: Sexfilme hörten auf, für Cineasten interessant zu sein, und wurden zur Fließband-Industrie. Hochprofessionell und einfallslos, von Revolution keine Spur mehr.

Die moralische Entrüstung hat in den vielen Jahren seit DEEP THROAT freilich kaum abgenommen. Das prüde Amerika steht immer noch Kopf, sobald ein Kleidungsmalheur dafür sorgt, daß für ein paar Sekunden eine Brust auf den Fernsehschirmen zu sehen ist – und bevor wir uns im deutschen Sprachraum für unsere progressive Aufgeklärtheit allzusehr auf die Schultern klopfen, darf man sich gerne an die verlogene Entrüstung erinnern, die von einer gewissen Boulevardzeitung lanciert wurde, als herauskam, daß Schauspielerin Sibel Kekilli vor ihrem Durchbruch in GEGEN DIE WAND in einigen Pornos mitgespielt hatte. Die wichtigste Lektion von DEEP THROAT und der sexuellen Revolution muß also nach wie vor gelernt werden: There is nothing to be ashamed of.





Inside Deep Throat (USA 2005)
Regie: Fenton Bailey & Randy Barbato
Buch: Fenton Bailey & Randy Barbato
Kamera: David Kempner & Teodoro Maniaci
Musik: David Benjamin Steinberg
Darsteller: Gerard Damiano, Harry Reems, Hugh Hefner, Bill Maher, Norman Mailer, Gore Vidal, Wes Craven, Annie Sprinkle, Andrea True, Peter Bart, Carl Bernstein, Georgina Spelvin, John Waters, Dennis Hopper (Erzähler)

NATURAL BORN KILLERS: Schlangen in einer wahnsinnigen Welt

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"I've seen the future, brother: it is murder", grummelt Leonard Cohen zu sanften Klängen über den Abspann von NATURAL BORN KILLERS. Ja, in der Zukunft dieser Welt liegt Mord – und in seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart. Mord ist hier die Quintessenz des Lebens.

Auf einem dreiwöchigen Trip durch die Vereinigten Staaten hinterlassen Mickey und Mallory Knox 52 Leichen. Die beiden sind kein modernes Bonnie-und-Clyde-Pärchen, das dem aufregenden kriminellen Leben nachgeht, und sie sind nicht die großäugigen Teenager aus BADLANDS, die allegorisch ihren Generationenkonflikt austragen. Mickey und Mallory töten ziel- und wahllos, und sie werden zu Stars einer Gesellschaft, die genauso ist wie sie.

Mickey Knox, der Dämon (Woody Harrelson).

Quentin Tarantino schrieb diese Geschichte, die Oliver Stone dann – sehr zu Tarantinos Mißfallen – zur wüsten Provokation und grellen Satire umgestaltete. In den Händen von Stone wird NATURAL BORN KILLERS ein amerikanischer Albtraum, ein wütender filmischer Amoklauf, der keine Gefangenen macht und so unsubtil in seinen Mitteln ist, daß man schon wieder genau hinsehen muß, um die Gedanken dahinter aufgreifen zu können.

Stone treibt die Ästhetik, die er seit THE DOORS entwickelt hatte, hier auf die fiebrige Spitze: VHS-Look gegen Zelluloid, 35mm gegen Super-8, schwarz-weiß, grelle Farben, aufblitzende Bilder von blutgetränkten Fratzen, flimmernde Cartoon-Bilder, künstliche Rückprojekten – hier passiert alles gleichzeitig, und man ist gezwungen, tief in den Irrsinn der beiden Protagonisten einzutauchen. Immerhin sind sie unsere perversen Helden in dieser wahnsinnnigen Welt.

Mallory Knox (Juliette Lewis).

In der ersten Filmhälfte begleiten wir die beiden auf ihrem mörderischen Trip, bis sie dann von der Polizei gefangengenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt sind sie schon Medienstars – Teenager tragen Shirts mit der Aufschrift "Murder Me Mickey", eine japanische Reporterin berichtet während einer Schießerei mit der Polizei aufgeregt, wie männlich Mickey ist. In der zweiten Hälfte sitzen sie im Gefängnis, wo ein hysterischer TV-Reporter ein Live-Interview mit Mickey zum Superbowl-Sonntag führt – und damit ohne Absicht die Insassen zu einer Revolte anführt, die in einem unkontrollierbaren Massaker endet.

Es ist leicht, NATURAL BORN KILLERS als scharfe Mediensatire zu lesen, als Anklage einer Welt, in der Gewalt und Grausamkeiten für Einschaltquoten und Auflagensteigerung genutzt werden. Der Film haut auch mit Wonne in diese Kerbe: Da filmt der TV-Journalist Mickeys und Mallorys Flucht lieber, als sie zu verhindern, da wird das beklemmende Interview mit dem Serienkiller von den süßen Eisbären der Coca-Cola-Werbung unterbrochen, und in einer Show namens "American Maniacs" werden die schönsten Morde von Mickey und Mallory in Slow-Motion nachgestellt. Der Film bräuchte das Bild von Charles Manson gar nicht zu zeigen, um an die Faszination rund um den irren Sektenführer zu erinnern.

Das Killerpaar nach vollbrachter Arbeit.
Aber Stone hört bei den Medien nicht auf. In NATURAL BORN KILLERS ist die gesamte Welt krank, gefangen in einem endlosen Rausch der Gewalt. Mallorys Vater ist ein brutaler Prolet, der sie offenbar sexuell mißbraucht – ihre Geschichte wird als Sitcom aus der Hölle gezeigt, den Drecksvater spielt Stand-Up-Komiker Rodney Dangerfield, und wenn er sie bedroht, lacht das Publikum. Mickeys Hintergrund ist kaum besser: ein gewalttätiger Vater, der sich irgendwann vor den Augen des Jungen erschießt.

Sie sind ebenso in die Gewalt hineingeboren wie der Cop Scagnetti, der die beiden jagt: Er erzählt irgendwann, daß seine Mutter von Charles Whitman erschossen wurde, dem (tatsächlich existierenden) Todesschützen, der in 1966 an der Universität von Texas von einem Turm aus wahllos auf Menschen zielte. Scagnetti ist beinahe wie ein Schatten von Mickey und wäre offenbar gerne er: In einem Motel erwürgt er eine Prostituierte, im Gefängnis bietet er sich Mallory als Liebhaber an.

Polizist Scagnetti (Tom Sizemore, links) und Gefängnisdirektor McCluskey (Tommy Lee Jones).

Auch TV-Reporter Wayne Gale wird zum Täter – während des Aufstands schnappt er sich eine Pistole, schießt auf Wachposten und jubelt erregt, sich endlich lebendig zu fühlen. Gefängnisdirektor McCluskey ist ein sadistischer Machtmensch, der einen Plan ausheckt, wie Mickey und Mallory beseitigt können. Jeder hier kann Mickey oder Mallory sein – weshalb die wahnsinnige Machart des Films auch bestehen bleibt, wenn sich Szenen um andere Personen drehen. Und, nachdem schon Charles Whitman erwähnt wurde: Wir sehen Bilder von Manson und O.J. Simpson, im Motelfenster hinter Mickey flimmern Aufnahmen von Hitler, Stalin und dem Vietnamkrieg. Die einzige Wirklichkeit hier ist die menschliche Gewalt.

Es scheint – abgesehen vom eifrigen Zorn von Regisseur Oliver Stone selber – in der Welt von NATURAL BORN KILLERS kaum ein Korrektiv zu diesem Wahnsinn zu geben. Nur eine Figur taucht auf, die eine vage Aussicht auf Heilung verspricht: Ein alter Indianer, der einen Dämon in Mickey und Mallory erkennt und ihn auszutreiben versucht. Er muß es mit dem Leben bezahlen.

"Can't get rid of your shadow, can you, Wayne?"
Interessanterweise ist dieser Mord offenbar der einzige, der bei Mickey und Mallory Gefühle auslöst. Mickey reut es, daß er den Indianer erschossen hat, Mallory wirft es ihm sogar vor. Vielleicht repräsentiert der Indianer das Schicksal, über das die beiden manchmal reden – er spricht davon, daß er den Dämon einst schon gesehen hat und immer auf seine Rückkehr gewartet hat. Möglicherweise steht er aber auch für etwas Ursprüngliches, das verlorengegangen ist. Immerhin ist, wenn Mickey im Interview von dem Schatten redet, den man nicht loswird, im Bildausschnitt die amerikanische Flagge zu sehen.

Auf jeden Fall bestimmt eine Geschichte, die der Indianer erzählt, das Handeln und Schicksal aller Figuren. Sie dreht sich um eine Frau, die eine verwundete Schlange mit nach Hause nimmt und gesundpflegt – nur, um von ihr tödlich gebissen zu werden. "Warum hast du das getan?", will sie von der Schlange wissen. "Du hast gewußt, daß ich eine Schlange bin", lautet die Antwort.

Sensationsreporter Wayne Gale (Robert Downey Jr.) läßt sich von den Gewaltausbrüchen mitreißen.

Nicht nur auf den Indianer, der Mickey helfen will und dafür stirbt, paßt diese Geschichte. Immerhin besteht der Ehering des Killerpaares aus zwei verkeilten Schlangen: Auch Wayne Gale ist überrascht, daß er, nachdem er den beiden beim Gefängnisausbruch geholfen hat, sterben soll – ebenso wie Scagnetti, der sich mit der Mörderin Mallory einläßt und genau das kriegt, was er verdient. Letztlich sind die ganzen Systeme, die hier gezeigt werden – die sensationsgeile Medienwelt, das sadistisch geführte Gefängnis, im Prinzip das ganze Land – genau diese Schlange, die wir nähren und die uns irgendwann beißen wird.

"When they said 'repent, repent', I wonder what they meant", brummt Leonard Cohen am Schluß. NATURAL BORN KILLERS ist Oliver Stones ohnmächtigster Film.


Mehr Oliver Stone auf Wilsons Dachboden:
WALL STREET (1987)




Natural Born Killers (USA 1994)
Regie: Oliver Stone
Buch: Quentin Tarantino (Story), David Veloz, Richard Rutowski, Oliver Stone
Musik: Brent Lewis
Kamera: Robert Richardson
Darsteller: Woody Harrelson, Juliette Lewis, Robert Downey Jr., Tom Sizemore, Tommy Lee Jones, Rodney Dangerfield, Edie McClurg, Evan Handler, Balthazar Getty, Pruitt Taylor Vince, Steven Wright, Joe Grifasi, Arliss Howard

WADD: THE LIFE & TIMES OF JOHN C. HOLMES: Der tiefe Fall eines verlorenen Pornostars

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Wenn Mark Wahlberg als Dirk Diggler in BOOGIE NIGHTS, Paul Thomas Andersons schwelgerischem Porträt der Porno-Ära, die Hosen öffnet, ist die Welt um ihn herum baff über seine üppige Ausstattung. Es gibt ein konkretes Vorbild für diese Figur: Pornodarsteller John C. Holmes, den die Branche wegen seines 33 Zentimeter langen Penis' mit offenen Armen empfing. Er drehte ab Ende der Sechziger weit über 1000 Filme und wurde in einer Zeit zum Superstar, als die explizite Schmuddelware ihre Hochphase erlebte. Später stürzte er in die Drogenabhängigkeit und wurde kriminell, bis er 1988 an AIDS starb.

Der 1999 veröffentlichte Dokumentarfilm WADD – THE LIFE & TIMES OF JOHN C. HOLMES zeichnet die ausschweifende Karriere und das wilde Leben von Holmes nach. Benannt wurde der Film nach seiner wohl populärsten Figur: dem Privatdetektiv Johnny Wadd, den Holmes ab dem gleichnamigen Streifen aus dem Jahr 1971 in zahllosen Filmen spielte – eine Art Porno-Krimiserie, die Sex mit einer Sam-Spade-ähnlichen Hauptfigur und einigen Actionszenen verband.

Von der braven Existenz ...

Mit der Jugend von John Holmes hält sich die Doku nicht allzu lange auf, aber es dürfte keine sehr erfreuliche gewesen sein: Stiefvater Edward war ein manisch-depressiver Alkoholiker, die Familie zog mehrfach um, der spätere Stiefvater Harold vernachlässigte Holmes und seine Geschwister. Mit 16 meldete sich John Holmes freiwillig zur Armee. Mit 21 heiratete er die junge Krankenschwester Sharon Gebenini und schlug sich eine Zeitlang als Stapelfahrer durch, bis er plötzlich die Eingebung hatte, Pornos drehen zu wollen.

Eine ganze Zeitlang zeichnet WADD den Aufstieg von Holmes nach, zeigt einige (nicht explizite) Ausschnitte aus seinen Filmen und läßt diverse Weggefährten zu Wort kommen, die vor allem sein Prachtstück kommentieren – das hin und wieder auch ins Bild kommt. Kollege Richard Pacheco erklärt amüsiert, wie sich in der Arbeit mit Holmes die Damen in drei Lager spalteten: Die einen kamen ins Paradies, die nächsten sahen eher wie bei einer Untersuchung aus, bei der sie sich ständig fragten, ob es bald wehtun würde – und die letzte Gruppe verzog einfach nur qualvoll das Gesicht. "They were magical to watch, no matter what happened", grinst Pacheco.

... zum Pornostar.
Holmes soll sehr freundlich und zuvorkommend zu den Damen gewesen sein, meinen die meisten Weggefährten, und auch einige Frauen bestätigen, daß Holmes eigentlich ein herzensguter Junge war. Aber schon hier zeichnen sich Brüche im Porträt ab: Eine Darstellerin berichtet, daß er ein grobes Arschloch war, und Ex-Frau Sharon war verständlicherweise auch wenig begeistert über Holmes' neue Karriere. Sie versuchte sich mit der Situation zu arrangieren, aber machte sich dabei innerlich so krank, daß sie ihm irgendwann erklärte, daß sie körperlich nichts mehr mit ihm zu tun haben will: "I'll do your laundry, I'll be your mother, I'll be your confessor, I'll be your sister, I'll be your friend, but I don't want to be physically associated with this."

Holmes erfand Geschichten über sich, die er offenbar irgendwann selber glaubte. Er erzählte in Interviews von einem Universitätsabschluß und stellte die Behauptung auf, mit 14.000 Frauen geschlafen zu haben (was rein rechnerisch eher stressig ausfallen dürfte). Als er von der Sittenpolizei verhaftet wurde, machte er einen Deal, daß er freikommt, wenn er dafür als Informant andere Pornofilmer verpfeifen würde. Er wurde kokainabhängig und – im wahrsten Sinne des Wortes – verpulverte so sein komplettes Vermögen. Irgendwann kam er aus Geldnot mit zwielichtigen Gestalten in Kontakt, für die er als Drogenkurier arbeitete. Durch diese Verbindungen zur Unterwelt wurde Holmes 1981 in einen brutalen vierfachen Mordfall verwickelt – diese düstere Episode seines Lebens wurde 2003 in James Cox' Gangsterdrama WONDERLAND aufgerollt.

Ein Bericht über den Wonderland-Fall.

Die Abgründe fangen aber erst an: Während dieser Zeit war Holmes mit der jungen Dawn Schiller liiert, die er kennengelernt hatte, als sie 15 war. Der damals 32-Jährige verführte das Mädchen in monatelanger Werbung und drängte sie dann in eine Abhängigkeitsbeziehung – und gleich mit in die Drogensucht. Er schlug sie und prostituierte sie sogar irgendwann, um an Geld zu kommen. Erst nach fünf Jahren konnte sie sich von ihm lösen: Sie meldete ihn bei der Polizei, vor der er sich in Zusammenhang mit den erwähnten Morden seit Monaten mit ihr zusammen auf der Flucht befand.

Und auch da endet die schlimme Geschichte noch nicht. Holmes wurde freigesprochen und schaffte ein Comeback in der Pornobranche. Er lernte 1982 bei einem Dreh die junge Kollegin Misty Dawn kennen, mit der er eine Beziehung begann. 1986 wurde Holmes aber als HIV-positiv diagnostiziert – und weil er damit in Amerika nicht mehr arbeiten konnte, nahm er ein Angebot aus Italien an und drehte dort trotz seiner Krankheit noch weitere Filme. Glücklicherweise steckte er niemanden an.

Pornodarstellerin Misty Dawn wurde Holmes' zweite Frau.
Was ein reißerisches Abtauchen in die Untiefen der Pornoindustrie hätte werden können, wird bei Regisseur Cass Paley zu einem durchaus differenzierten Porträt. Seine größte Bank ist wohl, daß er sowohl Holmes' erste Frau Sharon als auch Dawn Schiller interviewen konnte. Beide berichten eindringlich und, soweit man das beurteilen kann, aufrichtig – und obwohl beide im Dunkeln sitzen und ihre Gesichter nicht richtig erkennbar sind, ist doch eine gewisse Traurigkeit in ihren Erzählungen spürbar.

Überhaupt schwingt diese Wehmut bei vielen Gesprächspartnern mit, ob bei Holmes' Familie oder seinem Manager Bill Amerson: Egal, wie tief Holmes sank und wie verwerflich seine Handlungen wurden, sein Umfeld hatte offenbar das Gefühl, auch den Mensch hinter dem Monster gekannt zu haben. Vielleicht glaubten sie auch, ihn nach all den schlimmen Geschehnissen gewissermaßen zurückholen zu können.

WADD – THE LIFE & TIMES OF JOHN C: HOLMES erzählt die tragische Geschichte eines Menschen, der glaubt, der Welt nur einen einzigen Wert anbieten zu können: einen langen Penis. Seine Fans hat ihn dafür gefeiert. Er selbst dürfte sich kaum gemocht haben.





Wadd: The Life & Times of John C. Holmes (USA 1999)
Regie: Cass Paley
Buch: Rodger Jacobs
Kamera: Willie Boudevin
Musik: Brad Raylius Daniel, Tad Dery
Darsteller: Bill Amerson, Paul Thomas Anderson, Ron Jeremy, Bob Chinn, Misty Dawn, Larry Flynt, Al Goldstein, Annette Haven, Sharon Holmes, Dawn Schiller, John Leslie, Sharon Mitchell, Kitten Natividad, Richard Pacheco, Bob Vosse, Kenneth Turan, Cicciolina

Die Doku ist als Bonus bei der Doppel-DVD-Edition von WONDERLAND enthalten.
Alle Screenshots stammen von der deutschen DVD (C) 2005 Paramount Pictures.

Lichtspielplatz #10 - FREITAG, DER 13.

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In der zehnten Folge unseres "Lichtspielplatz"-Podcasts kümmern wir uns um einen wahren Horrorklassiker: Sean S. Cunninghams FREITAG, DER 13. aus dem Jahr 1980. Dr. Wily und ich betrachten den Film von unterschiedlichen Blickpunkten aus: Wie funktioniert die Inszenierung? Was hebt ihn von ähnlichen Horrorfilmen ab? Was kam davor, was kam danach? Was hat es mit der "Schuld und Sühne"-Thematik auf sich, die kurz darauf zum Slasher-Klischee wurde? Und warum spielt Horror so oft mit Regeln und Regelbrüchen?



Der Podcast kann HIER als mp3-File heruntergeladen werden.
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Viel Spaß!

SHAFT: Ein schwarzer Held erobert das weiße Actionkino

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Die Kamera schwebt über dem Times Square und taucht dann in die Straßen ein, beobachtet das Treiben auf der 42nd Street mit ihren zahlreichen Kinos – manche bewerben Filme wie den Burt-Lancaster-Western MIT EISERNEN FÄUSTEN, andere zeigen Sexstreifen wie HE AND SHE. Auf dem Soundtrack zischen plötzlich Hi-Hats einen unnachgiebigen Funk-Rhythmus, Wah-Wah-Gitarren treiben schnalzend das Tempo voran – und dann steigt ein schwarzer Mann mit braunem Ledermantel und beigem Rollkragenpullover die Stufen einer U-Bahn-Station empor. Die Kamera wechselt in eine Untersicht und zeigt sein ernstes Gesicht als Heldenporträt. Es ist die Geburt von John Shaft, der das Actionkino an sich reißen wird.









SHAFT war 1971 der Film, der das schwarze Kino zur Sensation machte. Ossie Davis und Melvin van Peebles hatten zuvor den Grundstein gelegt, ersterer mit der Cop-Komödie WENN ES NACHT WIRD IN MANHATTAN, letzterer mit dem kontroversen Actiondrama SWEET SWEETBACKS LIED. Beide zeigten, daß es ein Publikum gab für Filme von und mit Schwarzen, und daß die sich die so klassisch mit Weißen besetzten Erzählmuster mit Witz, Wut und jeder Menge Energie zu Eigen machen würden. Nicht umsonst übertrumpft SHAFT in seinem Trailer die ehrwürdigen weißen Kollegen: "Hotter than Bond, cooler than Bullitt."

John Shaft ist ein harter Privatdetektiv in der Tradition von Sam Spade, der als Einzelgänger nach seinem eigenen Kodex lebt. Der schwarze Gangsterboss Bumpy Jonas heuert ihn an, seine entführte Tochter zu finden, und damit gerät Shaft in den Krieg zwischen einer Gang aus Harlem und der italienischen Mafia, die das Terrain für sich haben will. Gemeinsam mit dem Revoluzzer Ben Buford, einem alten Bekannten von ihm, stellt er eine kleine Privatarmee zusammen, um Bumpys Tochter aus den Händen der Mafiosi zu befreien.

Gangsterboss Bumpy Jones (Moses Gunn, Mitte) heuert Ben Buford (Christopher St. John, links)
und Shaft (Richard Roundtree) an, um seine Tochter zurückzuholen.
Regisseur Gordon Parks, der als Photograph mit seinen Dokumentationen des Lebens der schwarzen Bevölkerung Amerikas bekannt wurde, nutzt den Krimiplot beinahe als Fortführung dieses Ansatzes: Er sieht dorthin, wo das Hollywood-Kino sonst nie einen Blick riskierte. Er zeigt die Straßen der wenig glamourösen Viertel, die heruntergekommenen Häuser, die einfachen Läden. Über eine lange Montage, in der Shaft sich durch die Nachbarschaft nach dem Aufenthaltsort von Buford fragt, singt Isaac Hayes: "Any kind of job is hard to find / That means an increase in the welfare line / The crime rate is rising, too, but / If you are hungry, what would you do?"

Und doch ist der Tonfall hier keinesfalls resigniert – ganz im Gegenteil. Shaft ist wie eine Ikone des schwarzen Selbstbewußtseins; jede Begegnung mit ihm ist eine Konfrontation, in der er sich die Oberhand erkämpft. Ob ihn weiße Polizisten befragen wollen oder ihm ein schwarzer Gangsterboss droht, Shaft lässt sich nie einschüchtern und verweist sein Gegenüber auf seinen Platz. Wenn ihm der Kommissar anschafft: "Have a chair, John", setzt Shaft sich demonstrativ auf den Schreibtisch: "I don't like your chair". Ganze Legionen von Hip-Hoppern könnten sich von John Shaft abschauen, wie man den harten Platzhirsch von der Straße mimt, ohne je in plumpe Proll-Posen zu verfallen.

Shaft (Richard Roundtree) und seine Eroberung Linda (Margaret Warncke).

Am provokativsten zeigt sich dieses neue schwarze Selbstbewußtsein in einer Sequenz, in der Shaft in einer Bar von einer weißen Frau erspäht wird, die offensichtlich Gefallen an ihm findet. In der nächsten Szene ist die Frau schon bei ihm zuhause und legt sich auf sein Bett. Die Beiläufigkeit, mit der diese Eroberung stattfindet, dürfte die Empörung seinerzeit noch gesteigert haben – immerhin reden wir von einer Zeit, in der die Rassentrennungsgesetze erst sieben Jahre zuvor abgeschafft wurden, und in der das Bild eines schwarzen Mannes mit einer weißen Frau somit immer noch gewaltige Sprengkraft besaß. Daß Shaft im Film gleich mehrere Freundinnen hat, mag man dabei übrigens als Macho-Phantasie werten, aber eigentlich ist das nur eine Fortführung des Prinzips, mit dem SHAFT sich der Muster weißer Kinohelden bemächtigt: Wenn James Bond zahlreiche Frauen erobern kann, kann ein Mann wie John Shaft erst recht mehrere Ladies in Warteposition haben.

Das Spannende an SHAFT ist nicht die Handlung, und es ist nicht einmal die Action, die immer wieder hervorbricht. Es ist alles darunter, davor, danach, dazwischen, was den Film so aufregend macht. Und wenn man genau hinsieht, merkt man, dass diese schwarze Eroberung des weißen Kinos an genau diesen Trennlinien und Schubladen gar nicht interessiert ist: In einer Szene hält der Polizeichef einen schwarzen Stift neben Shafts Gesicht und meint: "You ain't so black." Der hält umgekehrt seine weiße Kaffeetasse zum Vergleich hoch und kontert: "And you ain't so white either, baby."

"You ain't so black" ...

... "And you ain't so white either, baby."

Mehr SHAFT auf Wilsons Dachboden:
LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN: Mehr Shaft, weniger Shaft






Shaft (USA 1971)
Regie: Gordon Parks
Buch: Ernest Tidyman, John D.F. Black
Kamera: Urs Furrer
Musik: Isaac Hayes
Darsteller: Richard Roundtree, Moses Gunn, Charles Cioffi, Christopher St. John, Gwenn Mitchell, Sherri Brewer, Drew Bundini Brown

LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN: Mehr Shaft, weniger Shaft

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"You liked it before, so he's back with more", tönt es vom Plakat: Ein Spruch, mit dem sich so ziemlich jede Fortsetzung selbstbewußt ankündigen könnte (abgesehen vielleicht von HALLOWEEN III). Nachdem SHAFT 1971 bei nur $500.000 Produktionskosten $13 Millionen einspielen konnte und mit Isaac Hayes' Titelsong einen wegweisenden Nummer-Eins-Hit abwarf, mußte schnell eine Fortsetzung her. Wie praktisch, daß sich die Hauptfigur John Shaft gleich sowohl als Privatdetektiv im klassischen Roman-Serienstil als auch als Bond-ähnlicher Superheld vorgestellt hatte: So einen Mann kann man problemlos immer wieder in neue Fälle und Abenteuer stürzen. Und so startete schon im Juni 1972 mit SHAFT'S BIG SCORE! (bei uns LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN) eine Fortsetzung, die "back with more" ist und doch weniger bietet.

Wieder gerät Shaft ins Kreuzfeuer zweier rivalisierender Banden: Ein Freund von Shaft, der eine praktische Verbindung aus Bestattungsunternehmen und Versicherungsgesellschaft führt, wird von seinem Geschäftspartner John Kelly umgebracht. Der spielsüchtige Mörder schuldet dem Gangsterboss Mascola Geld und wollte ihn mit dem von der Firma erwirtschafteten Geld ausbezahlen, aber das wurde in weiser Voraussicht versteckt. Weil Kelly versucht, das Geld stattdessen vom rivalisierenden Gangsterboss Bumpy Jonas zu holen und ihm dafür ebenso wie Mascola die Hälfte der Firma versprochen hat, treten nun mehrere Parteien auf den Plan, die allesamt bereit sind, für das Geld über Leichen zu gehen.

Kelly (Wally Taylor, links) macht einen Deal mit Gangster Mascola (Joseph Mascolo) ...

Man merkt LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN den Erfolg seines Vorgängers an: Der Film ist weit aufwendiger gestaltet als noch der erste SHAFT. Die Breitleinwand-Bilder sind stimmungsvoll ausgeleuchtet, die Kamera gleitet sorgfältiger durch die Szenen – und die Actionsequenzen wurden immens aufgerüstet. Schon im ersten Teil trat Shaft als schwarzer Über-Bond auf, was Haltung und Lässigkeit anging, aber die Geschehnisse blieben bodenständig und mit roher Direktheit inszeniert. Das Budget erlaubte nicht viel, die Action spielte sich nur in kurzen Ausbrüchen auf beengtem Raum ab. Diesmal dagegen wird Shaft mit spektakulärem Finale zum tatsächlichen Bond, der sich quer durch die Stadt eine wilde Autoverfolgungsjagd und eine Hetzjagd mit zwei Männern in einem Helikopter liefert.

Als Eskapismus funktioniert der Film somit weit geschmeidiger als der erste Teil – vor allem die letzten zwanzig Minuten bieten mitreißenden Thrill. Aber auch sonst findet Regisseur Gordon Parks immer wieder Gelegenheit, sein Photographengespür spielen zu lassen – sei es bei einer Schießerei auf einem schneebedeckten Friedhof oder in einer Kneipe, wo Shaft zusammengeschlagen wird, während zwei kostümierte Frauen hypnotisch tanzen. Auch Richard Roundtree geht erneut in der Hauptrolle auf und liefert mit jedem Blick eine kraftvolle Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber.

... und einen zweiten mit dem rivalisierenden Gangster Bumpy Jonas (Moses Gunn, links, mit Drew Bundini Brown).

Aber bei allem, was hier mehr aufgefahren wird, fallen doch alle anderen Aspekte des Erstlings komplett beiseite. In SHAFT nutzte Parks den nicht immens packenden Plot dafür, soziale Wirklichkeiten anklingen zu lassen, Eindrücke von den Reibungen zwischen Schwarz und Weiß zu zeigen, und ein Territorium zu erobern, auf dem Schwarze zuvor nur als Nebenfiguren agierten. In LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN ist von all dem nichts mehr zu spüren. Das Subversive des ersten Films ist hier schon dem reinen Oberflächenspektakel gewichen.

Dem fällt vor allem die realistische Erdung der Figuren zum Opfer. Shaft wird nicht mehr wie Sam Spade im spartanisch eingerichteten Büro aufgesucht, sondern gleich aus dem Bett geklingelt, wo er sich gerade wie Bond mit einer Schönheit vergnügt. Der fast durchgehend in Brauntönen gehaltene raue Straßen-Look des Vorgängers ist einer farbenfroheren Hochglanz-Version gewichen. Auch die leisen Zwischentöne sind Vergangenheit: In SHAFT durfte beispielsweise der skrupellose Gangsterboss Bumpy Jonas noch eine menschliche Seite zeigen, als er sich ganz ernsthaft um seine Tochter sorgte: "I can always get more money. I only got one baby." (Der Satz funktioniert als Spiegel zum weit zynischeren Sam-Spade-Vorbild DIE SPUR DES FALKEN, wo der Gauner Gutman seinen Ziehsohn für die wertvolle Falkenstatue verrät: "If you lose a son, it's possible to get another. There's only one Maltese Falcon.") In LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN existiert Bumpy nur noch für den Plot. Das betrifft sogar John Shaft selber: Im ersten Film gab er noch einem Jungen auf der Straße Geld für Essen, aber hier entfällt durch das Ausklammern der realistischen Welt auch jede Möglichkeit, zu zeigen, wie er zu dieser steht.

Kuscheliger als ein schnödes Büro: Shaft (Richard Roundtree) nimmt seinen neuen Auftrag im Bett an.

Immerhin kann man die pure Existenz der Figur John Shaft im Jahr 1972 noch als politisches Zeichen werten. "Ghetto kids were coming downtown to see their hero, Shaft, and here was a black man on the screen they didn't have to be ashamed of", erzählte Gordon Parks 1972 im Interview mit Roger Ebert. "We need movies about the history of our people, yes, but we need heroic fantasies about our people, too. We all need a little James Bond now and then." Interessanterweise waren diese schwarzen Bond-Phantasien so erfolgreich und sprachen mit ihrem immensen Selbstbewußtsein den Zeitgeist so stark an, daß der "echte" Bond im darauffolgenden Jahr mit LEBEN UND STERBEN LASSEN selber nach Harlem kam und dort in ein schwarz geprägtes Abenteuer stolperte.

So gesehen sind SHAFT und LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN zwei Seiten derselben Münze: Beide präsentieren ihren selbstbewußten schwarzen Helden als Statement einer Gesellschaft im Umbruch. Der erste Teil setzt ihn in eine realistische Umgebung und lässt ihn dort anecken, im zweiten ist er eine Selbstverständlichkeit – weil es eigentlich keine Frage sein sollte, welche Hautfarbe er überhaupt hat. Vielleicht mußte er gerade deswegen 1972 in einer von der tristen Wirklichkeit befreiten Filmwelt leben.


Mehr SHAFT auf Wilsons Dachboden:
SHAFT: Ein schwarzer Held erobert das weiße Actionkino





Liebesgrüße aus Pistolen (USA 1972)
Originaltitel: Shaft's Big Score!
Regie: Gordon Parks
Buch: Ernest Tidyman
Kamera: Urs Furrer
Musik: Gordon Parks
Darsteller: Richard Roundtree, Moses Gunn, Drew Bundini Brown, Joseph Mascolo, Kathy Imrie, Wally Taylor, Julius W. Harris, Rosalind Miles

SHAFT IN AFRIKA: Ein schwarzer Bond beendet die Sklaverei

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"Wait a minute", schraubt John Shaft an einer Stelle von SHAFT IN AFRIKA die Erwartungen seines Gegenübers herunter. "Now, I'm not James Bond. Simply Sam Spade." Man muß diese Tiefstapelei als Ironie werten: Im dritten SHAFT-Film ist von dem Privatdetektiv Spade in der Hauptfigur nichts mehr übrig, stattdessen wird ein vollwertiges Bond-Abenteuer geboten – komplett mit Oberschurke, exotischer Kulisse, ausgefallenen Nebenfiguren und aufregender Cartoon-Gewalt.

Schon der zweite SHAFT-Film ließ den Realismus des ersten hinter sich, spielte aber immer noch vor einer Kulisse heimischer Gangstermachenschaften: Drogen, Glücksspiel, Geld. In SHAFT IN AFRIKA, diesmal nicht mehr von Photograph Gordon Parks, sondern vom britischen Regisseur John Guillermin inszeniert, begnügt sich Shaft aber nicht damit, zwischen rivalisierenden Banden einen kühlen Kopf zu bewahren – nein, er darf gleich einen internationalen Ring von Sklavenhändlern ausheben, der Schwarze von Afrika nach Paris bringt und sie dort zu Niedrigstlöhnen schuften läßt. Shaft wird von einer Bande in New York entführt, die ihm eröffnet, daß er in Afrika als Undercover-Agent eingeschleust werden und dabei helfen soll, die Drahtzieher hinter dem menschenverachtenden Geschäft zur Strecke zu bringen. Damit stellt sich Shaft einer Mission, in der alles überlebensgroß ist – inklusive einem turmgroßen Handlanger des Auftragsgebers, der mit Vorliebe die Türen so eintritt, daß sie komplett aus den Angeln fliegen.

Überhaupt ist hier alles so auffällig und übertrieben, daß man immer wieder an die bunten Seiten einer atemlosen Comic-Erzählung denken muß. Schon zu Beginn wird Shaft mit Betäubungspfeilen außer Gefecht gesetzt und wacht nackt in einem mit Sand gefüllten Raum auf, der durch Lampen unmenschlich erhitzt wird. Per Sprechanlage wird ihm angekündigt, daß er hier acht Stunden lang marschieren soll – aber der clevere Shaft deckt sich stattdessen mit dem Sand zu, damit er keinen Hitzeschlag erleidet. Der Sprecher lobt ihn für seinen Einfallsreichtum – und erklärt ihm daraufhin, daß es nur ein Test gewesen sei, um herauszufinden, ob er für die schwierige Aufgabe, für die er vorgesehen ist, überhaupt geeignet ist.

Drahtzieher Amafi (Frank Finlay) und seine Gespielin Jazar (Neda Arneric).

In diesem Tonfall geht es weiter: Shaft kriegt als einzige Waffe einen Stecken – der aber innen eine kleine Kamera versteckt hat. Am Flughafen von Paris wird er von einem als Putzfrau verkleideten Attentäter angegriffen. Sein Kontaktmann in Afrika ist ein Mann, bei dem man sich auf offener Straße mit einem lebendigen Löwen photographieren lassen kann. Und ganz zum Schluß darf das Hauptquartier des Schurken Amafi gesprengt werden.

Der ist, ganz nach Bond-Tradition, ein hochkultivierter Mann – und gleichzeitig dezent pervers bzw. sexuell beeinträchtigt. Seine Gespielin ist eine blonde junge Frau, die sich beim Anblick der arbeitenden schwarzen Sklaven erregt über den Körper streicht, was ihn fasziniert. Später sagt er über sie: "I don't love this young lady. I don't even particularly like her. But she's the only person in the world I've ever found who can get it up for me." Dem steht der männlich-virile Held Shaft gegenüber, der die Frauen mit seiner Liebeskraft sogar von törichten Vorhaben abbringen kann.

Shaft (Richard Roundtree) hat Zeit für ein paar schöne Stunden mit seiner Assistentin (Vonetta McGee) ...

Vom Kollegen Bond stammt auch der flapsige Witz. In den vorigen Teilen gab Shaft schon gerne seinem Gegenüber dumme Antworten, die aber mehr Provokation und Machtkampf waren als tatsächliche Pointen. Diesmal darf er dem Geschehen von vorne bis hinten mit Schnodderschnauze begegnen: Auf die Frage seines Auftraggebers, wo er gelernt hat, mit dem Stock zu kämpfen, antwortet Shaft: "Conducting the New York Philharmonic." Als ihm eine Frau eröffnet, daß er ihr erster richtig guter Liebhaber war, meint er: "Fantastic, baby. Write my Congressman later." Und als ihm in Afrika eine Prostituierte ihre Brüste unter die Nase hält, kommentiert Shaft: "No wonder they call Africa the mother country."

Es ist bemerkenswert, wie sehr Shaft hier nach allen Regeln des Bond-Films inszeniert wird – vor allem, nachdem Bond im selben Jahr mit LEBEN UND STERBEN LASSEN auf das Terrain kam, das SHAFT mitbegründet hatte: Das schwarze Kino war mittlerweile ein so erfolgreicher Trend, daß sich eine Mainstream-Filmreihe daran orientierte. Umgekehrt war Shafts Bond-ähnliche Qualität schon im ersten SHAFT vorhanden – definitiv im Hinblick auf seine Männlichkeit und sein Selbstbewußtsein.

... und für die durchtriebene Jazar (Neda Arneric).

SHAFT IN AFRIKA ist wie schon sein Vorgänger hauptsächlich als abwechslungsreiches Vergnügen zu sehen, das mit dem sozialen Realismus des ersten Films nicht mehr viel am Hut hat. Dennoch gibt sich der Film in manchen Momenten tatsächlich wieder etwas politischer als LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN: Daß Shaft ins "Ursprungsland" Afrika reist, um dort sinnbildlich die Sklaverei zu beenden, hat durchaus etwas mit dem Auftrag dieser schwarzen Kinobewegung zu tun. In einer eindringlichen Szene stellt Shaft einen französischen Polizisten wütend zur Rede, daß die Bequemlichkeit der Gesellschaft solche Ausbeutung mit ermöglicht: "Why don't you really clamp down on the slave trade? I'll tell you why. Because the black ghettos of Paris is as far away from the Champs Elysees as 125th Street is from Park Avenue! You need a bunch of poor bastards to work on your roads and your god damn kitchens!" Und zum Schluß wird SHAFT IN AFRIKA zur symbolischen Rachephantasie, als die befreiten Sklaven über den skrupellosen Amafi herfallen und ihn in einem Brunnen ertränken. Es ist wie auf den Kopf gestellte Lynchjustiz.

Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, daß der Film die in Afrika weit verbreitete Praxis der weiblichen Genitalbeschneidung kritisiert: Die Shaft zur Seite gestellte Assistentin kündigt an, daß ihr diese Prozedur bald bevorsteht – und sie sieht dem durchaus positiv entgegen, weil es eben ein altes Ritual sei. Erst, nachdem Shaft sie verführt hat, kommt sie von dem Vorhaben ab. Daß es einen potenten Mann braucht, um diesen Sinneswandel einzuläuten, ist natürlich ebenso ganz im Sinne des Bond-Musters und sollte daher nicht überbewertet werden – interessant ist, daß hier überhaupt davon gesprochen und damit Bewußtsein geschaffen wird, nachdem die Praxis meist unter den Teppich gekehrt wird.

Leider konnte SHAFT IN AFRIKA seine Produktionskosten im Gegensatz zu den Vorgängern nicht wieder einstellen, weshalb die Figur ins günstigere Fernsehen geschickt wurde: Von Oktober 1973 bis Februar 1974 löste John Shaft in einer TV-Reihe sieben 90-Minuten-Fälle, die aber viel handzahmer als die Kino-Trilogie gestaltet war. Erst im Jahr 2000 tauchte er wieder auf, um das Heldenzepter an seinen von Samuel L. Jackson gespielten Neffen zu übergeben – und angesichts der Wandlungen, die die Reihe bis dahin durchgemacht hatte, ist es wohl keine Überraschung, daß man sich schon in den Vorbereitungen über Tonfall und Inhalt uneinig war …


Mehr SHAFT auf Wilsons Dachboden:
SHAFT: Ein schwarzer Held erobert das weiße Actionkino
LIEBESGRÜSSE AUS PISTOLEN: Mehr Shaft, weniger Shaft





Shaft in Afrika (USA 1973)
Originaltitel: Shaft in Africa
Regie: John Guillermin
Buch: Stirling Silliphant
Kamera: Marcel Grignon
Musik: Johnny Pate
Darsteller: Richard Roundtree, Frank Finlay, Vonetta McGee, Neda Arneric, Jacques Herlin

MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND: Ein Stand-Up-Programm für Hillary Clinton

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In zwei Wochen stehen in den Vereinigten Staaten von Amerika die Präsidentschaftswahlen an, und sie werden wahrscheinlich in die Geschichte eingehen: 2016 ist das Jahr, in dem der Wahlkampf zur Farce wurde, in dem sämtliche Grenzen des Anstands aufgehoben wurden. Es ist das Jahr, in dem sich erschreckend deutlich zeigt, daß es im politischen Wettstreit nicht um Inhalte und Werte geht, sondern nur um marktschreierische Popularität. Es ist das Jahr eines Wahlkampfs, in dem die niedersten Instinkte im Wähler angesprochen werden, und er wird angeführt von einem Demagogen, der mit demokratischen Mitteln in eine Position kommen möchte, wo er die Demokratie aushebeln kann – und zum ersten Mal seit vielen, vielen Jahren finden sich genug Menschen, die das offenbar wollen.

"A lot of people say that Trump is a clown", meint eine Frau zu Beginn von Michael Moores neuem Film MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND. "He won't be when he's president." Es klingt wie eine Drohung. Ein Clown ist Donald Trump wahrlich nicht, auch wenn er sich selber vielleicht als Hofnarr sieht, der alles sagen darf, weil er vorgibt, gar nicht zum System zu gehören. Stattdessen ist er ein gefährlicher Agitator, ein Brandstifter, der nur Schlechtes provoziert und hervorbringt. Eigentlich ist es kleinkrämerisch, Donald Trump dezidiert Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder brutalsten Sozialdarwinismus vorzuwerfen, auch wenn er all das und mehr erfüllt: Er ist schlichtweg Menschenfeind. Bei ihm gewinnt keiner.

Michael Moore erzählt von der jungen Hillary Clinton.

Vielleicht hält sich Moore aus diesem Grund auch nicht lange mit der Person Trump auf – trotz des Titels des Films, den er noch im Oktober ganz überraschend präsentierte, um Einfluß auf die Wahlen ausüben zu können. Schon einmal hatte Moore probiert, während eines Wahlkampfs filmische Aufklärungsarbeit zu leisten: Mit seiner Doku FAHRENHEIT 9/11 wollte er 2004 die Wiederwahl von George W. Bush verhindern. Er hätte auf die Goldene Palme von Cannes, die er dafür erhielt, sicherlich liebend gerne verzichtet, wenn er dieses Ziel erreicht hätte.

Wer wieder eine explosive Demontage im Stil dieses Filmessays erwartet, wird bei MICHAEL MOORE IN TRUMPLAND jedenfalls enttäuscht. Das "TrumpLand", in dem sich Moore hier befindet, ist Ohio – ein Bundesstaat, in dem die Wähler mehrheitlich hinter Trump stehen. Hier trat er an zwei Abenden im Oktober mit einer Mischung aus Stand-Up-Comedy und Agit-Prop-Programm auf, die er nur elf Tage später als eine Art Konzertfilm präsentiert.

Die explizite Einladung an alle, die Trump wählen wollen.

"Trump Voters Welcome", hieß es auf der Ankündigung, und einige von ihnen haben sich auch ins Publikum getraut. Mit grimmigen Mienen und verschränkten Armen sitzen sie da, ernste weiße Männer, die ganz offensichtlich das Schlimmste erwarten. Dabei versucht Moore schon von Beginn an, dem antagonistischen Prinzip des Wahlkampfs gegenzuwirken und Brücken zu schlagen: "We're all Americans", erklärt er, "regardless of who we're voting for."

Moore verfolgt in seinem Auftritt ein paar interessante Strategien. Zunächst outet er sich selber: Er war selber nie für Hillary Clinton, auch Bill hat er nie gewählt. Dann bietet er dem Publikum einen Dialog an: Sie sollen ihm sagen, was sie an Clinton stört – und fängt gleich selber an, seine Probleme mit ihr aufzulisten. Dann relativiert er die Kritikpunkte, um sie etwas in Relation zu setzen – er selber habe zum Beispiel ein Problem damit, daß Clinton für den Irakkrieg gestimmt habe, aber räumt ein, daß sie das mittlerweile als größten Fehler ihres Lebens bezeichnet.

Nicht alle Zuschauer sind Moore-Fans.

Als nächstes probiert er eine umgekehrte Strategie: Die Zuschauer sollen etwas Nettes über Clinton sagen, weil man über jeden irgendetwas Nettes sagen kann ("except Hitler and Matt Lauer"). Wieder macht er den Anfang: Er listet ein paar positive Gedanken zu George W. Bush auf – zum Beispiel, daß der offenbar die Aidshilfe für Afrika ordentlich ankurbeln konnte.

Mit der Zeit wird der lockere Tonfall ernster, und Moores Äußerungen werden deutlicher. Er berichtet davon, wie Hillary Clinton schon in den Neunzigern das Gesundheitswesen Amerikas verbessern und ein vernünftiges Krankenversicherungsprogramm einführen wollte, aber an der Borniertheit ihrer Kollegen scheiterte. Moore verweist auf seinen Film SICKO und erklärt, daß jedes Jahr 50.000 Amerikaner sterben, weil sie keine oder eine nur unzureichnende Krankenversicherung haben. Er rechnet das auf die seitdem verstrichenen 20 Jahre auf und beklagt den Verlust von einer Million Menschenleben. Im Publikum wird es sehr still.

Der Albtraum der Republikaner: Hillary Clinton kommt persönlich, um euch die geliebten Waffen wegzunehmen!

Zum Schluß darf Moore seine Zuseher noch einmal zum Schmunzeln bringen, als er verkündet, daß er, sollte Clinton ihre Wahlversprechen nicht halten, 2020 selber kandidieren werde – und dann beispielsweise statt Nordkorea Monsanto als neuen Staatsfeind einführen würde. Schelm und gewitzter Redner, der er ist, schafft er es auch hier, politische Statements abzuliefern.

Ob Moores Bitte, selbst als Clinton-Gegner zum Wohle der Allgemeinheit für sie zu stimmen, Früchte tragen wird, wird sich zeigen – zu hoffen ist es jedenfalls. Der wichtigste politische Inhalt des Films liegt dabei aber gar nicht in der Aufklärungsarbeit um Hillarys Meriten – vielmehr ist es der Ansatz, den Menschen mit Humor zu begegnen und trotzdem dabei in einen Dialog über wichtige und ernste Themen zu kommen. Das Lachen über den Politzirkus tut dem Publikum sichtlich gut – vor allem in einem so aufgeladenen Klima, in dem sonst nur noch geschrien und gedroht wird. Lachen verbindet. Schade, daß die Politik das so selten schafft.




Michael Moore in TrumpLand (USA 2016)
Regie: Michael Moore
Buch: Michael Moore
Kamera: Jim Zunt
Darsteller: Michael Moore

Der Film ist im iTunes-Store erhältlich: HIER. Die Screenshots wurden dieser Version entnommen.

MIAMI COPS: Cops, Dealer und Doppelgänger

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"San Francisco ist die Hölle!", steht auf dem Cover der deutschen VHS-Veröffentlichung – was nicht weiter bemerkenswert wäre, würde der Film nicht MIAMI COPS heißen und offenbar in Detroit spielen. Die heute so gern beklagte Homogenisierung des urbanen Lebens begann offenbar schon 1989.

Beim vorliegenden Film handelt es sich nicht um die beinahe gleichnamige Terence-Hill-und-Bud-Spencer-Komödie DIE MIAMI COPS, die unoriginellerweise in der richtigen Stadt spielte. Stattdessen betrachten wir ein italienisches Action-Sparschwein, das sich dezent an MIAMI VICE (aha!) ankuschelt: Ein weißer und ein schwarzer Polizist, ein Drogenschmuggler, ein rotes Sakko, ein cremiges Saxophon. Oder zwei.

Die Story dreht sich um den eifrigen jungen Polizisten Delaware, dessen Vater vor ein paar Jahren bei einem Einsatz ermordet wurde. Um ihn zu rächen, fängt er fünf Jahre später in derselben Abteilung an, wo ihm der erfahrene Cop Gamble zur Seite gestellt wird. In der großen Tradition sämtlicher Polizeifilme wettert Gamble, daß er lieber alleine arbeitet, und begrüßt seinen neuen Partner mit Verachtung.

Nur wenig später sind die beiden aber dem großen Drogen-Zampano auf den Fersen. Ihre Welt ist zum Glück eine, in der ständig finstere Schurken auf den Plan treten, die selbst im Falle des Ablebens einen Hinweis auf die nächste Station ihrer Heroinschnitzeljagd hinterlassen. Im Zweifelsfall darf der erfahrene Gamble sein detektivisches Können unter Beweis stellen: Nach einer Schießerei am Hafen prangt ein riesiges Loch im Metallfaß neben ihm. "Öl", vermutet Delaware und will sich schon gelangweilt abwenden. Aber Gamble kommen die vielen Jahre Polizeidienst sichtlich zu Gute: Aus dem Loch fließt nämlich gar kein Öl, grübelt er. Er greift hinein und findet ein Päckchen Heroin. Man kann die Anzahl der Orden, die er in seiner Schreibtischschublade horten dürfte, kaum erahnen.

Vor allem zwei Szenen verdienen besondere Erwähnung. In der ersten fahren Gamble und Delaware zu einem Nachtclub, wo sie sich Undercover einschleusen wollen, um zum Chef zu gelangen, der offenbar in den Drogenhandel verwickelt ist. Sie fahren also zu besagtem Etablissement, steigen aus und debattieren vor dem Club, wer denn nun Undercover hineingehen soll. Der eifrige Delaware will unbedingt aktiv werden, aber Gamble kann ihn zurückhalten. Dank des gelben Sakkos, das er sich flugs überzieht, und einer Zigarette im Halter dürfte ihn sicherlich niemand als Polizist erkennen.

Leider passiert innen genau das – was die Ganoven Gamble erst zu verstehen geben, nachdem sie ihn in die Chefetage gebracht haben. Der nervöse Chef im schicken Karo-Sakko kündet mit Waffe in der Hand an, dass Gamble jetzt verspielt habe. Dann beschimpft er Gamble: "Du kleiner mieser Wixer, fahr zur Hölle". Zur Veranschaulichung fügt er noch an: "Die Fahrkarte halte ich hier in der Hand". Zum Glück kommt in dem Moment Delaware reingeschneit und erschießt die bösen Buben, bevor die irgendwann dazu übergehen könnten, kurzen Prozeß zu machen. Es darf übrigens festgehalten werden, daß Delaware gar nicht Undercover herumläuft und trotzdem in den Club gekommen ist.

Der erfahrene Cop Gamble (Richard Roundtree) ...

Die andere Sequenz zeigt unsere Helden im privaten Alltag und könnte vielleicht dem einen oder anderen Single unter meinen Lesern wertvolle Hinweise geben. Delaware bemerkt im Park eine schöne blonde Frau, als er gerade mit Gamble zusammen dessen Hund ausführt. "Guck dir das an, ist die nicht süß? Was meinst du dazu?", flüstert Delaware seinem Partner zu. "Was soll ich tun? Sag mal!", will er wissen. Offenbar ist er weit jünger, als er aussieht.

"Mit der richtigen Anmache und dem richtigen Deo wird sie dir gehören", prophezeit Gamble. Sein Tipp, daß Delaware einfach hingehen und "Hallo" sagen sollte, stößt aber auf Ablehnung, weshalb er plötzlich laut von Aktienpapieren redet, damit die Lady zuhören und von Delaware beeindruckt sein kann. Gamble trollt sich, und Delaware kann nun mit gestärktem Selbstbewusstsein zu der Dame hingehen, die gerade einen großen Plan studiert, und sie ansprechen. Der Dialog sei hier zum Zwecke des Studiums vollständig festgehalten:

DELAWARE: Hallo! Sie müssen neu in der Stadt sein!
FRAU: Wie kommen Sie denn darauf?
DELAWARE: Ist das nicht ein Touristenführer?
FRAU: Nein. Dies hier ist eine Karte der alten etruskischen Thermalbäder.
DELAWARE: Wissen Sie, was ein Archäologe zum anderen sagt?
FRAU: Nein, was?
DELAWARE: "Na, du alter Knochen?"
FRAU: Oh Mann …
DELAWARE: Wieso sind Archäologen schlechte Geschäftsleute?
FRAU: Ich weiß es nicht. Wieso?
DELAWARE: Sie bringen dich in den Ruin.
FRAU: Haben alle Bullen so einen einfältigen Sinn für Humor?
DELAWARE: Woher weißt du, daß ich einer bin?
FRAU: Ich habe Augen.
DELAWARE: Und sehr schöne. (hält ihr die Hand hin) Hi, ich bin Robert.
FRAU: (schüttelt seine Hand) Nett, dich kennenzulernen, Robert. Ich bin Helen.
DELAWARE: Willst du was trinken?
FRAU: Gerne. Gute Idee.

Nachdem die beiden im Café ein wenig über etruskische Thermalbäder parliert haben, geht Delaware zum nächsten Schritt seines geschickten Flirts über:

DELAWARE: Kann ich dich für heute Abend einladen? Meine Absichten sind harmlos. Ich möchte nur sehen, ob du im Dunkeln leuchtest.
HELEN: Was ist, wenn ich "nein" sage?
DELAWARE: Dann werd' ich nach Hause gehen, mach den Fernseher an, mach 'ne Dose Bier auf, und dann bring ich mich um.
HELEN: Du gehst ganz schön ran.
DELAWARE: Man muß Heu machen, wenn die Sonne scheint.

Zu weiteren Säuseleien kommt es allerdings nicht, weil Delaware von Gamble auch prompt wieder zum Einsatz geholt wird. Dennoch wird er Helen im Laufe des Films noch ein paar Mal sehen: Ganz zufällig läuft sie ihm immer wieder über den Weg, unter anderem auf dem Weg nach Ischia, wo der Drogendealer sitzt, der einst Delawares Vater erschoß.

Obwohl auf Ischia einst Jack Lemmon das schöne Leben zu genießen lernte und sich mit Juliet Mills nackt ins Meer warf, ist Delaware und Helen kein ähnliches Glück beschieden: Wie sich völlig überraschenderweise herausstellt, arbeitet Helen für den Schurken und verrät Delaware im entscheidenden Moment. Welch ausgetüftelter Plan: Während die niederen Knallchargen vergebens versuchen, Gamble und Delaware schon in Miami/Detroit aus dem Weg zu räumen, stellt Helen sicher, daß die beiden unbescholten nach Ischia kommen, damit sie dort beseitigt werden können. Funktioniert hat der Plan wohl hauptsächlich, weil sie zur richtigen Zeit im richtigen Park saß und Delaware rechtzeitig zwei Archäologenwitze eingefallen sind.

... und sein junger, ungestümer Partner Delaware (Harrison Muller).

Ich gestehe: Filme wie MIAMI COPS üben eine eigentümliche Faszination auf mich aus. Sie sind wie Echos unserer Popkultur, anonyme Fragmente aus einem Pool filmischer Bausteine, so kunstlos und kühl aneinandergebaut, daß sie wie gesichtslose Doppelgänger durch unsere Erinnerungen geistern: Hier ist alles und nichts vertraut. Die Tatsache, daß ein bekannter Darsteller wie SHAFT-Star Richard Roundtree die Hauptrolle spielt, vergrößert nur das Gefühl, den Schatten so vieler besserer, ausgeformterer Filme zu sehen.

Letztlich ist auch die im Film gezeigte Welt wie ein merkwürdiges Spiegelbild: Sie sieht aus wie unsere, aber da vermischen sich Miami und Detroit zu einem grauen Un-Ort, da funktionieren Figuren nur über das, was wir aus anderen Filmen mitgebracht haben, jedes Verhalten ist unnatürlich. Und darüber schwebt der Synth-Score, tuckert und hämmert, so künstlich falsch wie diese ganze Filmwelt, in der die Polizeiarbeit nur daraus besteht, jeden Tag aufs Neue übles Gesocks zu stellen und aus dem Verkehr zu ziehen.


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Ein ERDBEBEN erschüttert Los Angeles, aber nicht Charlton Heston
STARTUP






Miami Cops (Italien 1989)
Regie: "Al Bradley" (= Alfonso Brescia)
Buch: Roberto Leoni
Kamera: Luigi Ciccarese
Musik: Carlo Maria Cordio
Darsteller: Richard Roundtree, Michael J. Aronin, Harrison Muller, Dawn Baker

JOCKS: Eine College-Sportkomödie mit Doppelfehler

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"Director Steve Carver initially turned this film down because he didn't care for the script", heißt es lapidar in der Trivia-Sektion der IMDB – wie gehabt ohne jegliche Angabe einer Quelle oder eines Kontexts. Nicht, daß man diesem Informationshäppchen angesichts des öden Resultats nicht sofort Glauben schenken würde, aber die wichtigste Frage bleibt doch ganz und gar unbeantwortet: Was genau hat ihn umgestimmt? Und wie hoffnungslos muß JOCKS vorher gewirkt haben?

Als Mischung aus College-Komödie und Sportfilm dreht sich JOCKS um die Tennismannschaft am Los Angeles College, die eigentlich einen sportlichen Siegeszug nach dem anderen feiern könnte – wenn die Jungs nicht lieber das feucht-fröhliche Nachtleben genießen würden. Da hilft es natürlich nicht, daß das nächste Turnier in Las Vegas stattfinden soll, wo die Teammitglieder sich von zahlreichen Verlockungen ablenken lassen. Außerdem überlegt Schuldirektor White, die Gelder für die unrühmliche Mannschaft zu streichen, weshalb der unfähige Football-Coach Bettlebom hinter unseren Tennisspielern her ist, um sie wegen etwaigen Verfehlungen verpetzen und das Budget somit für seine eigene Mannschaft einstreichen zu können …

Chip Williams (Richard Roundtree) paßt als gutmütiger Coach auf seine Jungs auf.

Wenn je ein Film "Videothekenfüller" geschrien hat, dann wohl JOCKS: Der Film (offenbar 1984 gedreht, aber erst 1986 veröffentlicht) macht von vorne bis hinten den Eindruck, als wäre sein Ziel hauptsächlich, einen leeren Platz im Regal zu füllen. Das beginnt schon bei den bleiernen Tennisszenen, bei denen der Film stets nur zwischen zwei frontalen Einstellungen wechselt – man sieht Spieler 1 den Ball schlagen, dann Spieler 2, und so geht es minutenlang dahin, ohne daß je ein Gespür für eine Spieldynamik oder gar Taktiken und Fähigkeiten aufkommt. Liegt es daran, dass bei der Low-Budget-Produktion keine Möglichkeit für eine spannendere Spielinszenierung vorhanden war, oder konnte einfach keiner der Darsteller glaubwürdig Tennis spielen?

Das alleine wäre freilich gar nicht schlimm, wenn diese Komödie sonst etwas bieten würde – Lacher zum Beispiel. Auch hier fühlt man sich eher in der großen Wüste außerhalb von Las Vegas zurückgelassen: Da wird schon hin und wieder ein Gag eingestreut, manchmal sagt jemand einen Spruch – aber über weite Strecken strengt sich der Film nicht einmal an, komisch zu sein, sondern verläßt sich ganz und gar (und absolut irrtümlich) darauf, daß die lautstarken Partylöwen und der alberne Football-Coach durch ihre pure Existenz schon so lustig sind, daß man meilenweit mit ihnen gehen würde.

Christopher Lee und R.G. Armstrong haben gerade das Skript gelesen.

Wie lahm und faul hier alles zusammengefilmt ist, zeigt sich schon daran, wie jeder aufgesetzte Handlungsfaden ins selige Nichts führt: Da will der verantwortungslose Anführer des Teams, "The Kid" genannt, seinem braven Kumpel Jeff den Scheck für die Studiengebühren abluchsen, um das Geld in Vegas zu verdreifachen. Der ist skeptisch, aber irgendwann gibt er leicht angeheitert nach. Was passiert? Unser Held gewinnt viel Geld, beide sind zufrieden. Schnarch.

Das Prinzip zieht sich bis zum Schluß durch. Bettlebom feuert, als er die Ausschweifungen der Jungs mitkriegt, den netten Tenniscoach der Mannschaft – und es wird nie aufgelöst, ob das rückgängig gemacht wird oder nicht. Die gegnerische Mannschaft will ihren Sieg sicherstellen, schließt deshalb im Namen von "The Kid" eine verbotene Wette auf den Ausgang des Endspiels ab – und droht, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, wenn er nicht freiwillig verliert. Was macht "The Kid"? Er entscheidet sich, trotzdem zu kämpfen, und gewinnt das Spiel – woraufhin seine Gegner ihren Erpressungsversuch offenbar vergessen haben, weil er gar nicht mehr zum Tragen kommt.

Es gibt ein paar Dinge, die mehr Spaß machen als Tennis.

Bliebe noch die Möglichkeit, daß JOCKS als Anarcho-Vergnügen mit den üblichen Teeniefilm-Ausschweifungen punkten könnte – aber auch hier herrscht Fehlanzeige. Über weite Strecken bleibt der Film brav, jeder Flirt mit dem schlechten Geschmack macht einen schnellen Rückzieher: Eine Szene beispielsweise, in der unser Team von der gegnerischen Mannschaft in eine Rockerkneipe gelockt wird, endet damit, daß ein paar maskuline Lesben unsere Jungs bedrohen – und mit einem Feuerlöscher niedergesprüht werden. Sehr spät schiebt Carver noch eine "Strip-Würfel"-Partie ein und holt damit halbherzig ein paar nackte Frauen nach, die im Genre sonst viel prominenter auftauchen.

Bemerkenswert ist allein die Besetzung der Nebenrollen. "R.G. Armstrong, Richard Roundtree, and Christopher Lee all acted in this film as a favor for director Steve Carver", heißt es da wieder in der IMDB. Man glaubt es sofort – immerhin hatte alle drei schon zuvor mit Carver gedreht: Peckinpah-Veteran Armstrong war unter anderem 1983 in seinem Chuck-Norris-Film McQUADE – DER WOLF, während "Dracula" Christopher Lee und "Shaft" Richard Roundtree 1981 (ebenfalls neben Norris) in DER GIGANT gespielt hatten. Wenn die drei hier wirklich als Gefallen mitgewirkt haben, muß Carver ein wahrhaft netter Mensch sein.





Jocks (USA 1986)
Regie: Steve Carver
Drehbuch: Michael Lanahan, David Oas
Kamera: Adam Greenberg
Musik: David McHugh
Darsteller: Scott Strader, Perry Lang, Mariska Hargitay, Richard Roundtree, R.G. Armstrong, Christopher Lee, Stoney Jackson, Don Gibb, Trinidad Silva

Lichtspielplatz #11 - Drei Journalismusskandale: SCHTONK, BAD BOY KUMMER, SHATTERED GLASS

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Im elften Lichtspielplatz-Podcast knöpfen wir uns drei Journalismusskandale und die dazugehörigen Filme vor: SCHTONK über die gefälschten Hitler-Tagebücher, BAD BOY KUMMER über die erfundenen Star-Interviews von Tom Kummer und SHATTERED GLASS über die zusammengedichteten New-Republic-Geschichten von Stephen Glass.

Wir sprechen dabei nicht nur über die verschiedenen Herangehensweisen an diese wahren Geschichten - Satire, Doku, Drama - sondern auch über die Hintergründe der Fälschungen. Dabei stellt sich uns eine zentrale Frage: Was macht eine gute Geschichte aus?



Der Podcast kann HIER als mp3-File heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.



Viel Spaß!

Auf Wilsons Dachboden finden sich auch Texte zu den Filmen SCHTONK und BAD BOY KUMMER.

John Carpenter in der Wiener Stadthalle: Ein Filmemacher als Rock'n'Roll-Veteran

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Ein älterer Herr in Schwarz betritt mit tänzelnd federndem Gang die Bühne, begleitet von fünf weit jüngeren Mitstreitern. Er trägt eine dicke schwarze Brille, seine schlohweißen Haare sind hinten zu einem kleinen Knäuel zusammengebunden. Flugs postiert sich jeder an seinem Instrument, der Mann in Schwarz schlägt ein Riff am Keyboard an. Er ist kein Rock'n'Roll-Veteran, aber er wird gefeiert wie einer.

Eigentlich ist er hauptberuflich nicht einmal Musiker, auch wenn seine Musik immer ein essentieller Bestandteil seiner Kunst war. Er hat Schreckensvisionen von gesichtslosen Killern auf die Leinwand gebracht, vom tödlichen Nebel der Vergangenheit, von Alieninvasionen, von gewalttätigen Gangs, vom Teufel und von allzu einflußreichen Schriftstellern. Seine Helden sind wortkarge Einzelgänger, die nach ihrem eigenen Kodex leben. Er hat von Paranoia und Mißtrauen erzählt, von Isolation und dem Kampf gegen das übermächtige, archaische Böse.

Daß Regisseur John Carpenter einmal mit einer Band auf der Bühne steht und einen Streifzug durch seine vielen Filmklassiker spielt, als wäre es ein langbewährtes Greatest-Hits-Programm, hätte er sich selber wahrscheinlich auch nie träumen lassen. In seiner Jugend spielte er in einer Rockband namens Coupe de Villes zusammen mit seinen Freunden Nick Castle und Tommy Lee Wallace: "The best way to meet girls", wie er einmal schmunzelte. Castle und Wallace waren bei vielen seiner frühen Filme involviert, zu BIG TROUBLE IN LITTLE CHINA taten sie sich nochmal mit ihm als Coupe de Villes zusammen und nahmen einen Synth-Rock-Titeltrack mit passendem Musikvideo auf. Ansonsten blieb Carpenter Studiomusiker, der für seine eigenen Filme aktiv wurde: Seine nervösen, minimalistischen Arbeiten zogen die Spannung bei HALLOWEEN und ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT an, seine Synth-Skulpturen formten die Welten von DIE KLAPPERSCHLANGE und PRINCE OF DARKNESS, seine Rock'n'Roll-Lässigkeit erdete THEY LIVE und IN THE MOUTH OF MADNESS.

Jetzt steht er also auf der Bühne der Wiener Stadthalle hinter einem Keyboard, daneben ein kleines Macbook, auf dem er die einzelnen Synth-Programmierungen wechselt. Links von ihm steht Gitarrist Daniel Davies, rechts sein Sohnemann Cody Carpenter hinter einem weiteren Keyboard. In zweiter Reihe die Rhythmussektion: Drummer Scott Seiver, Bassist John Spiker und Rhythmusgitarrist John Konesky. Wenn der Maestro kein Tasteninstrument hätte, wäre es fast eine klassische Rockband.


Carpenter eröffnet mit dem Thema zu DIE KLAPPERSCHLANGE, gefolgt vom Hauptmotiv aus ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT. Der dicke Bass lässt den Saal vibrieren, der Sound ist in den Bandarrangements dick und direkt. Der Meister hat manchmal eine Hand lässig in der Tasche, während er mit der anderen die Riffs spielt, die so simpel sind und doch so einzigartig. Dann tänzelt er ein bißchen, bewegt seinen Oberkörper im Takt der Musik, ballt die Fäuste und tut so, als würde er gleich lostanzen. Er hat offensichtlichen Spaß an der Sache. Hinter ihm laufen auf einer Videoleinwand Ausschnitte aus den Filmen, prägnante und ikonische Bilder, Stimmungsszenen und Highlights.

Dann kommen zwei Nummern von den beiden LOST-THEMES-Alben, die er 2015 und 2016 veröffentlichte: Soundtrack-Nummern ohne dazugehörigen Film. Sie sind voller arrangiert, steigern sich teils in fiebrige Intensität, aber sie klingen eindeutig nach ihm. "Vortex", "Mystery": Es sind Songs, die Carpenter-Welten suggerieren. In ihrem Retro-Futurismus schlagen sie die Brücke zwischen seinen alten Synthtexturen und heutiger elektronischer Musik.

So wechseln sich die alten und neuen Stücke im Programm ab, auf zwei Filmthemen folgen zwei "Lost Themes". Im Bandarrangement tritt das Rockelement von Carpenters strengen Synth-Kompositionen noch stärker hervor: Das Bass-Ostinato von ASSAULT – ANSCHLAG BEI NACHT klingt in E-Gitarren-Begleitung nach lässigem Rock-Riff, das Blues-Feeling von THEY LIVE könnte in einen staubigen Jam münden. Mit jedem Track wird klarer, daß Carpenters klassische Themen von diesem Ansatz geprägt sind, daß in ihren rigiden Formen der Geist der Rock-Rebellion schlummert. Wahrscheinlich versprühen sie deswegen diese herbe Coolness, die auch Carpenters Helden vom Rest der Welt absetzt.

Zwischendurch moderiert Carpenter sein Programm: Mit dramatischer Stimme liest er kurze Einführungen zu manchen Songs, als wäre er der Ansager eines Horrorspektakels, der die Schaulustigen in die richtige Spukstimmung versetzt. Ein bißchen ist die Show das ja auch: Zu THE FOG wird die Bühne eingenebelt, bis die sechs Musiker wie die sechs verfluchten Seefahrer aus dem Film darin stehen, zu THEY LIVE ziehen sich alle ihre schwarze Sonnenbrille auf, während uns die Videoleinwand einen "Obey"-Befehl zeigt. Es ist wohl gut, daß es zu ASSAULT kein Vanilleeis gibt.

Interessanterweise ist die Show keine Nostalgieveranstaltung – einerseits, weil ja auch die Neukompositionen gespielt werden, und andererseits, weil die Arrangements die Stücke verändern, sie ins Jetzt holen. Trotzdem ist der Auftritt vor allem mit seinen Videoimpressionen eine spannende Retrospektive von Carpenters Werk: Es wird einem immer wieder klar, wieviel Besonderes Carpenter uns filmisch schon angeboten hat, wie individuell sein Schaffen ist. Es zeigt sich ja schon in der Tatsache, daß es sonst wohl keinen Filmemacher gibt, der mit einer Band einen Streifzug durch sein Oeuvre präsentieren könnte.

Das Publikum feiert Carpenter für jeden Song, am Schluß gibt es Standing Ovations der gesamten Halle. Sie applaudieren nicht nur für den Auftritt, sondern für alles, was Carpenter uns in all den Jahren gegeben hat. Und irgendwann merkt man es bei dem Paket aus Snake Plissken und ASSAULT-Riff und mutierendem "Ding" und HALLOWEEN-Piano und Kung-Fu-Spektakel und Sonnenbrillen-Blues: Natürlich ist John Carpenter ein Rock'n'Roll-Veteran.


Vielen Dank an Alexander Sobolla für die Photos.

Texte über Carpenter-Scores auf Wilsons Dachboden: DARK STARHALLOWEEN, THE FOG, HALLOWEEN II.
Mehr über John Carpenter auch in unserem ersten Lichtspielplatz-Podcast: HIER.

THE ACCOUNTANT: Ein autistischer Superheld zwischen Gut und Böse

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Seine Welt ist die der Zahlen, nicht die der Menschen: Christian Wolff fühlt sich wohl, wenn er komplexe Systeme und mathematische Aufgaben entwirren kann, und kämpft dafür mit jedem Blickkontakt. Wolff ist hochfunktionaler Autist – und das bedeutet in der Welt von THE ACCOUNTANT, daß der unscheinbare Steuerberater nebenbei als treffsicherer Scharfschütze durch die Unterwelt geistert.

Wolff wird gerne von milliardenschweren Geschäftsleuten angeheuert, weil er zuverlässig jede Lücke in der Buchhaltung finden kann. Unter seinen Kunden befinden sich auch Mafiosi, Drogenkartelle und andere kriminelle Organisationen, weswegen unter anderem die Steuerfahndungsbehörde hinter ihm her ist. Deren Leiter Ray King heuert eine junge Analytikerin an, um diesem Phantom auf die Schliche zu kommen, der nur als "The Accountant" bekannt ist – ein gesichtsloser Buchhalter.

Christian Wolff (Ben Affleck) als Meister über die Finanzbücher ...

Es ist kein Zufall, daß der von Ben Affleck gespielte Wolff einen Superman-Comic in der Schublade hat: THE ACCOUNTANT ist ein Thriller, der mit den Motiven der Superheldenstory erzählt ist. Wolff ist wie ein X-MEN-Mutant, ein Mann mit besonderen Fähigkeiten und Einschränkungen, die ihn von der restlichen Welt abgrenzen – und wie im anderen Affleck-Superheldenfilm dieses Jahres, BATMAN V SUPERMAN, lassen sich seine größten Wunden in der Familiengeschichte finden. Passend dazu erzählt seine "Origin Story" von der Formung seines Könnens in vom normalen Leben abgesetzten Szenarien: ein Heim für autistische Kinder, eine Kampfsportausbildung in Jakarta, der militärische Abhärtungsdrill des Soldatenvaters.

Spannend sind dabei nicht nur die Katz-und-Maus-Spiele, die Wolff mit seinen verschiedenen Verfolgern austrägt – darunter nicht nur King und seine Leute, sondern auch ominöse Killer einer Robotik-Firma, bei denen er finanzielle Unstimmigkeiten in Höhe von $61 Millionen feststellen konnte. Packend ist vor allem die Tatsache, daß keine der Figuren klaren Schwarz-Weiß-Schemen folgt, sondern die gesamte Welt in verschiedenen Schattierungen von Grau existiert.

Das fängt bei Wolff selber an, der für die Unterwelt arbeitet und sich als effizienter und gnadenloser Rächer erweist – aber gleichzeitig das erwirtschaftete Geld nicht für sich behält. Sein Jäger Ray King mag auf der richtigen Seite des Gesetzes stehen – aber er ist durchaus bereit, seine Analytikerin zur Mitarbeit zu erpressen, und gleichzeitig für den richtigen Zweck die Gesetzestreue auch mal pausieren zu lassen. Seine Helferin saß mal im Gefängnis, hat aber eine eigene Sicht auf ihre damalige Straftat. Der strenge Vater, der von Autismus nichts wissen will und seinen Sohn lieber trimmt, dem Leben kämpferisch entgegenzutreten, ist dennoch ein Mann, der das nach seinem Weltbild Beste für seine Kinder will. Selbst der Schurke, der hinter dem $61-Mio.-Loch steckt, hat eine Motivation, die nicht zwangsläufig nur Selbstbereicherung beinhaltet.

... und über das Präzisionsgewehr.

Getragen wird der Film aber von der Figur Wolff: Er bleibt meist förmlich und korrekt, ein Lächeln und ein Blickaustausch scheinen stets Überwindung zu erfordern. Affleck ist großartig in der Rolle und zeigt eine dreidimensionale Figur, einen Mensch mit Innenleben und Vergangenheit. Er bringt dabei auch einen leisen Humor in die Geschichte: Seine ehrlichen und direkten Antworten, die er mit so geradem Gesicht vorträgt, sind immer wieder vergnüglich, und wenn er zwei Bekannte erst mit eiskalter Genauigkeit vor Auftragskillern rettet und den beiden danach nur ein ungelenkes "Hallo"-Winken anbieten kann, gibt das dem kühl wirkenden Protagonisten eine willkommene Menschlichkeit.

Nicht zuletzt findet Regisseur Gavin O'Connor auch immer wieder interessante Bilder, die zu seinem Helden passen - ob es die Prothesen in der Robotik-Firma sind, die Menschen ein alltägliches Leben ermöglichen, oder die verworrenen Striche eines Jackson-Pollock-Gemäldes, in dem Wolff seinen Ruhepol findet. Am schönsten ist dabei ein Moment vom Beginn, als Wolff noch als Kind ein Puzzle zusammensetzt, das ein Bild von Boxchampion Muhammad Ali zeigt. Sein Puzzle ist umgedreht, es liegt also mit der Motivseite auf dem Tisch, während Wolff nur die Formen zusammenbaut. Es wirkt, als wolle uns der Film sagen: Auch ein Autist kann wie Ali über die Widrigkeiten der Welt siegen - er sieht sie eben nur anders als wir.




The Accountant (USA 2016)
Regie: Gavin O'Connor
Buch: Bill Dubuque
Musik: Mark Isham
Kamera: Seamus McGarvey
Darsteller: Ben Affleck, Anna Kendrick, J.K. Simmons, Jon Bernthal, Jeffrey Tambor, Cynthia Addai-Robinson, John Lithgow, Jean Smart

Die Screenshots stammen aus dem offiziellen YouTube-Trailer.

BAD MOMS: Ein Aufstand gegen den Leistungswahn

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Schlecht macht Spaß: Nicht erst seit Filmen wie BAD SANTA oder BAD TEACHER sehen wir gerne Menschen dabei zu, wie sie hohe Erwartungen und noble Ansprüche mit Wonne unterwandern. Dieser Bruch ist nicht nur deswegen vergnüglich, weil der Ungehorsam auch im Erwachsenenalter eine reizvolle Phantasie sein kann, sondern auch, weil diese Gescheiterten und Leistungsverweigerer immer auch uns Normalos widerspiegeln: So sehr wir gern ein Übercop wie Dirty Harry wären, finden wir uns eben doch viel stärker in den ungeschickten Anfängern der POLICE ACADEMY wieder.

Auch in BAD MOMS kämpft das titelgebende Frauentrio mit der Unmöglichkeit der permanenten, perfekten Leistung: Diese Damen sind keine miesen Mütter, weil sie sich nicht um das Wohlbefinden ihrer Kindern kümmern würden, sondern weil sie an der Vielzahl ihrer Aufgaben fast zwangsläufig scheitern müssen. Kindeserziehung, Haushalt, Karriere, Einkaufen, Kinder zur Schule bringen, Kinder von außerschulischen Aktivitäten abholen, Alltagskrisen und ständige Veranstaltungen: Kein Wunder, daß unsere Protagonistin Amy von sich sagt, daß sie hauptsächlich gut darin ist, zu allem zu spät zu kommen.

"Bad Mom" Amy (Mila Kunis).

Es ist hochsympathisch, der von Mila Kunis gespielten Amy dabei zuzusehen, wie sie und ihre beiden neuen Freundinnen Kiki (Kristen Bell) und Carla (Kathryn Hahn) dem Leistungsdruck den Mittelfinger zeigen – und speziell der militanten Übermutter Gwendolyn (Christina Applegate), die über jede Schulaktivität mit eiserner Hand herrscht. Nachdem der Film von den HANGOVER-Autoren Jon Lucas und Scott Moore geschrieben und inszeniert wurde, bestand zu befürchten, daß die wildgewordenen Mütter sich auf derbste Abenteuer begeben würden – aber tatsächlich bleiben die Geschmacklosigkeiten aus, und der "Moms Gone Wild"-Rebellion der Gestreßten haftet eine charmante Bodenständigkeit an. Wenn die drei krakeelend durch den Supermarkt ziehen, richtet sich ihr Zorn unter anderem gegen den Pappaufsteller einer Putzmittel-Sauberfrau – und darf beim Anblick eines süßen Babys auch gern ein paar Sekunden pausieren.

Es stecken einige kluge Beobachtungen in dieser Meuterei gegen das perfekte Mutterdasein: Der ständige Druck, gegen den hier der Aufstand inszeniert wird, wird letzten Endes von den Müttern selbst mitgestaltet, die in allem perfekt sein wollen – und vor allem ihrer Umwelt stets das perfekt erfüllte Leben demonstrieren möchten, weshalb jede das Gefühl hat, nur sie sei eine Versagerin. Gleichzeitig merkt man, wie die Kinder den Leistungswahn aufgreifen und ihm schon früh verfallen: In einer witzigen Szene flippt Amys 12-jährige Tochter aus, weil sie unbedingt ins Fußballteam aufgenommen werden will – und zwar, weil sich das später positiv auf ihre College-Bewerbungen auswirken wird. Man muß sich nur manche 18-jährige Studentin mit schnellstmöglichen Studienabschlußplänen und Panik vor einer einzigen schlechten Note ansehen, um zu wissen, daß die Szene gar nicht so weit hergeholt ist.

Gwendolyn (Christina Applegate) ruft eine Notfall-Elternversammlung ein ... wegen des anstehenden Kuchenbasars.

Witzigerweise stellen sich manche der Verweigerungen von Amy und ihren Freundinnen letztlich doch als gar nicht so verkehrte Erziehungsmaßnahme heraus: Nachdem der Sohnemann vergeblich gequengelt hat, daß er sein Frühstück nicht mehr fertig serviert bekommt, kümmert er sich nicht nur selber darum – sondern lernt gleich auch noch, selber zu kochen. Überhaupt ist Amys frustrierter Appell an den Sohn einen eigenen kleinen Szenenapplaus wert: "[…] Mummy and Daddy have been spoiling you, and now you think that the world owes you something, but it doesn't. And if you don't learn how to work hard now, then you're going to just grow up to be like another entitled little white dude who thinks he's awesome for no reason. And then you'll start a Ska band and it'll be awful and you'll be mean to girls, and you'll grow this ironic moustache to look interesting, but you won't actually be interesting. And I'm not okay with that."




Bad Moms (USA 2016)
Regie: Jon Lucas & Scott Moore
Buch: Jon Lucas & Scott Moore
Musik: Christopher Lennertz
Kamera: Jim Denault
Darsteller: Mila Kunis, Kristen Bell, Kathryn Hahn, Christina Applegate, Jada Pinkett Smith, Oona Laurence, Clark Duke, Jay Hernandez, Wanda Sykes, Martha Stewart

Die Screenshots stammen aus dem offiziellen Trailer und aus den Filmclips des YouTube-Kanals kinofilme.

Lichtspielplatz Bonusfolge #1 - John Carpenter in Wien

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Über das John-Carpenter-Konzert in der Wiener Stadthalle habe ich HIER ja schon berichtet - jetzt gibt es auch eine dazugehörige Podcast-Bonusfolge, in dem wir über Carpenter und seine Musik sprechen. Was gibt Carpenter seinen Filmen als Musiker? Wie haben sich seine Scores entwickelt? Wie kommt es, daß er jetzt mit Band auf der Bühne steht? Und was waren unsere Eindrücke direkt nach dem Konzert?

Ganz neu dabei: Es ist die erste Crossover-Episode unserer Lichtspielplatz-Geschichte, aufgenommen in einem Hostel in Wien zusammen mit unserem guten Freund Alexander Sobolla vom Abspanngucker-Podcast.

Viel Spaß!



Das mp3 kann HIER heruntergeladen werden.

HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Vielen Dank an Alexander Sobolla für das Photo.

Texte über Carpenter-Scores auf Wilsons Dachboden: DARK STARHALLOWEEN, THE FOG, HALLOWEEN II. Ebenfalls hier: der im Podcast erwähnte Text über Carpenters THE WARD.
Mehr über John Carpenter auch in unserem ersten Lichtspielplatz-Podcast: HIER.

Das im Podcast erwähnte Interview findet sich auf der Seite von Little White Lies.

Lichtspielplatz #5 - Tobe Hooper

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In der fünften Folge unseres Lichtspielplatz-Podcasts geht es um Tobe Hooper, den Regisseur von BLUTGERICHT IN TEXAS. Dr. Wily und ich reden über verschiedene Themen in Hoopers Filmen, z.B. das Thema der Familie oder das Prinzip der Hysterie, und vernachlässigen dabei auch nicht die unbekannteren und ungeliebteren Filme des Regisseurs. Um die große POLTERGEIST-Frage kommen wir freilich auch nicht herum - und debattieren dabei, warum die überhaupt so vehement im Raum steht.


Viel Spaß beim Hören!



Der Podcast kann auch HIER direkt als mp3 heruntergeladen werden.
HIER kann der Lichtspielplatz-Podcast auf iTunes abonniert werden.

Im Podcast erwähnte Links:
Tobe Hooper Appreciation Society
Faculty of Horror – Texas Chain Saw Massacre Episode
Poltergeist Fanseite


Mehr Tobe Hooper auf Wilsons Dachboden:
BLUTGERICHT IN TEXAS: Ein morbides Horror-Meisterwerk

FIRE SYNDROME: Hoopers hysterische Welt

CROCODILE: Beschränkte Studenten gegen Schnappi, das Krokodil

MIDNIGHT MOVIE: Tobe Hooper vs. Zombies

DJINN - DES TEUFELS BRUT: Horror in und aus den Emiraten
Close-Up: BLUTGERICHT IN TEXAS - Der Mord an Franklin
Close-Up: BLUTGERICHT IN TEXAS - Die Szene mit dem Fleischerhaken

BAD BOY KUMMER: Die besten Interviews, die die Stars niemals gegeben haben

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Im Gespräch mit ihm offenbarte Actionstar Charles Bronson seine Liebe zu Orchideen, Nicolas Cage zitierte Rainer Werner Fassbinder und Sean Penn sinnierte über den Philosophen Søren Kirkegaard und die "kreative Langeweile": Tom Kummer hatte in den Neunzigern die spannendsten und verblüffendsten Interviews mit den großen Stars. Er zeigte sie ganz persönlich und menschlich, führte interessante Konversationen statt phrasenbehafteter PR-Plappereien. Der Haken? Die Interviews waren komplett erfunden.

Ganze vier Jahre lang versorgte der Schweizer Kummer von Los Angeles aus namhafte deutsche Publikationen mit solch wundervollen Dialogen. Brad Pitt berichtete, wie er beim Bergsteigen die "innere Leere"überwunden habe, Sharon Stone dagegen offenbarte lesbische Phantasien. Abgedruckt wurden die Gespräche in Blättern wie dem Spiegel, dem Focus oder dem SZ-Magazin.

2000 flog Kummer auf. Er zog sich zurück und arbeitete in Los Angeles als Tennislehrer. Einige Jahre später drehte Miklós Gimes mit BAD BOY KUMMER einen Dokumentarfilm über die Geschichte; Gimes war früher stellvertretender Chefredakteur beim Tages-Anzeiger-Magazin, für das Kummer als Hollywood-Korrespondent fabulierte. Im Film spricht Gimes mit anderen Medienvertretern, die von Kummer betrogen wurden, und auch ausführlich mit Kummer selbst, um nachzuforschen, was da eigentlich passiert war. Die unausgesprochene Frage, die in Gimes' Film mitschwingt, ist klar: Was hat sich Kummer bei einer solch bizarren Betrügerei, die früher oder später auffliegen musste, nur gedacht?

Tom Kummer (links) wird von seinem ehemaligen Tempo-Chefredakteur Markus Peichl konfrontiert.

Leider tut der falsche Fuffziger niemandem den Gefallen, sich groß zu rechtfertigen – oder überhaupt für sein Lügenspiel große Reue zu zeigen. Wie ein leicht ramponierter Sonnyboy sitzt er da, lächelt manchmal, wirkt nicht unsympathisch – aber auch nicht wirklich greifbar. Er bezeichnet seine Interviews manchmal als Trash, manchmal als Kunst, aber zuckt dazu auch mit den Schultern, als wüßte er gar nicht, was die ganze Aufregung soll. Manchmal schimmert in seinen Erzählungen etwas durch, aus dem man sich dann ein Psychogramm weiterpuzzeln kann: Ja, berichtet er, das war schon aufregend, als nach dem ersten großen Interview plötzlich so viele Aufträge hereinkamen.

So tanzen alle Beteiligten – in gewissem Sinne auch der Regisseur – hier um ein großes schwarzes Loch, von dem sie sich irgendwelche Antworten erhoffen. Ehemalige Kollegen und Chefredakteure sitzen da und erinnern sich, empören sich, erkundigen sich, aber Kummers Reaktionen sind ihnen nie genug – wahrscheinlich, weil sie eigentlich ein umfassendes Geständnis samt Bußbereitschaft haben wollen. Einer mutmaßt sogar, daß die Ungeheuerlichkeit der Tat so groß ist, daß Kummer schlichtweg nicht damit umgehen kann und deswegen ausweicht.

Die Kummer-Geschichte wirft aber auch eine eigentlich viel interessantere Frage in den Raum: Warum hat so lange Zeit niemand gemerkt, dass die Interviews gefälscht sind? Rückblickend betrachtet klingen die Geschichten fast wie Parodien – etwa, wenn Boxchamp Mike Tyson über Nietzsche redet und Sätze wie "Wissen schafft Stabilität" von sich gibt. Immer wieder weisen Gesprächspartner darauf hin, wie sie bei gewissen abgedruckten Stories mißtrauisch wurden – aber vielleicht wollen sie jetzt nur vermeiden, naiv zu wirken.

Mit diesem Pamela-Anderson-Interview fing alles an: Der BAYWATCH-Star erzählte hier unter anderem,
wie die Jungs von Mötley Crüe gern ihre BHs und High-Heels tragen.

"Kummers Welt ist eine bessere", schrieb Nils Minkmar am 25. Mai 2000 für die Zeit. "Bei Kummer hat jeder gewonnen: Die Stars bekamen schöne Titelgeschichten, wirkten intelligent und belesen. Die Magazine bewiesen ihre doppelte Kompetenz, populär und intelligent zu wirken, und den Lesern wurde zurückprojiziert, was sie sich schon immer heimlich gewünscht hatten: dass es gute, moralisch und philosophisch redliche Gründe dafür gibt, sich für Stars zu interessieren, außer ihrem Erfolg und Aussehen."

Genau das ist der Kern der Kummerschen Falschmünzerei: Er verstand es, Bedürfnisse zu befriedigen. Wir wollen, daß unsere Stars clever, weltoffen und auch abseits ihrer Talente spannende Menschen sind. Wir wollen Persönliches von denen hören, die wir nie persönlich kennenlernen werden. Wir wollen nicht, dass sie die Werbemühle drehen wie jeder Marktschreier, der seinen Fisch loswerden will. Wir wollen nur dann, daß sie "normal" sind, wenn sie drumherum außergewöhnlich sind, weil wir ja sonst von unseren Nachbarn träumen könnten. Wir wollen unsere Wünsche auf sie projizieren können.

Nicht umsonst waren Kummers Texte immer auch ein Spiel mit dem Bild, das wir von den Stars haben: Ausgerechnet Charles Bronson, der mit steinerner Miene Film um Film brutal die Colts sprechen ließ, schätzt die Schönheit von Orchideen. Das schafft sanfte Ironie, spannende Reibung, da will man mehr wissen. Umgekehrt würden wir von Sharon Stone, die in BASIC INSTINCT so skandalös und unterwäschelos die Beine über Kreuz legte, nicht hören wollen, daß sie eigentlich ganz hausfräulich orientiert ist, also darf sie über Sexphantasien sprechen und damit genau das weiterspinnen, was uns im Kino so fasziniert hat.

Tom Kummer und sein Mike-Tyson-Interview.

Die größte Erkenntnis in BAD BOY KUMMER gewinnt man dann, wenn Gimes Kummer dabei zeigt, wie er aus seinen alten Interviews vorliest. Da spricht er plötzlich ganz lebhaft und mit großen Gesten, liest die Sätze so sorgfältig, als handle es sich um Literatur. Mit Blick fürs Detail erklärt er, wo er im Gespräch mit gewissen Wörtern schon Erwartungshaltungen aufbaut, Witz erzeugt, Themen verdichtet. Und dann lacht er, weil der eher schlichte Mike Tyson bei ihm so etwas Druckreifes sagt wie "Erst über das Kämpfen kann ich den Wert meiner Existenz erkennen".

Auf gewisse Weise sind Kummers Interviews also für ihn Kunstwerke – es sind Auseinandersetzungen mit den Protagonisten unserer Popkultur. Natürlich hätte er jedem deutlich machen müssen, dass sie gefälscht waren – aber dann hätte sie freilich keiner mehr abgedruckt. Und selbst wenn, wäre ihre Faszination schlagartig erloschen. Phantasien funktionieren eben dann am besten, wenn sie sich echt anfühlen.


Auch auf Wilsons Dachboden:
Ein Film über einen weiteren Journalismus-Skandal: SCHTONK! 
Ungewöhnliche Interviews von Neil Strauss: EVERYONE LOVES YOU WHEN YOU'RE DEAD
Unser Podcast über BAD BOY KUMMER, SCHTONK und SHATTERED GLASS: Lichtspielplatz #11.




Bad Boy Kummer - Der Mann, der die Stars neu erfand (Schweiz 2010)
Regie: Miklós Gimes
Kamera: Filip Zumbrunn

INSIDE DEEP THROAT: Die Geschichte einer Revolution

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"There is nothing to be ashamed of", sagt Regisseur Gerard Damiano an einer Stelle von INSIDE DEEP THROAT, der Dokumentation über seinen Pornoklassiker DEEP THROAT. Viele Menschen sahen das anders: Während der nur $25.000 teure Schmuddelstreifen angebliche $600 Millionen einspielte, den Porno-Chic der Siebziger auslöste und mithalf, Barrieren der Prüderie niederzureißen, standen die Sittenwächter Kopf und taten alles, um den, wie sie es sahen, Schmutz von den Leinwänden zu verbannen – und seine Macher gleich hinterher.

Damiano ist der erste, der hier freimütig gesteht, daß der Film nicht sehr gut sei. Einige Porno-Spielfilme wie Howard Ziehms MONA hatten die sexuelle Kinorevolution schon vorbereitet, aber DEEP THROAT war ihr Durchbruch: Mit einer hübsch absurden Geschichte über eine Frau, die feststellen muß, daß ihre Klitoris im Rachen sitzt und sie deshalb nur über Oralverkehr zum wahren Orgasmus kommen kann, bahnte sich der Film seinen Weg bis ins Feuilleton und sorgte dafür, daß zumindest für kurze Zeit explizite Ware schick war. Anstatt anonym ins Kino zu schleichen, interessierten sich da plötzlich Prominente wie Jack Nicholson oder Warren Beatty für diese aufregende Kinowelle.

DEEP-THROAT-Regisseur Gerard Damiano.

Das Regie-Paar Fenton Bailey und Randy Barbato zeichnet in INSIDE DEEP THROAT ein umfangreiches Porträt des Films, der gesellschaftlichen Umbrüche drumherum, der Aufregung und der Auswirkungen. Da kommt der Regisseur, der zuvor als Frisör zusammen mit seiner Frau einen Schönheitssalon betrieb, ebenso zu Wort wie Kollegen, Darsteller, Zeitzeugen und –genossen, Journalisten, Frauenrechtler und Staatsdiener. Unter den Interviewpartnern sind Autoren wie Norman Mailer, Filmschaffende wie Wes Craven und Persönlichkeiten wie Gore Vidal und Hugh Hefner.

An unglaublichen und wüsten Ereignissen ist die Geschichte von DEEP THROAT auch nicht gerade arm. Das Geld für den Film kam von zwielichtigen Geschäftsmännern, die vermutlich zur Mafia gehörten – und dem Regisseur offenbar unter Androhung von Gewalt seine Rechte am Film billig abkauften, als sich der Streifen als Hit entpuppte. Ein alter Vorführer redet im Interview darüber, wie die Gewinne damals von Drückern direkt in den Kinos abgeholt wurden, und wird von seiner im Hintergrund sitzenden Frau immer wieder zurechtgewiesen, er solle gefälligst vorsichtig sein mit dem, was er erzählt.

SCREAM-Regisseur Wes Craven erinnert sich an die frühe Pornoszene.

Die Obrigkeit unternahm derweil immense Anstrengungen, die Büchse der Pandora wieder zu schließen. An einer Stelle der Doku heißt es, daß der Staat gewissermaßen die PR des Films übernommen hat: Nachdem der Film erfolgreich aus den New Yorker Kinos verbannt wurde, fuhren die Leute eben in andere Städte, um die verbotenen Bilder sehen zu können. In einem alten Interview auf offener Straße erklärt eine ältere Dame, daß ihr der Film gefallen habe: "I wanted to see a dirty picture, and that's what I saw. But I want the right to see that picture. I don't want somebody telling me that I can't see a dirty picture".

Die sexuelle Revolution war zu diesem Zeitpunkt schon längst losgetreten, überall wurden Pornos gedreht, ob legal oder nicht – und somit war der Kampf der Behörden gegen die Sexfilme natürlich ein kompletter Kampf gegen die Windmühlen. Was sie freilich nicht davon abgehalten hat, es mit Vehemenz zu versuchen: Eine von der Regierung Ende der Sechziger in Auftrag gegebene Studie, die zeigte, daß keine negativen Auswirkungen von Pornographie auf Erwachsene feststellbar sei, wurde flugs unter den Teppich gekehrt, um von selbiger Stelle aus ein Kommittee zur Aufrechterhaltung von Ordnung und Moral ins Leben zu rufen. So süffisant wie beiläufig merkt der Film an, daß Präsident Richard Nixon, der da so um die Moral besorgt war, aus – nunja – nicht ganz moralischen Gründen nicht Präsident blieb.

Hauptdarsteller Harry Reems: "Did I belong in jail for five years for acting in DEEP THROAT?"

Irgendwann wurde sogar Hauptdarsteller Harry Reems vor Gericht gezerrt: Für die Mitwirkung an DEEP THROAT drohten ihm bis zu fünf Jahren Gefängnis. Man wollte ein Exempel statuieren und hoffte wohl, daß ein scharfes Urteil dafür sorgen würde, daß sich keine Darsteller für die Filme mehr finden ließen. Der Staatsanwalt, der die Anklage leitete, ist jedenfalls heute noch von DEEP THROAT traumatisiert: Er hat da Bilder gesehen, erklärt er im Interview, die er nicht mehr loswird. Man kann sich ernsthaft fragen, ob der Mann sein Leben lang nur bei gelöschtem Licht Sex hatte.

Und dann ist da noch Linda Lovelace, die Hauptdarstellerin des Films, die irgendwann ihre Pornokarriere an den Nagel hängte und sich stattdessen mit der Initiative "Women Against Pornography" zusammentat. Sie behauptete, ihr damaliger Ehemann Chuck Traynor habe sie zu allem gezwungen, und sie sei somit praktisch vor der Kamera vergewaltigt worden. Bailey und Barbato kehren Lovelace' Sicht der Dinge nicht unter den Teppich, aber scheinen auch – wie Damiano selber – der Ansicht zu sein, daß diese rückwirkende Ablehnung nicht mit dem zusammenpaßt, wie entspannt sie in alten Archivaufnahmen gezeigt wird, und auch nicht mit dem, was alle anderen über ihre begeisterte Teilnahme an dem Film erzählen. Immerhin machte sie einige Zeit später sogar wieder Nacktphotos, um mit ihrem berühmt gewordenen Namen Geld verdienen zu können.

Der einflußreiche New-York-Times-Artikel "Porno chic" von Ralph Blumenthal.

All diese Umstände haben aus DEEP THROAT weitaus mehr gemacht, als er eigentlich ist: Der kleine, augenzwinkernde Sexfilm wurde zur Legende, zum Emblem eines Umbruchs. Er repräsentierte alles, was – ganz nach Standpunkt, liberal oder konservativ – seine Zeit so aufregend oder so entsetzlich machte. Er war gleichzeitig Produkt und wichtiger Träger einer Revolution.

INSIDE DEEP THROAT verschweigt auch nicht, daß diese Revolution zumindest filmisch ihr Versprechen nicht eingelöst hat: Eine kurze Zeitlang glaubte man, Porno würde sich zur neuen Kunstform etablieren, Mainstream und Sex würden zusammenwachsen, die filmischen Möglichkeiten würden mit Filmen wie DEEP THROAT erweitert werden. Stattdessen trat das Gegenteil ein: Sexfilme hörten auf, für Cineasten interessant zu sein, und wurden zur Fließband-Industrie. Hochprofessionell und einfallslos, von Revolution keine Spur mehr.

Die moralische Entrüstung hat in den vielen Jahren seit DEEP THROAT freilich kaum abgenommen. Das prüde Amerika steht immer noch Kopf, sobald ein Kleidungsmalheur dafür sorgt, daß für ein paar Sekunden eine Brust auf den Fernsehschirmen zu sehen ist – und bevor wir uns im deutschen Sprachraum für unsere progressive Aufgeklärtheit allzusehr auf die Schultern klopfen, darf man sich gerne an die verlogene Entrüstung erinnern, die von einer gewissen Boulevardzeitung lanciert wurde, als herauskam, daß Schauspielerin Sibel Kekilli vor ihrem Durchbruch in GEGEN DIE WAND in einigen Pornos mitgespielt hatte. Die wichtigste Lektion von DEEP THROAT und der sexuellen Revolution muß also nach wie vor gelernt werden: There is nothing to be ashamed of.





Inside Deep Throat (USA 2005)
Regie: Fenton Bailey & Randy Barbato
Buch: Fenton Bailey & Randy Barbato
Kamera: David Kempner & Teodoro Maniaci
Musik: David Benjamin Steinberg
Darsteller: Gerard Damiano, Harry Reems, Hugh Hefner, Bill Maher, Norman Mailer, Gore Vidal, Wes Craven, Annie Sprinkle, Andrea True, Peter Bart, Carl Bernstein, Georgina Spelvin, John Waters, Dennis Hopper (Erzähler)

NATURAL BORN KILLERS: Schlangen in einer wahnsinnigen Welt

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"I've seen the future, brother: it is murder", grummelt Leonard Cohen zu sanften Klängen über den Abspann von NATURAL BORN KILLERS. Ja, in der Zukunft dieser Welt liegt Mord – und in seiner Vergangenheit und seiner Gegenwart. Mord ist hier die Quintessenz des Lebens.

Auf einem dreiwöchigen Trip durch die Vereinigten Staaten hinterlassen Mickey und Mallory Knox 52 Leichen. Die beiden sind kein modernes Bonnie-und-Clyde-Pärchen, das dem aufregenden kriminellen Leben nachgeht, und sie sind nicht die großäugigen Teenager aus BADLANDS, die allegorisch ihren Generationenkonflikt austragen. Mickey und Mallory töten ziel- und wahllos, und sie werden zu Stars einer Gesellschaft, die genauso ist wie sie.

Mickey Knox, der Dämon (Woody Harrelson).

Quentin Tarantino schrieb diese Geschichte, die Oliver Stone dann – sehr zu Tarantinos Mißfallen – zur wüsten Provokation und grellen Satire umgestaltete. In den Händen von Stone wird NATURAL BORN KILLERS ein amerikanischer Albtraum, ein wütender filmischer Amoklauf, der keine Gefangenen macht und so unsubtil in seinen Mitteln ist, daß man schon wieder genau hinsehen muß, um die Gedanken dahinter aufgreifen zu können.

Stone treibt die Ästhetik, die er seit THE DOORS entwickelt hatte, hier auf die fiebrige Spitze: VHS-Look gegen Zelluloid, 35mm gegen Super-8, schwarz-weiß, grelle Farben, aufblitzende Bilder von blutgetränkten Fratzen, flimmernde Cartoon-Bilder, künstliche Rückprojekten – hier passiert alles gleichzeitig, und man ist gezwungen, tief in den Irrsinn der beiden Protagonisten einzutauchen. Immerhin sind sie unsere perversen Helden in dieser wahnsinnnigen Welt.

Mallory Knox (Juliette Lewis).

In der ersten Filmhälfte begleiten wir die beiden auf ihrem mörderischen Trip, bis sie dann von der Polizei gefangengenommen werden. Zu diesem Zeitpunkt sind sie schon Medienstars – Teenager tragen Shirts mit der Aufschrift "Murder Me Mickey", eine japanische Reporterin berichtet während einer Schießerei mit der Polizei aufgeregt, wie männlich Mickey ist. In der zweiten Hälfte sitzen sie im Gefängnis, wo ein hysterischer TV-Reporter ein Live-Interview mit Mickey zum Superbowl-Sonntag führt – und damit ohne Absicht die Insassen zu einer Revolte anführt, die in einem unkontrollierbaren Massaker endet.

Es ist leicht, NATURAL BORN KILLERS als scharfe Mediensatire zu lesen, als Anklage einer Welt, in der Gewalt und Grausamkeiten für Einschaltquoten und Auflagensteigerung genutzt werden. Der Film haut auch mit Wonne in diese Kerbe: Da filmt der TV-Journalist Mickeys und Mallorys Flucht lieber, als sie zu verhindern, da wird das beklemmende Interview mit dem Serienkiller von den süßen Eisbären der Coca-Cola-Werbung unterbrochen, und in einer Show namens "American Maniacs" werden die schönsten Morde von Mickey und Mallory in Slow-Motion nachgestellt. Der Film bräuchte das Bild von Charles Manson gar nicht zu zeigen, um an die Faszination rund um den irren Sektenführer zu erinnern.

Das Killerpaar nach vollbrachter Arbeit.
Aber Stone hört bei den Medien nicht auf. In NATURAL BORN KILLERS ist die gesamte Welt krank, gefangen in einem endlosen Rausch der Gewalt. Mallorys Vater ist ein brutaler Prolet, der sie offenbar sexuell mißbraucht – ihre Geschichte wird als Sitcom aus der Hölle gezeigt, den Drecksvater spielt Stand-Up-Komiker Rodney Dangerfield, und wenn er sie bedroht, lacht das Publikum. Mickeys Hintergrund ist kaum besser: ein gewalttätiger Vater, der sich irgendwann vor den Augen des Jungen erschießt.

Sie sind ebenso in die Gewalt hineingeboren wie der Cop Scagnetti, der die beiden jagt: Er erzählt irgendwann, daß seine Mutter von Charles Whitman erschossen wurde, dem (tatsächlich existierenden) Todesschützen, der in 1966 an der Universität von Texas von einem Turm aus wahllos auf Menschen zielte. Scagnetti ist beinahe wie ein Schatten von Mickey und wäre offenbar gerne er: In einem Motel erwürgt er eine Prostituierte, im Gefängnis bietet er sich Mallory als Liebhaber an.

Polizist Scagnetti (Tom Sizemore, links) und Gefängnisdirektor McCluskey (Tommy Lee Jones).

Auch TV-Reporter Wayne Gale wird zum Täter – während des Aufstands schnappt er sich eine Pistole, schießt auf Wachposten und jubelt erregt, sich endlich lebendig zu fühlen. Gefängnisdirektor McCluskey ist ein sadistischer Machtmensch, der einen Plan ausheckt, wie Mickey und Mallory beseitigt können. Jeder hier kann Mickey oder Mallory sein – weshalb die wahnsinnige Machart des Films auch bestehen bleibt, wenn sich Szenen um andere Personen drehen. Und, nachdem schon Charles Whitman erwähnt wurde: Wir sehen Bilder von Manson und O.J. Simpson, im Motelfenster hinter Mickey flimmern Aufnahmen von Hitler, Stalin und dem Vietnamkrieg. Die einzige Wirklichkeit hier ist die menschliche Gewalt.

Es scheint – abgesehen vom eifrigen Zorn von Regisseur Oliver Stone selber – in der Welt von NATURAL BORN KILLERS kaum ein Korrektiv zu diesem Wahnsinn zu geben. Nur eine Figur taucht auf, die eine vage Aussicht auf Heilung verspricht: Ein alter Indianer, der einen Dämon in Mickey und Mallory erkennt und ihn auszutreiben versucht. Er muß es mit dem Leben bezahlen.

"Can't get rid of your shadow, can you, Wayne?"
Interessanterweise ist dieser Mord offenbar der einzige, der bei Mickey und Mallory Gefühle auslöst. Mickey reut es, daß er den Indianer erschossen hat, Mallory wirft es ihm sogar vor. Vielleicht repräsentiert der Indianer das Schicksal, über das die beiden manchmal reden – er spricht davon, daß er den Dämon einst schon gesehen hat und immer auf seine Rückkehr gewartet hat. Möglicherweise steht er aber auch für etwas Ursprüngliches, das verlorengegangen ist. Immerhin ist, wenn Mickey im Interview von dem Schatten redet, den man nicht loswird, im Bildausschnitt die amerikanische Flagge zu sehen.

Auf jeden Fall bestimmt eine Geschichte, die der Indianer erzählt, das Handeln und Schicksal aller Figuren. Sie dreht sich um eine Frau, die eine verwundete Schlange mit nach Hause nimmt und gesundpflegt – nur, um von ihr tödlich gebissen zu werden. "Warum hast du das getan?", will sie von der Schlange wissen. "Du hast gewußt, daß ich eine Schlange bin", lautet die Antwort.

Sensationsreporter Wayne Gale (Robert Downey Jr.) läßt sich von den Gewaltausbrüchen mitreißen.

Nicht nur auf den Indianer, der Mickey helfen will und dafür stirbt, paßt diese Geschichte. Immerhin besteht der Ehering des Killerpaares aus zwei verkeilten Schlangen: Auch Wayne Gale ist überrascht, daß er, nachdem er den beiden beim Gefängnisausbruch geholfen hat, sterben soll – ebenso wie Scagnetti, der sich mit der Mörderin Mallory einläßt und genau das kriegt, was er verdient. Letztlich sind die ganzen Systeme, die hier gezeigt werden – die sensationsgeile Medienwelt, das sadistisch geführte Gefängnis, im Prinzip das ganze Land – genau diese Schlange, die wir nähren und die uns irgendwann beißen wird.

"When they said 'repent, repent', I wonder what they meant", brummt Leonard Cohen am Schluß. NATURAL BORN KILLERS ist Oliver Stones ohnmächtigster Film.


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Natural Born Killers (USA 1994)
Regie: Oliver Stone
Buch: Quentin Tarantino (Story), David Veloz, Richard Rutowski, Oliver Stone
Musik: Brent Lewis
Kamera: Robert Richardson
Darsteller: Woody Harrelson, Juliette Lewis, Robert Downey Jr., Tom Sizemore, Tommy Lee Jones, Rodney Dangerfield, Edie McClurg, Evan Handler, Balthazar Getty, Pruitt Taylor Vince, Steven Wright, Joe Grifasi, Arliss Howard
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